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Archiv-Artikel

Wenn die Pille zu teuer ist

Der Staat kommt nicht mehr für die Kosten von Empfängnisverhütung auf. Das führt zu einem riskanteren Verhütungsverhalten, sagen Experten auch in Norddeutschland – und damit zu mehr ungewollten Schwangerschaften

SONST NIX ZU TUN

Der größte Teil der Schwangerschaftsabbrüche wird in Bremen von ÄrztInnen der Pro Familia vorgenommen. Eine Alternative sind Kliniken und niedergelassene ÄrztInnen. Bis 2006 veröffentlichte die Bremer Gesundheitsbehörde eine Adressliste – woraufhin die „Initiative Nie Wieder“ den aufgeführten ÄrztInnen Klage androhte – wegen Verletzung des Werbeverbots für Abbrüche. Der Verein kämpft laut Homepage gegen „Abtreibungsmord“ und „Versexualisierung unserer Jugend“. EIB

VON EIKEN BRUHN

„Ich wollte mir ja die Pille holen, aber dann hatte ich kein Geld.“ Diesen Satz hört Reinhard Dietrich seit einigen Jahren immer häufiger. Der Sexualpädagoge berät bei dem Institut für Familienplanung und Sexualpädagogik Pro Familia in Bremen Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind. Mit Zahlen belegen könne er das Phänomen nicht, sagt Dietrich, aber er registriere, dass sich die Verhütungspraxis seit den Hartz-IV-Reformen verändert hat: Statt mit Langzeitmethoden werde „nach Bedarf verhütet“. Also mit Kondom, wenn eins zur Hand ist. Oder gar nicht.

Der Hintergrund: Seit Januar 2005 bekommen Erwerbslose eine Pauschale als Hilfe zum Lebensunterhalt. Davor konnten sie Unterstützung für besondere Ausgaben beantragen, darunter fielen auch Verhütungsmittel. Im Regelsatz des Arbeitslosengeldes II sind rund 13 Euro für Gesundheits- und Körperpflege vorgesehen, die Anti-Baby-Pille kostet zwischen fünf und 17 Euro im Monat. Langzeitmethoden sind zwar günstiger, dafür fallen dann allerdings auf einen Schlag bis zu 300 Euro an. Die Krankenkassen übernehmen die Kontrazeptiva-Kosten nur bis zum 20. Lebensjahr.

„Für die Frauen ist das ein Riesenproblem“, sagt Dietrich, dessen Einschätzung von BeraterInnen in ganz Deutschland geteilt wird – und von der Bremer Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter. Eine Bremer Bundesratsinitiative werde es trotzdem nicht geben, sagt deren Sprecherin. Die Hartz-IV-Sätze seien nämlich insgesamt zu niedrig veranschlagt: „Das betrifft alle Lebensbereiche.“

Eine Mini-Studie von Studierenden an der Fachhochschule Merseburg stützt die Beobachtung der Beratungs-Experten: Nur 30 Prozent von 69 befragten ALG-II-Empfängerinnen gaben an, immer zu verhüten; vor Hartz IV wollen 67 Prozent „immer“ verhütet haben. Aufschlussreich ist auch die Wahl der Mittel: Mehr als die Hälfte der Frauen setzen demnach auf Kondome, nur ein Viertel nutzt die Pille. Umgekehrt war das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – allerdings vor zehn Jahren.

Es fehlen nicht nur aussagefähige Daten zum Zusammenhang zwischen Hartz IV und Verhütungsverhalten, sondern auch zu den Konsequenzen. Zwar gab es 2007 bundesweit wieder weniger Schwangerschaftsabbrüche. Im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist die Zahl aber in den Flächenländern Saarland und Schleswig-Holstein sowie den Stadtstaaten Bremen und Hamburg. Was nach Angaben des Pro-Familia-Mannes Dietrich aber nicht viel aussagt: 1.682 Bremerinnen haben im Jahr 2007 eine Schwangerschaft abgebrochen, das sind gerade einmal 34 mehr als 2006. Davor war die Zahl kontinuierlich gesunken Dietrich spricht von „normalen Schwankungen“. Auch haben nicht mehr Teenager abgetrieben als in den Jahren zuvor: Mit 112 Mädchen unter 18 Jahren ist die Zahl in Bremen konstant geblieben. „Teenager verhüten heutzutage so gut wie nie zuvor“, sagt Dietrich mit Verweis auf eine repräsentative Studie der BZgA.

Auch der Pro-Familia-Bundesverband hält die in einigen Bundesländern gestiegenen Abbruchraten nicht für ein Anzeichen einer Trendwende. So gab es beispielsweise im Jahr 2004 in vielen Bundesländern mehr ungewollte Schwangerschaften als in den Jahren davor und danach – in Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sogar mehr als im vermeintlichen Spitzenjahr 2007. Entwarnung gibt der Verband dennoch nicht und fordert weiter, dass die Kosten für Verhütungsmittel wieder vom Staat übernommen werden.

Ungewollte Schwangerschaften werde man aber auch so nicht ganz vermeiden können, sagt Reinhard Dietrich. Keine Verhütungsmethode biete eine hundertprozentige Sicherheit, auch nicht Hormonspirale oder Pille. „Deren Wirkung wird von einigen Medikamenten ausgehebelt“, sagt Dietrich, „selbst von nicht verschreibungspflichtigen wie Johanniskrautpräparaten“. Ihn ärgert, dass viele Lehrer im Aufklärungsunterricht und selbst Ärzte falsche Informationen verbreiten, etwa über die Überlebensdauer von Spermien. Und: „Schwangerschaftsabbruch ist immer noch ein Tabu – obwohl jedes Jahr über 100.000 Frauen davon betroffen sind.“

Die Kosten für einen Abbruch muss jede selbst tragen, es sei denn, sie verdient unter 996 Euro im Monat, unabhängig vom Einkommen des Mannes. Zum Problem wird diese Regelung für die Frauen, die knapp über der Grenze liegen, aber keinen finanzkräftigen Partner haben. 216 Euro kostet laut der Bremer Gesundheitsbehörde ein ambulanter Eingriff, eine Vollnarkose 365 Euro. Ein Skandal, sagt Dietrich: Eine Frau, die eigentlich eine Vollnarkose wolle, verzichte möglicherweise darauf, weil sie es sich nicht leisten kann.