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Archiv-Artikel

„Populistische Politik hat ihre Grenzen“

Philosophieprofessor Mićunović meint, dass Serbien sein demokratisches Potenzial bewiesen hat

DRAGOLJUB MIĆUNOVIĆ, 77, ist einer der Gründer der Demokratischen Partei und war Mitglied der Praxis-Gruppe.

taz: Herr Mićunović, was bedeutet der Sieg der proeuropäischen Koalition für Serbien?

Dragoljub Mićunović: Er ist eine weitere Bestätigung dafür, dass der europäische Kurs Serbiens nach der Wende vor acht Jahren nicht nur bewahrt worden ist, sondern permanent stärker wird. Diese Wahlen haben gezeigt, dass populistische Politik ihre Grenzen hat. Auch die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) mit der EU hatte Wirkung auf die Bürger Serbiens. Es hat gezeigt, dass die EU keine Fata Morgana, sondern etwas Realistisches ist. Die Bürger Serbiens erwarten jetzt von der EU konkrete Gesten, direkte Investitionen oder das Aufheben der Visapflicht. Das wirtschaftlich zerstörte und bombardierte Serbien hat nochmals sein demokratisches Potenzial bewiesen.

Aber der antieuropäische Parteiblock hat die Mehrheit im Parlament …

Mathematisch betrachtet haben sie zwei Mandate mehr im Parlament. Doch nicht alle Parteien werden diese rückständige Politik auch umsetzen wollen, denn sie würde Serbien in die internationale Isolation führen und das Rad der Geschichte zurückdrehen. Diese Politik der Konfrontation mit der Welt hat verloren, in Belgrad, in Niš, in allen serbischen Großstädten und auch in der Vojvodina. Es ist schlicht unvorstellbar, dass die Nationalisten Serbien zurück in die kriegerischen Neunzigerjahre versetzen. Sicher, es stehen komplizierte Koalitionsverhandlungen bevor. Doch das Mandat für die Regierungsbildung wird zuerst die Demokratische Partei bekommen. Serbien wird sich nach diesen Wahlen geradewegs in Richtung Europa bewegen.

Die Sozialistische Partei SPS wird man bei der Regierungsbildung kaum umgehen können. Muss man nicht einen zu hohen Preis für die Unterstützung der Erben Milošević’ bezahlen?

Die jetzige Führung der SPS muss sich vor niemanden mehr fürchten. Milošević ist tot, und seine Frau befindet sich auf der Flucht. In der Wahlkampagne musste die SPS auf ihre Stammwähler Rücksicht nehmen. Doch die jüngeren Mitglieder sehen die Zukunft ihrer Partei in der Sozialistischen Internationale. INTERVIEW: ANDREJ IVANJI