: Vernetzte Meldungen
Die Bezirke legen ihren ersten Kinderschutzbericht vor: Im Jahr 2007 gab es in Hamburg 6.766 Verdachtsmeldungen für gefährdete Kinder. In zwei von drei Fällen war Hilfe nötig
VON KAIJA KUTTER
Die nach dem Tod von Jessica eingesetzten Kinderschutz-Koordinatoren der Bezirke haben ihren ersten „Kinderschutzbericht“ vorgelegt. Demnach erfuhren die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) und das Familieninterventionsteam (FIT) im Vorjahr von 6.766 Verdachtsfällen von gefährdeten Kindern. Einen Vergleich zu früher gibt es nicht, da die Jugendämter erst seit Mitte 2006 über eine Auswertungs-Software verfügen.
Dennoch lässt sich ein Anstieg ablesen. So gab es seit dem Start des Programms im zweiten Halbjahr 2006 zunächst nur 2.029 Meldungen. Auch innerhalb des Jahres 2007 stieg die Zahl vom ersten zum zweiten Halbjahr um 28 Prozent an.
„Ich denke nicht, dass sich gegenüber früher die Problemlage verschärft hat“, erklärt Britgitte Samtleben, Sozialdezernentin im Bezirk Eimsbüttel, der zusammen mit Wandsbek beim Kinderschutz die Feder führt. „Wir hatten nur früher so ein Berichtswesen nicht.“ Bisher hätte nur jeder einzelne Mitarbeiter seine Fälle zählen können. „Je besser wir vernetzt sind, desto mehr Fälle werden sichtbar“, sagt die Dezernentin. Mehr Meldewege führten auch zu mehr Meldungen.
Die meisten Hinweise pro 1.000 Kinder gibt es im Bezirk Wandsbek, gefolgt von Bergedorf, Altona, Mitte, Eimsbüttel, Nord und Harburg. In jedem dritten Fall geht es um „klassische Gefährdungsursachen“, wie Vernachlässigung (23 Prozent), körperliche Misshandlung (8,2 Prozent), seelische Gefährdung (3,3 Prozent) oder sexuelle Misshandlung (1,7 Prozent). In jedem sechsten Fall (17,9 Prozent) melden Sachbearbeiter der Polizei Kinder, die seelisch belastet werden, weil sie Gewalt zwischen ihren Eltern erleben, was früher nicht erfasst wurde. In weiteren 7 Prozent geht es um „Beziehungs- und Autonomiekonflikte“, in 3,7 Prozent um „Suchtprobleme“ und in dem letzten Drittel (35,1 Prozent) um delinquente Kinder.
Zwei von drei Meldungen macht die Polizei, die alle straffälligen Jugendlichen beim FIT meldet. Lässt man die weg, so kommt etwa die Hälfte der Hinweise von Institutionen und die andere aus der Bevölkerung.
Zu Denunziationen scheint es dabei kaum zu kommen. Nur zwei Prozent der Meldungen schätzten die ASD-Sacharbeiter als „unglaubwürdig“ oder „widersprüchlich“ ein, 85 Prozent dagegen als „glaubhaft“. Wie oft sich der Verdacht bestätigte, erwähnt der Bericht nicht. Statt dessen gibt es eine Gefährdungseinschätzung mit fünf Stufen. Nur in jedem dritten Fall war demnach kein Eingreifen nötig. Insgesamt 1.385 mal wurden Kinder in 2007 in staatliche Obhut genommen. Damit es soweit nicht kommt, gibt es ambulante Familienhilfen. Deren Zahl hat sich seit 2005 verdoppelt.
Diese Hilfen zu vermitteln, bedeutet viel Arbeit, doch die Personalsituation in den ASD-Stellen ist mit 268 Stellen nicht rosig. Zwar wurde zur ASD-Entlastung die Scheidungsberatung auf freie Träger übertragen. Dafür wurden aber zehn Mitarbeiter, die die ASD nach Jessicas Tod bekamen, wieder abgezogen.
„Wenn die Fallzahlen so steigen, muss man dringend gucken, ob die Stellen ausreichen“, sagt SPD-Familienpolitikerin Carola Veit. Der frühere CDU-Senat sei damit „nicht in die Pötte gekommen“. Der Koalitionsvertrag von CDU und GAL sehe das zwar vor, lasse aber den Zeitpunkt offen.