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Archiv-Artikel

„Steh auf, wer ein Homo ist“

Im Internet, im Kino, in der Kirche: Das ganze Wochenende gab es Aktionen gegen das Christival. Die Polizei nahm Protestierende in Gewahrsam, die Christival-Organisatoren bedankten sich

Ein Festgenommener wurde gezwungen, sich vollständig zu entkleiden

von Christian Jakob

Unter Polizeischutz ging am Sonntagvormittag mit einem Abschlussgottesdienst auf der Bürgerweide das Christival zu Ende. Nach Angaben der Veranstalter nahmen rund 20.000 Menschen an der Feier statt, die ohne Störungen verlief. In den Tagen zuvor war es immer wieder zu Protesten gegen einige der rund 300 Veranstaltungen des missionarischen Jugendfestivals gekommen.

Am Donnerstagabend störten etwa 15 Protestierende den Beginn des „Christival Film Award“ im Schauburg-Kino. Unter „Wir sind alle homosexuell“-Rufen verließen sie nach etwa einer halben Stunde den Kinosaal, die eintreffende Polizei sprach Platzverweise aus.

Am Freitag kam es zu Protesten gegen eine Vortragsveranstaltung in der St. Martini-Gemeinde. Der Gemeindepastor Olaf Latzel hatte angeboten, das auf dem Christival abgesetzte Seminar „Homosexualität verstehen – Chance zur Veränderung“ in seinen Gemeinderäumen abzuhalten. Die Organisatoren lehnten die Offerte jedoch ab. Latzel bezeichnete das als „Einknicken“. Ersatzweise lud er den Leiter des evangelikalen Missionswerkes „ProChrist“ aus Kassel, Ulrich Parzany, ein. Dieser sprach in einem Vortrag mit dem Titel „Steht auf, wenn ihr Christen seid!“ über das abgesagte Schwulenbekehrungs-Seminar.

Etwa 30 Schwule und Lesben mischten sich unter die Zuhörer und begannen mit einem „Kiss-In“, bei dem sie nach eigener Darstellung „homoerotische Zärtlichkeiten“ austauschten, sich ansonsten aber zunächst ruhig verhielten. Nach einiger Zeit protestierten Zuhörer lautstark gegen das Geknutsche. Nach einer Diskussion, während der die Protestler Erdbeersekt und rote Pappherzen im Publikum verteilten, verließen sie die Kirche. Dabei warfen sie mit Konfetti und sangen „Steht auf, wenn ihr Homos seid“.

Kurz danach eintreffende Polizeieinheiten verfolgten sie bis zum Markplatz, auf dem zu dieser Zeit ein Konzert des Christival stattfand. Am Kontorhaus hinderte die Polizei die Gruppe gewaltsam am Betreten des Markplatzes. „Die hatten den Schlagstock schon in der Hand als wir kamen“, sagte eine junge Frau, die an der Aktion teilgenommen hatte. „Dabei ging von uns keinerlei Gewalt aus. Wir sind erkennbar als Homosexuelle aufgetreten und nicht als Autonome oder sowas.“ Einige der Beteiligten seien durch Stockschläge leicht verletzt worden.

Die Polizei trieb die Gruppe bis zum Goethe-Theater vor sich her. Eine Fotografin, die den Vorfall dokumentierte, wurde nach Augenzeugenberichten brutal zu Boden geworfen, dort eine Weile niedergedrückt, der Film aus ihrer Kamera wurde zerstört. Zwei Personen wurden bis 23 Uhr in der Wache Stefanitor in Gewahrsam gehalten. Ein Festgenommener wurde nach eigenen Angaben von drei Beamten gezwungen, sich vollständig zu entkleiden, um festzustellen, ob er „gefährliche Gegenstände“ bei sich trage. Das „NoChristival“-Bündnis nannte dies eine „völlig unverhältnismäßige Demütigung eines Homosexuellen“.

Kurz bevor das umstrittene Seminar „Sex ist Gottes Idee – Abtreibung auch“ (Bericht Seite 23) in den Messehallen stattfinden sollte, sammelten sich am Samstagmittag rund 40 Christival-Gegner auf der Bürgerweide. Sie versperrten eine knappe halbe Stunde lang den Haupteingang zu den Messehallen. Als die Polizei eintraf, gaben sie den Eingang frei und wurden vom Zaun weggedrängt. Um zu verhindern, dass die Protestler weitere Aufmerksamkeit auf sich zogen, wurden die kleine Gruppe von Polizisten, kreisförmig um sie geparkten Einsatzfahrzeugen und Christival-Ordnern abgeschirmt. Die Ordner hinderten selbst einige Festival-Besucher mit körperlicher Gewalt daran, näher an die Eingekesselten heranzutreten. Nach mehr als einer Stunde wurden 34 Gefangene abtransportiert und bis 18 Uhr in Gewahrsam gehalten.

Ebenfalls am Samstagmittag hatten sich rund 200 Menschen zu einer weiteren „NoChristval“-Kundgebung auf dem Domshof versammelt. Die Polizei schirmte den Zugang zum Markplatz ab, auf dem zeitgleich eine Veranstaltung des Christival stattfand. Zu Zwischenfällen kam es hier nicht. Am Freitag hatten Hacker außerdem die Website des Christival unzugänglich gemacht und durch antiklerikale Parolen ersetzt. Bis Sonntag war die ursprüngliche Seite nicht aufrufbar.

„Es ist das erste Mal in der über 30-jährigen Geschichte des Christival, dass zum Schutz von Teilnehmern die Polizei eingreifen musste“, sagte Christival-Sprecher Steve Volke. Man habe sich jedoch „die positive Stimmung nicht nehmen lassen“. Organisator Roland Werner sagte, der „Gegenwind ist zum Rückenwind geworden, denn wir fahren alle gestärkt nach Hause“. Sein Geschäftsführer Heiko Linke bedankte sich bei der Stadt Bremen und nannte die Kooperation mit der BSAG und der Bremer Polizei „außerordentlich gut“.