„Wir wollen wieder regieren“

Hamburgs SPD-Parteivorsitzender Ingo Egloff im taz-Interview über schwarz-grüne Luftschlösser und Formelkompromisse, schlechte Sozial- und Wirtschaftspolitik und über Rot-Grün-Rot in vier Jahren

INTERVIEW MARCO CARINI
UND SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Egloff, was erwarten Sie von der schwarz-grünen Regierungserklärung, die Bürgermeister Ole von Beust am Mittwoch vor der Bürgerschaft abgeben will?

Ingo Egloff: Überraschungen erwarte ich nicht, schon gar keine positiven. Der Koalitionsvertrag ist ja bekannt, und er ist schlecht für Hamburg. Wir halten unsere Kritik daran aufrecht.

Welches sind die größten Fehler oder Defizite der Regierungsvereinbarung?

Erstens die Schulpolitik, das ist nur ein Formelkompromiss. In der Energiepolitik stiehlt sich die Koalition aus der politischen Verantwortung und will die Entscheidung über Moorburg Gerichten überlassen. Besonders schlimm ist, dass die schwarz-grüne Koalition fast nichts gegen die fortschreitende soziale Spaltung der Stadt unternimmt. Und viertens kritisieren wir den Abschied von einer soliden Wirtschafts- und Industriepolitik.

Die Mehrheit der HamburgerInnen ist für längeres gemeinsames Lernen. Isoliert sich die SPD da nicht mit ihrer Kritik?

Mittelfristig wollen wir auch das längere gemeinsame Lernen. Die Frage ist aber, wie kommt man dahin. Die sechsjährige Primarschule, wie Schwarz-Grün sie vorsieht, ist gefährlich. Es darf nicht sein, dass die Auslese der Kinder nun schon in der Vorschule passiert. Und die Abschaffung des Elternwahlrechts wird vor allem in den wohlhabenderen Stadtteilen zu einem Run auf Privatschulen führen. Das ist keine soziale Schulpolitik.

Und was gefällt Ihnen an der Vereinbarung zu Moorburg nicht? Die Umweltbehörde soll nach Recht und Gesetz entscheiden, heißt es da. Das haben Sie doch auch gefordert.

Wir haben uns für ein modernes und effizientes Gaskraftwerk ausgesprochen. Aber natürlich sind wir keine politischen Hasardeure. Wenn der alte CDU-Senat sich vertraglich bei Vattenfall so gebunden haben sollte, dass ein Ausstieg ohne Schaden für die Stadt nicht möglich ist, dann muss die grüne Umweltsenatorin das Kohlekraftwerk wohl genehmigen. Auch schlechte Verträge müssen erfüllt werden.

Im Juni soll die Entscheidung für oder gegen Moorburg fallen. Hoffen Sie auf die erste Koalitionskrise? Zerbricht Schwarz-Grün am Kohlekraftwerk?

Das glaube ich nicht. Beide Partner sind zu frisch in die Macht verliebt, als dass sie diese aufs Spiel setzen würden.

Aber könnte bei einem Entscheid für Moorburg nicht die grüne Basis sagen, das geht zu weit, das machen wir nicht mit?

Ich denke nicht. So wie die GAL-Basis auf ihrer Versammlung den Koalitionsvertrag abgenickt hat, mache ich mir über ihre Treue zu grünen Prinzipien keine Illusionen mehr.

In der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sieht der Koalitionsvertrag eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen vor. Sind das aus Ihrer Sicht zu wenige oder schlicht die falschen?

Das hat weder Hand noch Fuß. Der Kampf für mehr Jobs und gegen Langzeitarbeitslosigkeit muss intensiver geführt werden. Dazu gehören auch Maßnahmen zur Qualifizierung von Arbeitslosen jenseits von Ein-Euro-Jobs. Und es müssen Perspektiven für die knapp 2.000 Jugendlichen geschaffen werden, die jedes Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen. Aber unser Eindruck ist, dass Menschen, die gezielte Unterstützung benötigen, von diesem Senat nicht viel zu erwarten haben.

Und was gefällt Ihnen an der Wirtschaftspolitik von CDU und GAL nicht?

Die Schwerpunktsetzung ist falsch. Kreativwirtschaft fördern ist schön und gut, aber im Vertrag gibt es dafür nur Schlagworte. Dafür dürfen die traditionellen Wirtschaftssektoren nicht aufs Spiel gesetzt werden. Hamburg ist die größte Industriestadt Deutschlands mit 100.000 direkten und 300.000 indirekten Arbeitsplätzen in der so genannten alten Wirtschaft. Es dürfen dort keine Nachteile entstehen.

Sie lehnen Innovationen in neuen Wirtschaftszweigen ab? Haben Sie Angst vor den Industriegewerkschaften und der Linkspartei?

Das hat damit nichts zu tun. Hamburg braucht den Hafen und die Luftfahrt. Und Hamburg braucht Wachstum und Arbeit in den Grundstoffindustrien: Aluminium, Kupfer, Stahl – warum sollten wir das für Luftschlösser aufs Spiel setzen? Stärken zu stärken ist gute Politik.

Wie will die SPD in der Bürgerschaft Opposition gegen Schwarz-Grün machen mit einer linken Konkurrenz an der Seite? Werden beide Fraktionen sich mit wohlfeilen Forderungen überbieten?

Die SPD wird das nicht tun. Sinnvolle Forderungen der Linken werden wir unterstützen, unsinnige werden wir ablehnen. Wir werden versuchen, mit der Linkspartei ein ganz normales Verhältnis wie zu den anderen beiden Fraktionen im Parlament herzustellen.

Die Linke ist für Sie also eine normale demokratische Partei? Wäre sie dann perspektivisch auch ein Koalitionspartner?

Wir müssen sehen, wie diese Partei sich entwickelt. Bislang ist vieles utopisch, was die wollen.

Der einstige Spitzenkandidat Michael Naumann begreift sich als „bewussten Anti-Kommunisten“ und schloss jede Zusammenarbeit mit der Linken aus. Jetzt hat er seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Ist ohne Naumann Rot-Grün-Rot eine strategische Option?

Das werden wir entscheiden, wenn es so weit ist. Natürlich wollen wir wieder Regierungsverantwortung übernehmen, und das nicht als Juniorpartner in einer großen Koalition.

Im Klartext: Sie schließen ein Bündnis mit der Linken nach der nächsten Bürgerschaftswahl nicht aus.

So ist es.

Im Dezember 2011, drei Monate vor der turnusmäßigen Neuwahl, wird Ole von Beust den Sozialdemokraten Max Brauer als am längsten amtierender Bürgermeister in Hamburg übertreffen. Ein Symbol für den Triumph des Bürgertums in der einstigen roten Hochburg an der Elbe?

Es wäre vor allem das Symbol dafür, dass Ole von Beust dann die längste Zeit Bürgermeister gewesen sein wird.

Fotohinweis:INGO EGLOFF, 52, ist seit März 2007 SPD-Parteichef in Hamburg. In der Bürgerschaft ist der Jurist stellvertretender Fraktionsvorsitzender.