: Wie die Vogelgrippe
Bei der Kneipenarbeit in London fand der israelische Regisseur Michael Ronen heraus, was ihn am Theater interessiert. Ins Tacheles kommt er mit „Krieg“ von Lars Noren
Als Sprössling einer Theaterfamilie muss man sich entscheiden. Entweder kehrt man der Bühne den Rücken oder man misst sich zeitlebens mit der lieben Verwandtschaft. „Man kann auch einfach wegziehen“, sagt Michael Ronen und lümmelt sich zufrieden auf dem Bürosofa des Tacheles. Denn in Berlin muss sich der junge israelische Regisseur nun nicht mehr gegenüber Vater Ilan oder Schwester Yael behaupten. Der legendäre Intendant und die erfolgreiche Autorin wohnen in Tel Aviv. Mit gesunder Distanz zur Familie muss der 26-Jährige also nur seine junge Company zusammenhalten.
Sein ungewöhnliches Theaterkollektiv Conflict Zone Arts Asylum entstand Anfang letzten Jahres in London. „Ich hatte dort gerade mein Regiestudium beendet und arbeitete als Kellner in Brick Lane“, erzählt Ronen. Nicht das Studium, sondern die gastronomische Brotarbeit lieferte die Initialzündung für seine ersten Theaterinszenierungen. Im multiethnischen Kulturzentrum „Spitz“ begegnet Ronen erstmals anderen Migranten aus Krisenregionen. Und die Kollegen beschäftigen ihn so nachhaltig, dass er bald darüber nachdenkt, mit Schauspielern und Dramatikern aus Konfliktzonen zu arbeiten. „Ich wusste ja bereits ziemlich genau, was passiert, wenn man israelische und palästinensische Künstler zusammensteckt. Viel interessanter fand ich die Frage, wie sich die Dynamik verschiebt, wenn plötzlich ein Serbe oder ein Pakistani dazukommt.“
Nach einem Workshop für „Bühnenkünstler aus Krisenregionen“, den Ronen am Young Vic leitet, geht es Schlag auf Schlag. Die Teilnehmer des Workshops tun sich zusammen, präsentieren ihre Arbeit beim Edinburgh Fringe Festival, es folgt ein Umzug ins günstigere Berlin. Mittlerweile unterstützen namhafte Mitglieder wie der israelische Dramatiker Joshua Sobol die Arbeit der interdisziplinären Truppe. Gemeinsam beschäftigt man sich mit den Geschichten der Künstler – Nigerianer, Palästinenser, Libanesen oder Israelis – und sucht nach geeigneten Formaten für die Geschichten.
Im Tacheles wagt sich der junge Regisseur nun erstmals an eine bereits fertige Textvorlage. „In Lars Norens ‚Krieg‘ geht es ja auch um die Überbleibsel, die ein bewaffneter Konflikt hinterlässt“, erklärt Ronen. „Diesen Effekt, den ein Krieg auf die Zivilbevölkerung hat, wollte ich umsetzen.“ Dabei stammen die Schauspieler dieser Produktion – mit denen er sein Netzwerk erweitert – fast alle aus Deutschland.
Ronen hat ein ausgeprägtes Gespür für den kreativen Umgang mit dem Krisenhaften, das vermutlich aus Erfahrungen in der eigenen Heimat rührt. In Israel werden heute vor allem zeitgenössische Autoren der zweiten und dritten Generation gespielt, deren Stoffe vorrangig um Probleme kreisen, die durch die Besatzung und die Intifadas entstanden sind. „Mag sein“, sagt Ronen und verkriecht sich tiefer in das Sofa. „Aber ich will mich eben nicht nur in der eigenen Erfahrungsblase bewegen. Heute ist doch ohnehin jeder seine eigene Konfliktzone. Die einzelnen Kriege stehen immer stärker miteinander in Verbindung, und der Konflikt ist immer virulenter geworden. Es ist ein bisschen wie mit der Vogelgrippe. Konflikte sind global und mobil.“ Das soll auch Ronens Theater sein.
So denkt er beispielsweise über eine „Orestie“-Adaption mit einer Besetzung von Deutschen, Palästinensern und Israelis nach. Auch wenn das sehr an die „Antigone“ seiner Schwester erinnert, die sie vor nicht allzu langer Zeit in Dresden inszenierte. „Was soll ich machen?“, fragt Ronen und lächelt. „Mein Vater, meine Schwester und ich stammen nun mal aus dem gleichen Stall.“ Das ist ja gar auch nicht weiter schlimm. Die Abnabelung hat ja schließlich schon mit dem Umzug nach Europa stattgefunden. ELISABETH WELLERSHAUS
Premiere im Tacheles 22. Mai, 20 Uhr. Weitere Aufführungen: 23./25./29./30. + 31. Mai