piwik no script img

Jukebox

Die Zukunft liegt schon unzweifelhaft hinter uns

Wo rauchen denn noch die Schlote? Selbst über der Ruhr sieht man die Sonne aufgehen. Der einst von Willy Brandt geforderte blaue Himmel dort ist Wirklichkeit. Wenigstens an schönen Tagen.

Aber, so sangen die Einstürzenden Neubauten: „Keine Schönheit ohne Gefahr“.

Der Soundtrack zum Übergang der spätindustriellen zur Dienstleistungsgesellschaft hört sich nicht hübsch. Während Margaret Thatcher als Premierministerin den Gewerkschaften das Kreuz brach, gab Pop wieder den Seismograph und stürzte sich in diese Verwerfungen. Mehr als Punk noch die Industrial-Musik, die sich in der Wahl ihrer Mittel gar nicht festlegen wollte: Wüst wurde auf Ölfässern getrommelt, genauso wüst wurden die neuen elektronischen Möglichkeiten benutzt. Also Archaik und Modernismus, die sich in der Kunstgeschichte ja seit der Zeit der französischen Salons (Gauguin, Dubuffet, Dada…) als Kumpel kennen. Jedenfalls hörte sich diese Musik, Industrial, oft wie der Lärm in einem Maschinenraum. Das war auch so gewollt. „Hör mit Schmerzen“, sangen wieder die Neubauten, Berlins Vertreter des Rumorismus, denen mittlerweile vorgeworfen wird, dass sie gar nicht mehr mit Krachattacken wie in ihren Kindertagen die Welt erschüttern. So zu tun wäre aber einigermaßen kindisch. Die Einstürzenden Neubauten sind nicht blöd. Sie machen heute einfach Musik. Am Samstag spielen sie in der Columbiahalle. Industrial als Zeitgeist ist vorbei und war selbst doch bereits schon Industrieromantik. Sieht man zum Beispiel beim Artwork von Laibach, diesen slowenischen Stiefelrockern, deren semiotische Verwirrspiele Rammstein zu dem kleinen dummen Witz machen, der sie eben sind. Jetzt erklären Laibach – am Montag im Lido – die „Kunst der Fuge“: als Konzert für „Kreuzschach und vier Schachspieler“.

Natürlich war Industrial nie Hitparade. Die Mehrheit spricht andere Wahrheit. Die Dienstleistungsgesellschaft sucht nach dem zweiten Teil des Wortes und will Geselligkeit. Viele sehen ihre Zukunft dabei im Mittelalter. Das hört man auch, mit Krummhorn und Schalmeien. Die Mittelalterrocker Subway to Sally gewannen Stefan Raabs Bundesvision Song Contest. Die Mittelalterrocker In Extremo stehen gerade mit ihrem Album „Sängerkrieg“ auf Platz eins der deutschen Charts. Der Soundtrack zu den Mittelaltermärkten. Hier rauchen wenigsten noch die Lagerfeuer.

Musikalischer Modernismus ist vorbei. Man spielt wieder Historismus. THOMAS MAUCH

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen