: Fast kommerzfreie Zone
Treffpunkt der Liebhaber des organischen Klangs: Was im Schöneberger Plattenladen Mr. Dead & Mrs. Free über den Tisch geht, wird mit Überzeugung verkauft. Seit schon genau 25 Jahren
VON THOMAS WINKLER
Der Kunde war schon etwas älter und er hatte ein Problem. Seine Kinder hatten ihm einen CD-Player geschenkt. In den wollte er nun die Musik einschieben, die seine kranke Frau am liebsten hörte, alte Platten von Leonard Cohen oder Van Morrison. Im großen Kulturkaufhaus aber fühlte er sich verloren, fand nichts, wurde nicht bedient. Also landete er bei dem nach einer New Yorker Performance von 1981 benannten Laden, Mr. Dead and Mrs. Free. Ina Rüberg zog die CDs kurzerhand aus dem Regal, und, erzählt sie, „seitdem kommt der jetzt immer wieder“.
Der alte Herr ist nicht der typische Besucher des längst legendären Plattenladens in der Schöneberger Bülowstraße, der mit einem Konzert an diesem Samstag seine 25-jährige Existenz feiert. Aber allzu sehr drückt er das Durchschnittsalter der Kundschaft auch nicht nach oben. Das Publikum ist gewachsen mit dem Laden, der längst auch eine Touristenattraktion geworden ist und in Reiseführern gelistet wird. So kommen vor allem im Sommer und vor Weihnachten Besucher aus aller Herren Länder, um sich mit Souvenirs einzudecken: Vinyl von Can, Kraftwerk und den Einstürzenden Neubauten.
Ansonsten steht in dem Laden alles, was sich, so Quante, unter „songorientiert“ zusammenfassen lässt, „das kann auch elektronische Musik sein, Reggae oder auch Jazz“. Ist dann vornehmlich aber doch Rock, Blues, Country, Americana, Roots, klassischer Soul oder Britpop. Und muss, das ist noch wichtiger, den Besitzern selbst gefallen. „Gerade das, was wir nicht da haben, gerade der Ausschluss, das gibt dem Laden Profil“, sagt Quante. Stattdessen, glaubt Rüberg, ist Mr. Dead and Mrs. Free eine Ruhezone in einer durchkommerzialisierten Welt: „Wir wollen den Leuten nichts andrehen, und das merken die. Klar will ich was verkaufen, aber ich verkaufe lieber eine gute Platte als eine schlechte.“
Konsequenz dieser Haltung ist ein treuer Kundenstamm, zu dem Prominente wie Wolfgang Doebeling und Bela B. von Die Ärzte gehören, und der bisweilen an eine Sekte gemahnt. Und dann gibt es natürlich die berühmten Aufkleber auf den Hüllen, in denen die drei Verkäufer den Kunden ihre maßgebliche Meinung mitteilen: „Gut!!!“ steht dann da oder eine Genre-Einordnung. Nicht, dass sich die Belegschaft immer einig wäre. Deshalb kleben oft gleich mehrere Zettel mit verschiedenen Meinungen auf der Platte.
Mit gerade mal 300 Platten hatten Quante und Rüberg vor 25 Jahren begonnen. Als dritte Kraft kam dann Tim Schneck dazu, der momentan aber eher mit den Partys seines Karrera Klubs beschäftigt ist. Rüberg verabschiedete sich zwischenzeitlich für ein gutes Jahrzehnt, steht aber nun wieder hinter der Theke, Herrin über ein Programm aus aktuell nahezu 10.000 Tonträgern. Ungefähr zweieinhalb Existenzen sichert der Laden heute, und das, hier schließt sich ein Kreis, wieder mehrheitlich mit dem Verkauf von Vinyl-Platten an Liebhaber des organischen Klangs. Nur ein Drittel des Umsatzes findet mit CDs statt, und die Tendenz fällt weiter. „Ohne Vinyl gäbe es den Laden nicht mehr, auch deswegen sind wir zuversichtlich“, sagt Quante. „Aber wir haben auch schon mal mehr verdient“, ergänzt Rüberg.
Die beiden aber wissen: Der Plattenladen ist in Zeiten der Digitalisierung ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Will er überleben, dann muss er sich vor allem auf seine Qualität als sozialer Ort besinnen, wie ihn Nick Hornby in „High Fidelity“ feierte. Das waren und sind Erfolgsgeheimnis und Überlebensstrategie von Mr. Dead & Mrs. Free: Nirgendwo sonst in Berlin finden Nerd-Kultur und Kennertum, Liebe zur Musik und Selbstausbeutung aus Überzeugung so konsequent zusammen.
Sollte also das allgemein grassierende Plattenladensterben Mr. Dead and Mrs. Free womöglich auch die kommenden 25 Jahre verschonen, und sollten Quante (51) und Rüberg (45) jemals in Rente gehen, dann stehen Interessenten schon bereit. Rübergs Tochter Ina, aktuell neun Jahre alt, schmiedet bereits Pläne, zusammen mit Quantes Sohn Caspar (14) den Laden einmal zu übernehmen. Das wäre ein großes Glück, vor allem für die Enkel des älteren Herrn, die einmal seinen eingestaubten Plattenspieler erben werden.
Mr. Dead & Mrs. Free, Bülowstr. 5, U-Bahnhof Nollendorfplatz, Mo–Fr 11–19 Uhr, Sa. 11–16 Uhr; Jubiläums-Party im Lido am 31. 5., 21 Uhr, mit Live-Musik von Fran Haley & Andy Dunlop (Travis), Palm Springs, Les Hommes Sauvages