: Gentechnik-Haftung
Mit dem Biosicherheitsprotokoll versuchen Staaten ihre Sicherheitsinteressen durchzusetzen
VON CHRISTINE V. WEIZSÄCKER
Natürlich ist es besser, Schäden durch Gentechnik von vornherein zu vermeiden. Schadensvermeidung hat Vorfahrt. Vorsorgende Entscheidungen haben Vorfahrt. Wenn nirgends gentechnisch veränderte Organismen, GVOs, zugelassen würden, dann könnte man sich viel zusätzliche nationale und internationale Gesetzgebung sparen. Und man könnte sich das mühsame juristische Kleingedruckte bei der Erarbeitung eines internationalen Gentechnikhaftungsabkommens ersparen.
Zwerge und Riesen
GVOs werden aber in vielen Ländern zugelassen. Ihre Verbreitung wird von gigantischen Saatgutkonzernen betrieben. Sicherheitsauflagen einzelner Länder und Ländergruppen werden von der WTO als „Handelshindernis“ gebrandmarkt und abgestraft. Die weltweite Marktdurchsetzung und -beherrschung ist nationales Politikziel in den USA. Und gegen diese Giganten will ein Zwergenabkommen, von dem viele zum ersten Mal hören, antreten? Es ist schon angetreten. Es waren Umweltregierungsbeamte aus armen Entwicklungsländern, Vertreter von Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen, Kleinbauern, Ökobauern und Verbrauchern, Repräsentanten indigener Völker und unabhängige Wissenschaftler aus vielen Ländern, die sich seit 1994 gemeinsam für ein Umwelt- und Gesundheitsschutzabkommen im Gentechnikbereich einsetzten, das höherrangig, zumindest aber gleichrangig mit der WTO sein sollte.
Ein überraschender Erfolg waren Verhandlungen über ein Biosicherheitsprotokoll unter dem Dach der Konvention über biologische Vielfalt, die im Jahre 2000 abgeschlossen wurden. Der Protokolltext hatte allerdings unter dem Druck der agrarexportierenden Länder USA, Kanada, Australien, unterstützt von Argentinien, Uruguay und Chile, begleitet vom Druck der großen Gentechnik-Multis viele Federn lassen müssen. Inzwischen ist das Protokoll von 147 Staaten ratifiziert worden, darunter viele afrikanische Staaten und kleine Inselstaaten, die sonst keine Chance sähen, gegen die GVO-Einfuhr- und Kontaminierungsmaschine des Weltmarkts anzugehen.
Auch die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten sind Vertragspartner. Ein Rechtsinstrument braucht oft viele Bausteine, um seine Schutzaufgaben erfolgreich anzugehen. Das Vorsorgeprinzip als Grundlage von Entscheidungen ist anerkannt. Die Nicht-Unterordnung dieses Rechtsinstruments unter die WTO ist verankert. Das Recht der Staaten, zu erfahren, was in ihr Land kommen soll, und das Recht, nach eigener Abwägung gegebenenfalls Nein zu sagen, ist etabliert.
Andere nötige Bausteine blieben nur als schwache Merkposten im Protokolltext. Man hoffte, dass diese Lücken durch die engagierten Vertragsstaaten schnell mit gehaltvollen Beschlüssen gefüllt werden könnten. Die großen Protokollgegner würden ja dann nicht mehr mitgestalten können. Inzwischen sind aber viele Entwicklungsländer selbst zu GVO-Anbauern und -Exporteuren geworden. Das führt zu innenpolitischen und zwischenstaatlichen Konflikten, vor allem in Lateinamerika. Und auch mit nur indirektem Einfluss sind die USA mächtig. Immerhin, eine der Lücken im Bau des Biosicherheits-Protokolls wurde schon geschlossen: Identifizierungs- und Dokumentationspflichten wurden vervollständigt. In Bonn wird der Startschuss für die „Einbeziehung von sozioökonomischen Auswirkungen“ in die Risikoabschätzung gegeben. Eine Technologie, die mit großem PR-Aufwand ihre sozioökonomischen Vorteile betont, wird sich da der Realitätsprüfung auf sozioökonomische Schäden stellen müssen. Wer zahlt im Schadensfall?
Und jetzt zum Hauptthema in Bonn: Haftung und Wiedergutmachung. Reiche können sich ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit kaufen. Arme brauchen wirksamen Rechtsschutz. Das erste Vertragsstaatentreffen hatte sofort eine Arbeitsgruppe beauftragt, in 5 einwöchigen Sitzungen bis zum Jahre 2008 Regeln und Verfahren für Haftung und Wiedergutmachung zu erarbeiten. Darüber solle dann das vierte Vertragsstaatentreffen, MOP 4, entscheiden. Es ist 2008. Und in Bonn findet MOP 4 im Mai statt. Wie sieht es aus? Das fünfte, letzte Treffen der Arbeitsgruppe fand im März in Cartagena statt. Ihr Entwurf versucht mühsam widerstreitende Vorschläge unterzubringen. So sehen bei konfliktreichen Themen internationale Verhandlungsvorlagen vor der Schlussverhandlung jedoch häufig aus. Immerhin wurden vor MOP 4 noch drei weitere Verhandlungstage und -nächte in Bonn angesetzt. Kann das noch zu einem erfolgreichen Abschluss führen? Nicht jeder geglückte Abschluss ist auch ein wirklicher Erfolg. Ein inhaltsleeres Abkommen, das den gegenwärtig schon erreichten Zustand normaler nationaler Haftungsgesetzgebung als Erfolg verkauft, ist schlechter als gar nichts. Man würde damit Verbesserungen auf nationaler und internationaler Ebene auf Eis legen.
Was ist nötig, damit kein Opfer ohne Entschädigung bleibt? Schäden an biologischer Vielfalt, an menschlicher Gesundheit, an Leben und Besitz, an sozioökonomischen Chancen müssen einbezogen sein. Wir brauchen Gefährdungshaftung und Beweislastumkehr. Haftungsregeln müssen auf nationaler Ebene mit der Verpflichtung ergänzt werden können, jeden Import gegen mögliche Schäden zu versichern. Damit würde das Verursacherprinzip ganz in die Nähe des Vorsorgeprinzips rücken, denn ein Betreiber, der die Risikokosten in seine Wirtschaftlichkeitsrechnung einbeziehen muss, wird vorsichtiger entscheiden. Betreiber müssen bei drohenden oder eingetretenen Schäden die zuständige Behörde sofort informieren und geeignete und wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen. Die Behörde muss ihrerseits auch Maßnahmen veranlassen und die Kosten beim Betreiber zurückfordern können. Für Fälle, wo das nicht geht, muss ein Fonds zur Verfügung stehen, der dann einspringt.
Von der Industrie kritisch beäugt
Die großen sechs der Agrargentechnik, Monsanto, Syngenta, BayerCropScience, BASF, DowAgroSciences und DuPont/Pioneer boten in Cartagena einen Sechser-Pakt an. Man werde für die Wiedergutmachung „beträchtlicher tatsächlicher Schäden an der biologischen Vielfalt, die durch ihre Produkte verursacht würden“, sorgen. Doch damit würden andere Schadenskategorien ausgeschlossen. Angesichts der Aussage der Industrie, dass „die Anwesenheit eines GVOs in einem Ökosystem nicht als Schaden zu betrachten sei“, werden zudem alle Kontaminationsfälle ausgeschlossen. Da die Wirtschaft häufig eine freiwillige Selbstverpflichtung anbietet, wenn ein wirksames bindendes Rechtsinstrument droht, könnte man aus dem Angebot, das wohl nicht mehr als einen Schadensfall unter tausend abdecken würde, immerhin den ermutigenden Schluss ziehen, dass wir nicht weit von einem wirksamen internationalen Haftungsregime entfernt sind. Europa muss allerdings dringend seine Bremserrolle mit dem sogenannten Doppelschrittansatz aufgeben, der Verzögerungen um viele Jahre zur Folge hätte. Leider zögert der GVO-Weltmarkt überhaupt nicht. Geschädigte gibt es schon jetzt. Die Zivilgesellschaft dokumentiert weitere Fälle aus aller Welt und wird sie bei den Verhandlungen vorlegen.