: Landrat ohne Bart
Fast die Hälfte der Kreise Mecklenburg-Vorpommerns werden von Frauen geführt. Die Soziologin Antke Engel vermutet, dass das an den Arbeitsverhältnissen in der ehemaligen DDR liegt
VON JESSICA RICCÒ
Das grau melierte Haar aufs nötigste gestutzt und das Doppelkinn mit preußischem Stolz in die Kamera gestreckt: Portraitfotos der Landräte im Norden Deutschlands kommen fast alle auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner. Lediglich in Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich eine Trendwende: Landräte können auch anders, nämlich weiblich sein.
Fünf von zwölf Landkreisen werden dort von Frauen geführt. Vielleicht wird am 18. Mai sogar die 50-Prozent-Quote erfüllt, wenn Maika Friemann-Jennert (CDU) in Ludwigslust gegen den bisherigen Landrat Rolf Christiansen (SPD) gewinnt.
Wunderlich, dass die Niedersachsen und Schleswig-Holsteiner bei ihren Wahlen so patriarchalisch entscheiden. Schließlich regierte Heide Simonis zwölf Jahre lang als erste und bisher einzige Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein. Außerdem wurde hier 1988 auch das erste Frauenministerium ins Leben gerufen.
Im öffentlichen Dienst wachen bis dato 1.500 Gleichstellungsbeauftragte über die Einhaltung des Gleichstellungsgesetzes. „Frauen sind in Bereichen, in denen sie unterrepräsentiert sind, bei gleicher Eignung, Befähigung und Leistung bevorzugt zu berücksichtigen“, heißt es darin.Welchen Wahlkandidaten mehr Eignung und Befähigung zugesprochen werden, hängt jedoch allein vom Kreuzchen der Wähler ab.
Die Kieler Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz hält die Frauenflaute in ihrem Bundesland für keine böse Absicht: „Ich bin überzeugt davon, dass die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner ihre Entscheidungen an der Befähigung und Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber ausrichten, nicht am Geschlecht.“
Eine umfassende Analyse der Frauenpolitik in Schleswig-Holstein spricht jedoch dafür, dass das Geschlecht sehr wohl Einfluss auf die Karrierechancen hat – und dass sich die Frauenpolitik hier rückwärts entwickelt. Während 2001 noch zehn Prozent der Beamten der Besoldungsgruppe A 16 weiblich waren, gibt es heute gar keine Frauen mehr unter den Spitzenbeamtinnen. Auch die Anzahl der Existenzgründerinnen ist rückläufig: Während es 2006 noch 615 Frauen waren, die die Investitionsbank betreute, waren es 2007 nur noch 428. Zum Vergleich: 1997 ließen sich dort 864 Frauen beraten.
Der stellvertretende Landesvorsitzende der Jusos, Thomas Stegemann, sieht die Quelle dieses Übels in der Wählerschaft jenseits von Flensburg, Kiel oder Lübeck: „In ländlichen Gebieten sind die Wähler konservativer“, argumentiert er. „Dazu gehört in den meisten Fällen, die CDU zu wählen – und deren Kandidaten sind nun mal männlich.“
Dass auch konservative Politiker weiblich sein können, beweist Mecklenburg-Vorpommern. Dort ist Kathrin Dollinger-Knuth seit sechs Jahren Landrätin des Kreises Mecklenburg-Strelitz. Eine politische Karriere hatte die heute 36-jährige ursprünglich nie geplant.
Nach dem Abitur ging sie für ein Jahr ins frisch wiedervereinte Berlin, machte anschließend eine Ausbildung zur Verlagskauffrau, entschied sich 1995 für eine Karriere als Immobilienberaterin und bildete sich später zur Sparkassenkauffrau weiter. 2001 trat sie dem Kreisverband der CDU in Mecklenburg-Strelitz bei.
Etwa zeitgleich wurde Elmar Schaubs, mit 34 Jahren sehr junger Kandidat der Partei, zum Landrat gewählt. Erst ein trauriger Zufall brachte Dollinger-Knuth in den Mittelpunkt der Kommunalpolitik: Ein Jahr nach seiner Wahl starb der beliebte Landrat. Um dem Kurs, die CDU zu verjüngen, treu zu bleiben, wurde Kathrin Dollinger-Knuth als Nachfolgerin vorgeschlagen.
Das mag nach Zufall aussehen – fraglich ist nur, ob ein ähnlicher Aufstieg einer jungen Politikerin in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein auch möglich gewesen wäre. Die Philosophin und Soziologin Antke Engel glaubt, dass Karrieren wie die Dollinger-Knuths in den neuen Ländern leichter möglich sind. „Ich vermute, dass es durchaus eine Rolle spielt, dass in der DDR die Gleichberechtigung von Frauen in Arbeitsverhältnissen sehr viel weiter fortgeschritten war als dies in westlichen Bundesländern bis heute ist,“ sagt die Forscherin, die sich mit feministischer und queerer Politik befasst. „So ist die Vorstellung, Frauen könnten bestimmte Aufgaben nicht erfüllen oder diese lägen außerhalb ihrer weiblichen Berufung in der DDR entsprechend stärker aus dem Alltagsbewusstsein entschwunden.“
Möglich sei auch, dass Männer in den ländlichen Gebieten Westdeutschlands parteiübergreifend die Kommunalpolitik als Ort nutzen, an dem sie „unter sich“ sein können – zumal sie ja bereits in der landwirtschaftlichen Produktion Hand in Hand mit Frauen arbeiten müssten.