: Politischer Minimalismus
Scheinbar widersinnige Umkehrungen, die einen Raum für gesellschaftliche Bezüge öffnen, die in minimalistischer Kunst nicht häufig zu finden sind: Die Künstlerin Mona Hatoum in der Galerie Max Hetzler Temporary und in der DAAD Galerie
VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER
Auf dem grauen Betonboden der ehemaligen Fabriketage in den Weddinger OsramHöfen liegt ein viereckiges teppichartiges Gebilde, das aus rot ummantelten Elektrokabeln geflochten wurde. Aus dem großen, quadratischen Mittelstück winden sich die roten Kabelschläuche und schlängeln sich ringsherum durch den Raum. Am Ende jedes Strangs leuchtet eine 15-Watt-Glühbirne in regelmäßigen Abständen auf, dem menschlichen Atemrhythmus vergleichbar. Der zirkulierende Strom scheint das „Wesen“ zum Leben zu erwecken: Es atmet. Was wäre, wenn seine elektrischen Fangarme plötzlich auf einen zukämen und sich um einen schlängen? Das möchte man sich lieber nicht ausmalen. Trotz dieser unterschwelligen Bedrohung und verkörperten Haltlosigkeit zieht die elegante und präzise ausgearbeitete Bodenskulptur den Blick unweigerlich auf sich. „Undercurrent (red)“ ist eine aktuelle Arbeit von Mona Hatoum, die mit ihrer Ausstellung „Unhomely“ in der Galerie Max Hetzler Temporary derzeit neue und noch nicht gezeigte Werke präsentiert.
Auch in „Home“, einer Arbeit von 1999, wird Elektrizität genutzt, um eine von Angst erfüllte Atmosphäre zu schaffen. In einem weißen, begehbaren Kubus liegen hinter einem Drahtzaun verschiedene Edelstahlküchengeräte auf einem Tisch verstreut. Aus dem Halbdunkel flackern die verkabelten Utensilien periodisch auf, zugleich ertönt ein gefährlich klingendes Knistern und Knacken. Was als Zuhause bezeichnet wird, erweist sich als kein bisschen heimelig. Alles ist unter Strom gestellt – wie in Hatoums legendärer Installation „Homebound“ bei der Documenta XI.
Auf die Küche, das traditionelle Zentrum des trauten Heims, verweist Hatoum immer wieder durch den unterschiedlichen Gebrauch von Küchenutensilien als skulpturähnliche Vehikel. Eine Küchenreibe ist auf menschliche Größe angewachsen und steht nun wie ein Raumteiler aufgeklappt als Sichtblende im Raum. In dieser Übergröße wird die Perforierung zu einer scharfkantigen Lochung – „Paravent“ ist weniger eine schützende Wand als vielmehr eine körperliche Bedrohung. In ähnlicher Weise scheint „Daybed“ die Reibe in eine Liege umzufunktionieren, die nicht komfortablen Schlaf verspricht, sondern mit ihrer groben Zahnung nur Unbehagen und Schmerz ankündigt.
Das Zuhause wird in diesen Skulpturen auf Distanz gehalten oder aber als schmerzhaft empfunden. Wem der biografische Hintergrund der Künstlerin bekannt ist, kann nicht umhin, hier eine Verbindung zu sehen. Hatoum wurde 1952 in Beirut als Kind palästinensischer Flüchtlinge geboren. Eher zufällig befand sie sich 1975 in London, als im Libanon der Krieg ausbrach, saß dann in Großbritannien fest und blieb zum Kunststudium dort.
Unausweichlich persönlich wird die Erfahrung physischer, emotionaler und kultureller Distanz aber nur in ihrer Videoarbeit „Measures of Distance“ von 1988 thematisiert. Diese Arbeit, die allerdings nicht in der Ausstellung zu sehen ist, fungiert als Schlüsselwerk: Über Aufnahmen der Mutter beim Duschen werden arabische Schriftzüge aus den Briefen an ihre Tochter gelegt, während Hatoum sie auf Englisch vorliest. So intim und verletzlich hat sie die Suche nach Heimat nur einmal dargestellt. Spätestens seit den 90er-Jahren entwickelt sich Hatoum von ihren Performance- und Videoarbeiten hin zu minimalistischen Skulpturen – weg vom offensichtlich Politischen, hin zu einem Ansatz, der politische Ideen, in formale Ästhetik verpackt, eher unterschwellig hervorruft.
„Hanging Garden“, eine Installation, die zeitgleich in der DAAD Galerie gezeigt wird, ist ein gutes Beispiel dafür. Die aufgestapelten Sandsäcke, wie sie in konfliktgeplagten Ländern an Kontrollpunkten zu finden sind, haben eine Rauheit, deren Ästhetik an Arte Povera denken lässt. Von Gras überwachsen, erzeugen sie aber noch einen anderen Eindruck. „Gras darüber wachsen lassen“, wie es so schön heißt, ist in diesem Fall keine Lösung, sondern eher ein Problem. Eine Kriegssituation, die zeitlich befristet gedacht war, scheint zu einem Dauerzustand geworden zu sein.
Der Titel der Arbeit, der sich auf die Hängenden Gärten von Babylon bezieht, spitzt die politische Implikation noch weiter zu. Ohne diese Information lässt sich die Installation vielleicht als eine Art entropische Ruine im Sinne der Earth Art von Robert Smithson erfahren – eine organische Skulptur mit einem parasitären Ökosystem, das sich in den Zwischenräumen des Krieges einnistet.
Thematisch vergleichbar tritt in „Nature morte aux grenades“ (2006–2007) aus dem glitzernden Stillleben auf einmal die Brutalität des Krieges hervor. Bunte Glaskugeln auf einem Seziertisch entpuppen sich beim zweiten Hinsehen als Nachbildungen von Handgranaten. Hier erscheint in umgekehrter Manier, dass die Quelle der Gefahr auf einmal ansprechend ist. So wird ein Widerspruch zwischen der Verführungskraft des Materials und der impliziten Gefahr hervorgerufen.
Genau das macht den Reiz von Hatoums Arbeiten aus: ein widersinniger Umgang mit dem Material, das entgegen seiner Natur verwendet zu werden scheint, oder das Ansprechen von Themen, die sich in direkter Opposition zu den ihnen innewohnenden Qualitäten befinden. Diese denkwürdigen Umkehrungen erzeugen von außen kommende gesellschaftlichen Bezüge und Assoziationen, wie sie im Minimalismus so nicht zu finden sind. Damit beweist Mona Hatoum, dass politische Implikationen und Schönheit sehr wohl zusammen funktionieren können.
„Unhomely“. Galerie Max Hetzler Contemporary, bis 28. Juni. „Hanging Garden“, DAAD Galerie, bis 7. Juni