: Wenn Pflanzen miteinander reden
Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Pflanzen nicht so stumm sind, wie wir meinen. Ihre Kommunikationswege sind nur andere als Sprache
VON FLORIANNE KOECHLIN
Wenn eine Tomatenpflanze von einer Raupe angegriffen wird, beginnt sie sich zu wehren und produziert Toxine. Gleichzeitig setzt sie Duftstoffe frei und warnt damit ihre Nachbarinnen. Die Duftstoffe bestehen aus Methyljasmonaten, die auch in Parfüms häufig verwendet werden. Forscherinnen mussten während ihrer Arbeit auf Chanel No. 5 verzichten, um die Tomatenpflanzen nicht zu verwirren.
Pflanzen kommunizieren immerzu, mit Hilfe von Duftstoffen. Auch unter der Erde reden sie miteinander und mit bestimmten Pilzen. Dieses unterirdische Kommunikationsnetz ist mindestens so groß wie dasjenige über der Erde, ein riesiges dynamisches Netz, eine Art www – wood wide web. Pflanzen registrieren Schwerkraft, Licht, Wasser, Temperatur, Mineralien, Duftstoffe und anderes. Und sie reagieren auf diese Signale: Sie ändern zum Beispiel ihr Wachstum oder die Anzahl der Blätter oder den Zeitpunkt der Blüte. Viele Forscher und Wissenschafterinnen sind heute überzeugt, dass Pflanzen ein Erinnerungsvermögen haben und aus Erfahrungen lernen können. Einige mutmaßen gar, dass es pflanzliche Strukturen gibt, die ähnliche Funktionen ausüben wie unser Nervensystem. Vor drei Jahren fassten sich der Zellbiologe Frantisek Baluska vom Institut für Zelluläre und Molekulare Biologie der Universität Bonn und der Florentiner Elektrophysiologe Stefano Mancuso ein Herz und gründeten die Gesellschaft für Pflanzen-Neurobiologie, die dafür sorgen will, dass diesem Feld endlich der gebührende Platz auf der Forschungsagenda eingeräumt wird.
Neurobiologie? Natürlich haben Pflanzen kein Nervensystem, dessen sind sich die beiden Pioniere durchaus bewusst. Doch ist schon lange bekannt, dass es bei Pflanzen neben den gut erforschten chemischen Botenstoffen auch sogenannte elektrische Aktionspotenziale gibt. Es ist denkbar, dass diese der internen Informationsübertragung dienen, ähnlich wie in den Nerven der Tiere und Menschen. Ich besuchte Frantisek Baluska und Dieter Volkmann an ihrem Institut der Universität Bonn und fragte sie, wie Pflanzen elektrische Aktionspotenziale weiterleiten. „Im Stengel und in den Wurzeln einer Pflanze stehen die Zellen röhrenförmig und geordnet übereinander. Sie sind stabil, und sie verlaufen immer in eine Richtung: von oben nach unten oder von links nach rechts. Das ist nicht so ein Durcheinander wie in tierischem oder menschlichem Gewebe, wo es keine richtige Ordnung oder fest zusammenhängende Domänen gibt. Darüber hatte man bisher nicht viel nachgedacht“, erklärte Frantisek Baluska. Die beiden Forscher vermuten, dass die Aktionspotenziale an diesen Röhren, den Zellreihen, entlang geleitet werden. Elektrophysiologische Messungen von Stefano Mancuso in Florenz hätten dies bestätigt. „Pflanzen brauchen also gar keine Nervenzellen, um elektrische Impulse weiterzuleiten“, sagt Frantisek Baluska. Ein Gehirn suche man bei Pflanzen natürlich vergebens: „Das brauchen sie auch nicht“, fährt er fort „ Sie haben einen diffusen Kommandobereich, der Reize von außen wahrnimmt, darauf reagiert und sich immer wieder auf Neues einstellt.“ Die beiden Wissenschaftler glauben, dass dabei die Wurzelspitzen eine wichtige Rolle spielen. So können Wurzeln auf geheimnisvolle Weise zwischen „Selbst“ und „Nicht-Selbst“ unterscheiden. Forschende vermuten, dass die Pflanze bisher unbekannte, nichtgenetische Fähigkeiten besitzt, um diese Unterscheidung zu treffen. Dies aber wird oft als Merkmal einer Gehirnleistung gewertet. Die beiden Wissenschaftler bestreiten keineswegs, dass sie erst mit Hypothesen arbeiten – und mit gewagten noch dazu. Noch sei vieles wissenschaftlich nicht erhärtet. Aber es könnte so sein. Was aber wären die Konsequenzen, wenn Pflanzen tatsächlich etwas Analoges zu unserm Nervensystem besitzen? Könnte es sein, dass Pflanzen so etwas wie Schmerzen empfinden? Frantisek Baluska sagt: „Pflanzen nehmen wahr, wenn sie ein Problem haben.“ Wenn man ein brennendes Streichholz unter ein Mimosenblatt halte, würden die Blätter auch in zwanzig Zentimeter Entfernung noch ausschlagen. Sie reagierten blitzartig. „Ob sie dabei leiden, ist uns nicht bekannt. Natürlich höre ich keinen Schmerzensschrei, doch die Pflanze reagiert heftig, sie zieht ihre Blätter ein. Wir ziehen den Finger ja auch zurück, wenn wir eine heiße Platte berühren.“ Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass Pflanzen Schmerzen fühlen. Aber es gibt Indizien dafür, dass wir dies nicht einfach ausschließen können. Es gibt Indizien, nicht aber eine ganze Indizienkette. Heute zu behaupten, sie könnten nichts empfinden, ist nach den vielen neuen Erkenntnissen genauso spekulativ wie das Gegenteil. Wir wissen es schlicht nicht. Es ist uns die Gewissheit abhanden gekommen, den Pflanzen eine Wahrnehmungsfähigkeit abzusprechen. Immerhin wurde die Pflanze bisher in ihren Fähigkeiten, die Umwelt wahrzunehmen, weit unterschätzt. Pflanzen und Tiere sind aus erdgeschichtlicher Sicht sehr jung; sie entstanden vor rund 400 bis 500 Millionen Jahren. In den drei Milliarden Jahren zuvor existierten nur einzellige Lebewesen. In diesem für uns unvorstellbar langen Zeitraum haben sich die Zellen weiterentwickelt, sehr langsam und sehr flexibel. Dabei entstanden nicht unbedingt Zellen mit optimaler Form oder Größe, sondern solche, die eine optimale Flexibilität haben. Während dieser drei Milliarden Jahre bildeten sich die Grundlagen der zellulären Kommunikation. Die Zellen waren in dynamische Beziehungsgeflechte eingebunden; sie kommunizierten, agierten und reagierten ständig miteinander. Aus diesen einzelligen Lebewesen entwickelten sich Pflanzen und Tiere parallel zueinander weiter, jeder in eine andere Richtung. Pflanzen, Tiere und Menschen haben also gemeinsame Wurzeln. Die Ähnlichkeiten auf der Zellebene liegen in unserer Verwandtschaft begründet. Aus Strukturen für eine schnelle Informationsleitung könnten sich bei den Tieren Gehirn und Nervensystem und bei Pflanzen analoge Strukturen entwickelt haben. Die Forschung ist erst am Anfang, doch die Hypothese macht Sinn. Auf den darüber liegenden Ebenen – den Geweben oder einzelnen Lebewesen – unterscheiden sich Tiere und Pflanzen radikal. Beide erreichten im Laufe der Evolution große Flexibilität, um sich an eine ständig sich ändernde Umwelt anpassen zu können, auf ganz unterschiedliche Weise. Was aber könnten die Konsequenzen aus diesen neuen Erkenntnissen sein? Wie gehen wir mit der Situation des „Nichtwissens“ um? Bei Tieren haben wir begonnen, die Konsequenzen zu ziehen. Wir anerkennen heute, dass sie keine lebenden Automaten sind, die nach einem immer gleich ablaufenden Programm reagieren. Wir gestehen ihnen – wenigstens teilweise – zu, dass sie eine Würde haben und um ihrer selbst willen zu respektieren sind. Die Diskussion um die Würde von Pflanzen ist noch meilenweit von diesem Punkt entfernt. Mit Pflanzen kann heute alles gemacht werden; es gibt keinerlei ethische Bedenken, kein Problembewusstsein. Dabei geht es nicht nur um die Pflanze. Wie wir Pflanzen behandeln, wirft ein Licht auf uns selbst. Es beeinflusst alle unsere Beziehungen zur lebendigen Umwelt. Ich kenne etliche Personen, die eine sehr enge Beziehung zu Pflanzen haben. Gemäß einer repräsentativen Umfrage in Deutschland redet ein Drittel der Befragten mit den Pflanzen, und fast die Hälfte denkt, dass Pflanzen Gefühle haben. Die Schweizer Verfassung gesteht allen Kreaturen – also auch Pflanzen – eine Würde zu. In der eidgenössischen Ethikkommission EKAH, deren Mitglied ich bin, diskutieren wir seit vier Jahren, wie die Würde der Pflanze geachtet werden könnte. Die Meinungen waren oft sehr kontrovers. Wir betraten Neuland, konnten uns auf nichts stützen, mussten für uns erst einmal die wichtigen Fragen herausfinden. Herausgekommen ist ein Bericht, der soeben veröffentlicht wurde (www.ekah.ch). Wissenschaft, Politik und Ethik sind noch nicht so weit. Da gelten Pflanzen meist immer noch als lebende Automaten, die beliebig manipulier- und patentierbar sind. Das muss sich ändern.
Der Text enthält Auszüge aus den Büchern „Zellgeflüster“ (2005 erschienen im Lenos-Verlag) und aus „PflanzenPalaver“ (erscheint im Herbst 2008 im Lenos-Verlag)