„Das ist desillusionierend“

Schulmodelle können an sozialen Unterschieden nur wenig ändern, stellten Bildungsforscher im Bremer Schulreform-Ausschuss fest. Und empfehlen ein Modell, das auf Jahre Konsens stiftet

von Klaus Wolschner

„Fachausschuss Schulentwicklung“ heißt das Gremium, das seit Monaten in Bremen tagt – im Herbst soll es Ergebnisse liefern. Gestern waren zwei Experten geladen, die darüber Auskunft geben sollten, welche Schulstruktur denn gut wäre für Bremen. Das bedeutet: Es begann die heiße Phase der Ausschussarbeit. Dass der Unterricht irgendwie besser sein könnte und dass es irgendwie mehr Geld geben müsste für die Schulen, ist schnell Konsens unter den Bildungspolitikern. An der Frage der Struktur scheiden sich aber die Geister.

„Das Zwei-Säulen-Modell führt in die Irre“, hat die Lehrergewerkschaft GEW erklärt. Bremens Schulsenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) hat jüngst dafür plädiert, doch die kaum noch überschaubare Schulvielfalt in Bremen durch „zwei Säulen“ zu ersetzen: Neben den klassischen Gymnasien könnte ein neuer Typ „Oberschule“ entwickelt werden. Darunter versteht sie mehr oder weniger integrierte Schulen, die Haupt- und Realschulabschlüsse anbieten und auch das Abitur nach 13 Schuljahren. Auch die Linksfraktion lehnt die Idee eines zwei-Säulen-Modells grundsätzlich ab: „Die Selektion der Kinder nach Klasse vier ist ein übles Relikt aus alten Zeiten und gehört endlich auch in diesem Land abgeschafft.“

Für ausgewiesene Schulexperten wie den Hamburger Erziehungswissenschaftler Reinhard Lehberger ist die Sache komplizierter. Er gehörte der Enquete-Kommission an, die das Hamburger Zwei-Säulen-Modell vorgeschlagen hat. Die soziale Herkunft, so erklärte er, spiele eine große Rolle bei dem prognostizierten Schulerfolg, LehrerInnen könnten daran nur begrenzt etwas ändern – „das ist desillusionierend“. Eine Langzeitstudie, berichtete er, habe ergeben, dass selbst in Fällen, bei denen über Gesamtschulen die Abiturienten-Quote leicht erhöht werden konnte, die erreichte berufliche Position im Alter von 35 Jahren wieder stärker mit der sozialen Herkunft „gekoppelt“ ist. „Entkoppelung“ von Schulerfolg und sozialer Lage ist aber das Argument derer, die die Abschaffung der Gymnasien fordern.

Auch andere Ergebnisse der Bildungsforschung, die durch die PISA-Datenerhebung viel Stoff hat, sind für Schulreformer desillusionierend. Die Methodenvielfalt etwa sei für den Lernerfolg nicht so wichtig wie das über Jahre behauptet wurde, es gebe auch erfolgreichen Frontalunterricht. Hausaufgaben dagegen seien wichtig, jedenfalls das „Konsolidieren“ des Gelernten. Vor allem aber sei eine „gelingende Beziehung“ zwischen Lehrpersonen und SchülerInnen wichtig – etwas, was kein angehender Pädagoge lerne.

Sehr skeptisch äußerte sich Lehberger, was das Hamburger Modell einer sechsjährigen Grundschule angeht. Schule müsse unter einem Dach stattfinden, aber nur 80 von 200 Grundschulen in Hamburg böten baulich die Voraussetzungen für das neue Modell. Aus der Erfahrung der niedersächsischen Orientierungsstufen sei zudem bekannt, dass aus Schulen, die baulich nicht an Gymnasien angegliedert seien, auch weniger aufs Gymnasium wechseln würden nach der 6. Klasse. Wenn nach der Grundschulzeit die Eltern bei der Auswahl des Schultypus überhaupt nicht mehr mitreden dürften, sei zudem politischer Krach vorprogrammiert. Die Skepsis der Eltern gegenüber diesem Schultyp sei nicht zu Unrecht groß: Nach den vorliegenden Untersuchungen habe die sechs-jährige Grundschule zwar einen „Kompensationseffekt für schwächere Schüler“, das habe aber eine schlichte Kehrseite: „Bessere Schüler werden weniger gefördert.“

Fazit: Es sei „klug, nichts gegen den Elternwillen zu unternehmen.“ Denn Schulreformen brauchten mehr Zeit als die vier Jahre einer Legislaturperiode, um Wurzeln zu schlagen.

In Schleswig-Holstein, berichtete der Schulreform-Berater Ernst Rösner aus Dortmund, sei der Schulfrieden „durch die Macht des Faktischen“ hergestellt. Die CDU-regierten Kommunen würden „Gemeinschaftsschulen“ gründen, das ist etwa das, was Bremens SPD-Senatorin „Oberschule“ nennen will. Nur wenn diese „Schule für alle“ auch für Gymnasial-Kinder attraktiv ausgestattet werde, könne sie erfolgreich sein. In zehn Jahren werde man das wissen, so Rösner. Bis dahin herrsche ein „Wettstreit“ zwischen den beiden Säulen – um die Gymnasial-SchülerInnen. Schulen, die kein Gymnasial-Niveau anbieten, seien heute nicht mehr wettbewerbsfähig. Rösner plädierte dafür, den Schulen „Beratungskapazität“ anzubieten, ihnen aber die Verantwortung für ihr pädagogisches Konzept nicht abzunehmen.