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Archiv-Artikel

„Ich stehe für den letzten Rest des Sozialstaats“

Peter Zwegat hilft denen, die sich selbst nicht mehr helfen können. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er als Schuldnerberater. Es gibt immer genug zu tun: Berlin ist die Hauptstadt der Schuldner, jeder Zehnte hierzulande hat ein Problem mit den roten Zahlen. Seit 2005 berät Zwegat auch vor der Kamera. Seine RTL-Sendung „Raus aus den Schulden“ sehen bis zu fünf Millionen Zuschauer. Was sicherlich auch daran liegt, dass seine Zunge manchmal schneller ist als sein Hirn, wie der 58-Jährige großmütig einräumt. INTERVIEW: ANTJE LANG-LENDORFF, FOTOS: BERND HARTUNG

PETER ZWEGAT

Peter Zwegat ist gebürtiger Berliner. Bis er zehn Jahre alt war, wohnte er mit den Eltern und Geschwistern im Osten der Stadt, in Pankow. Dann flüchtete die Familie in den Westen, wo der Vater als Dreher zu arbeiten begann. Der 58-Jährige lebt in Charlottenburg – in derselben Wohnung, die er als junger Mann vor über drei Jahrzehnten bezogen hat.

Über Umwege kam Zwegat zur Schuldnerberatung: Er machte eine Ausbildung zum Verwaltungsbeamten, später studierte er Sozialpädagogik. Als der Staat Leute suchte, die Schulden als Ursache für andere Übel wie Alkoholismus bekämpften, meldete er sich.

Seitdem hat Zwegat eine Mission: Er will den Menschen klarmachen, dass es keine Schande ist, in die Schuldenfalle zu geraten. Dass man darüber sprechen soll, statt zu schweigen. Er sagt, das sei auch der Grund, warum er für RTL vor der Kamera steht. Der Job sei zwar das Stressigste, was er in seinem Leben gemacht habe. Er müsse ständig durch ganz Deutschland reisen. Abends fühle er sich oft „ausgelutscht wie eine Zitrone“. Aber das sei schon in Ordnung: Jetzt hörten ihm die Leute wenigstens zu.

taz: Herr Zwegat, haben Sie finanzielle Probleme?

Peter Zwegat: Nein, wieso?

Im Moment sieht man Sie ständig im Fernsehen. Sie müssen sich wohl etwas dazuverdienen.

Das ist ja nicht verboten. Als Schuldnerberater kommt man nur auf 1.500 bis 1.800 Euro netto, das ist nicht gerade üppig. Tatsächlich verdiene ich bei RTL und in den Talkshows zurzeit etwas mehr.

Was machen Sie mit dem Geld?

Das meiste lasse ich erst mal auf der Bank liegen, zur Sicherheit. Das Einzige, was ich mir bisher geleistet habe, waren zwei Uhren. 135 Euro das Stück, eine Blaue und eine Weiße. Je nach Hemdfarbe kann ich nun variieren. Ich wohne aber noch in derselben Charlottenburger Wohnung wie als Student und fahre noch meinen alten Golf.

Sie sind ein sparsamer Mensch?

Ich würde sagen: genügsam.

Das Geld war also nicht der Grund, warum Sie zu RTL gegangen sind.

Nein, natürlich nicht. Ich wollte das Thema Schulden in die Öffentlichkeit bringen. Sehen Sie die Jugendlichen am Cafétisch da vorne? Die haben mich vorhin alle gegrüßt. Die kennen mich. Früher bin ich regelmäßig in Schulklassen gegangen und habe Vorträge gehalten. Da saßen sie mit ihren Baseballcaps, von 25 Leuten hörten mir vielleicht 5 zu. Und heute? Wenn ich es wollte, würden die Jugendlichen alle hier an den Tisch kommen und an meinen Lippen hängen. Ich mache das Thema bekannt.

Über Schulden muss also mehr gesprochen werden?

Genau darum geht es mir. Schulden sind eines der letzten Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Viele Schuldner haben Angst davor, ausgegrenzt zu werden. Ich will den Zuschauern Mut machen, das Schweigen zu brechen, ihre Probleme anzugehen.

Die Leute legen in der Sendung nicht nur ihre Einnahmen und Ausgaben offen, sie geben auch Einblicke in ihr Privatleben.

Ja. Die müssen sich nackig ausziehen, nur so kann Schuldnerberatung funktionieren. Wenn sich jemand scheiden lassen will, muss ich das wissen, weil sich seine finanzielle Situation verändert.

Aber muss man das ins Fernsehen bringen? Ein machohafter Ehemann klopft peinliche Sprüche, die Frau daneben weint. Man kann auch sagen: Sie führen diese Menschen vor.

Das finde ich nicht. Wir zeigen nur die positivsten Szenen.

Das lässt Schlimmes befürchten.

In der Tat. Manche Leute kämpfen sich selbst aus dem Schlamassel. Aber viele sitzen einfach nur auf der Couch und schaffen es nicht mal, zu einem Bewerbungsgespräch zu gehen. Das ist leider die Realität. Soll man so tun, als gäbe es diese Menschen nicht? Fakt ist, dass wir jedes Jahr mehr Privatinsolvenzen haben, bundesweit waren es 105.000 im Jahr 2007. Wir sind nicht durch die Talsohle durch, der Spuk geht jetzt erst richtig los. Eine Decke des Schweigens darüber zu legen wäre grundfalsch. Man muss da politisch etwas ändern.

Was denn?

Wir brauchen mehr Beratungsstellen.

In Berlin gibt es 21 Anlaufstellen.

Das stimmt. Das erste Gespräch findet bei uns in Friedrichshain innerhalb von 14 Tagen statt, ein paradiesischer Zustand. In anderen Gegenden Deutschlands sind die Berater aber derartig überlastet, dass die Leute bis zu anderthalb Jahre auf einen Termin warten müssen. In der Zwischenzeit könnten die Schuldner doch schon sechsmal aus dem Fenster gesprungen sein.

Viele Länder wollen nicht mehr Geld für Schuldnerberatung ausgeben.

Deshalb sollte man die Gläubiger endlich mit einem sogenannten Schuldenpfennig an der Finanzierung der Beratung beteiligen. Die Banken profitieren von unserer Arbeit. Sie kassieren nachher ordentlich Kohle. Aber sie zahlen uns nichts.

Berliner können besonders schlecht mit Geld umgehen. Jeder zehnte kann seine Schulden nicht abbezahlen, eine höhere Quote als sonst überall in Deutschland. Warum ist Berlin die Hauptstadt der Schuldner?

Die Risiken sind überall die gleichen: Arbeitslosigkeit, Krankheit, Trennung vom Partner. Berlin ist eine Großstadt. Viele junge Menschen hier haben keinen Job. In manchen Kiezen brennt die Luft, wie man am 1. Mai wohl wieder feststellen wird. Hinzu kommt die Ost-West-Problematik. Mit der Wende hat sich für die Hälfte der Stadt von einem Tag auf den anderen das System geändert. Viele Ostler haben sich verschuldet. Wer drei bis fünf Jahre auf eine Schrankwand namens Erfurt warten musste und dann plötzlich in einem dieser Möbelhäuser steht, der kauft eben ein. Vor allem, wenn man nicht gleich bezahlen muss. Viele Defizite aus der Wendezeit sind heute noch nicht beseitigt.

Ist die Überschuldung eine Frage des Milieus?

Nein, das geht quer durch alle Schichten. Überschuldung kann die Rechtsanwältin oder den Polizisten genauso treffen wie den Hartz-IV-Empfänger. Man muss nur ein teures Auto auf Pump kaufen und plötzlich den Job verlieren, schon hat man ein Problem.

Und Sie helfen denen, die sich nicht mehr selbst helfen können?

Ja. Das habe ich so gelernt.

Inwiefern?

Ich musste mich schon als Kind oft um meine Mutter kümmern. Es gab keine Krankheit, die an ihr vorbeigegangen ist. Ich als Ältester habe dann auch nach meinen zwei Geschwistern geschaut. Das Helfen habe ich eingeimpft gekriegt.

Haben Sie Überschuldung mal selbst erlebt, in der eigenen Familie?

Das nicht. Aber ich bin arm aufgewachsen. Mein Vater hat als Dreher gearbeitet. Meine Eltern kauften uns Kindern die Schuhe immer auf Raten, weil das Geld nicht reichte. Die Schuhe waren irgendwann kaputt, aber immer noch nicht abbezahlt.

Da haben Sie das Problem von Ratenzahlungen begriffen?

Genau. Später zog ich dann in meine erste eigene Wohnung, in der ich heute noch lebe. Ich musste unbedingt eine bestimmte Fototapete haben, im Wohnzimmer „Buchenwald im Frühling“, im Schlafzimmer „Tropischer Strand“. Die Tapete war sündhaft teuer, eine Bahn kostete 90 Mark.

Sie können sich noch an den Preis erinnern?

Natürlich. Ich brauchte sieben Bahnen. Sieben mal neunzig macht 630 Mark, für damalige Verhältnisse ein Schweinegeld. Ich habe einen Kredit aufgenommen, in Raten abbezahlt und kam schnell zu dem Schluss: Das kann nicht funktionieren.

Im Vergleich zu den Summen, die manche Ihrer Klienten den Banken und Versandhäusern schulden, war das sicherlich wenig.

Ja, ich bin da recht schnell wieder rausgekommen. Mir war Arbeit aber auch nie zu viel. Und ich hatte sonst keine hohen Ansprüche, ich brauchte nicht so viel zum Leben wie manche Leute heute.

Die Anspruchshaltung vieler Menschen nervt Sie?

Nerven ist der falsche Ausdruck. Ich bemerke einen Unterschied und kann das manchmal nicht nachvollziehen. Ich gehöre zur Nachkriegsgeneration. Als ich zur Schule ging, wurde keiner ausgelacht, weil er die falschen Jeans anhatte. Das ist heute ganz anders. Alle Jugendlichen wollen Handys haben. Auch die Erwachsenen orientieren sich an Statussymbolen, brauchen unbedingt einen Flachbildschirm. Ich nicht. Mein alter Fernseher tut es noch.

Aber muss man das Leben nicht manchmal einfach genießen, statt immer nur an morgen zu denken?

Die Frage ist doch, was Genuss bedeutet. Manche Leute glauben, sie müssten dafür nach Mallorca fliegen. Ich sitze gerne in meinem Garten, mähe den Rasen. Danach ein kaltes Bier und einen Grappa – herrlich. Oder wenn ich zu einem Hertha-Spiel gehe, da denke ich auch nicht an morgen.

Er zündet sich eine Zigarette an, die dritte innerhalb einer Stunde.

In Ihrer Sendung rauchen Sie nicht so viel.

Da sehen Sie, ich bin wirklich kein Asket. Im Fernsehen gestattet man mir leider nur ab und zu eine Zigarette, wenn sie gekoppelt ist mit einem dramatischen Moment des Schöpfens. Eigentlich bin ich Kettenraucher, und dazu stehe ich. Wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen: Kommen Sie zu meiner Beerdigung, schmeißen Sie eine Schachtel Marlboro ins Grab.

Jetzt werden Sie aber radikal.

Klare Worte zu finden gehört zu meinem Job.

Ihre Sendung ist erfolgreich. Bis zu fünf Millionen schauen „Raus aus den Schulden“. Was haben Sie noch – außer Ihrer schnellen Zunge?

Meine Berliner Schnauze hilft sicherlich. Auch ein gewisses Maß an Erfahrung. Die Leute brauchen jemanden, der sich mit den Wechselfällen des Lebens auskennt. Und man muss einfühlsam sein. Manchmal bin ich ein bisschen Pfarrer, ein bisschen Psychologe. Manchmal auch einfach nur ein bisschen Mensch.

Vor allem sind Sie der Held der Sendung. Genießen Sie die Rolle des Retters in der Not?

Ja klar, ist doch angenehm. Wobei mich der Begriff „Rolle“ stört. Das hört sich ja an, als wäre es gespielt. Ich bin aber tatsächlich so wie der Zwegat im Fernsehen. Das macht meine Glaubwürdigkeit aus. Ich bin einer der alten Garde.

„Ich bin ein väterlicher Typ, den man fragen kann, wenn man Probleme hat. Der einem ordentlich den Kopf wäscht, der aber auch Hilfe anbietet“

Was meinen Sie?

Ich als Person repräsentiere so etwas wie den letzten Rest des Sozialstaats. Ich bin ein väterlicher Typ, den man fragen kann, wenn man Probleme hat. Der einem ordentlich den Kopf wäscht, der aber auch Hilfe anbietet. Das haben wir ja in vielen Bereichen sonst nicht mehr. Seit Jahren wird der Sozialstaat abgebaut. Schon möglich, dass ich zu einer aussterbenden Gattung gehöre.

Im Moment sind Sie aber noch sehr präsent, der bekannteste Schuldnerberater Deutschlands. Wie fühlt es sich an, berühmt zu sein?

Als die Dreharbeiten 2005 anfingen, habe ich nicht gedacht, dass ich irgendwann auf der Straße Autogramme geben würde. Aber wer aus dem Fenster guckt, muss auch damit rechnen, gesehen zu werden. Solange die Leute nicht mit der Bierpulle in der Hand nasepulend ankommen und mich belästigen, ist das okay. Wenn sich attraktive Frauen auf der Straße nach mir umsehen, umso besser. Davon habe ich als junger Mann geträumt. Heute kann ich es nicht mehr nutzen.

Warum nicht?

Na ja, das ist nicht mein Lebensstil. Ich habe eine Freundin und bin grundsätzlich treu. Aber es schmeichelt mir natürlich.

Hat Sie der ganze Trubel verändert?

Nein. Ich bin doch nicht bekloppt. Ich stehe jetzt für einen Zeitraum X im Rampenlicht. Aber irgendwann ist die Rampe zu Ende und das Licht wieder aus.

Was dann?

Ich hätte kein Problem, sofort wieder an meinen Schreibtisch in der Beratungsstelle in Friedrichshain zurückzukehren.

Das Fernsehen würde Ihnen nicht fehlen?

Ich glaube nicht. Ich werde bestimmt nicht bei irgendwelchen Promi-Dinners am Herd stehen, nur um ins Fernsehen zu kommen. Oder im Dschungelcamp sitzen. Das heißt: Das würde auch ein bisschen vom Honorar abhängen. Etwas mehr zur Seite zu legen wäre ja auch nicht schlecht. Da muss ich noch mal drüber nachdenken.

Wie viel genau verdienen Sie zurzeit bei RTL?

Wenn Sie meine Frau wären, würde ich Ihnen das erzählen.

Sie wollen das Thema Geld doch enttabuisieren. Dann sollten Sie öffentlich drüber sprechen.

Darum geht es hier nicht. Sie sind einfach neugierig.

Die Leute in Ihrer Sendung reden doch auch über ihr Geld.

Die haben ja auch ein Schuldenproblem. Ich nicht. Wenn ich das erzählen würde, käme sicherlich ein Neidfaktor ins Spiel. Von mir werden Sie keine Zahlen erfahren.