: „Solarvalley“ Thalheim
Wie eine Region in Sachsen-Anhalt auf die Fertigung von Photovoltaik baut: Große Gewerbeflächen und saftige Zuschüsse sollen dafür sorgen, dass bis 2012 über 10.000 Menschen in der dortigen Solarindustrie tätig sind. Lediglich Photovoltaikanlagen sieht man dort selten auf den Dächern
VON BERNWARD JANZING
Es steht ein Fabrikgebäude neben dem anderen. Schlichte, quaderförmige Hallen pflastern die weitläufige Ebene – wie man eben heute so baut, wenn es um pure Massenfertigung geht. Thalheim, ein Stadtteil von Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt, ist mittlerweile zu einem Zentrum der deutschen Solarindustrie geworden.
Platzhirsch ist die Q-Cells AG, der weltweit größte Hersteller von Solarzellen. Das Unternehmen hat eine atemberaubende Entwicklung hinter sich: Im Jahr 1999 erst wurde es gegründet, Ende 2007 hatte es bereits mehr als 1.700 Mitarbeiter. Und die Firma wächst weiterhin rasant.
Entlang einer Straße, die man sinnigerweise Sonnenallee genannt hat, liegen weitere Solarfirmen, die zumeist Töchter von Q-Cells sind. Da gibt es die EverQ GmbH, die Siliziumzellen mit einer neuen Technik fertigt: Die so genannten Wafer, die Plättchen, aus denen die Zellen werden, sägt man hier nicht aus dem massiven Block, sondern zieht sie aus der Schmelze. EverQ wurde Anfang 2005 erst gegründet und hat bereits mehr als 1.000 Mitarbeiter. Bald sollen es rund 1.500 sein.
Die Calyxo GmbH ist zu 95 Prozent eine Q-Cells-Tochter und sitzt auch in Thalheim. Sie fertigt Dünnschicht-Solarmodule auf Basis von Cadmium-Tellurid. Des Weiteren trifft man auf die Solibro GmbH, die zu 67,5 Prozent in den Händen von Q-Cells ist und Solarzellen aus Kupfer, Indium, Gallium und Selen fertigt, sogenannte CIGS-Zellen.
Ebenfalls in der Sonnenallee zuhause ist die CSG Solar AG, immerhin auch zu 21,7 Prozent im Eigentum von Q-Cells – und kaum vier Jahre alt. In deren Produktionsprozess wird das Silizium nicht in Form von Wafern, also dünnen Plättchen, eingesetzt, sondern es wird als eine äußerst dünne Schicht mit einer Dicke von weniger als 2 Mikrometern direkt auf Glas aufgebracht.
Bei so vielen Betrieben spricht das Land Sachsen-Anhalt bereits vom „Solarvalley Thalheim“. Die Zahl der Mitarbeiter in der Solarbranche nähert sich hier den 4.000, und sie soll weiter rapide wachsen: „Bis 2012 sollen über 10.000 Menschen in der Solarindustrie der Region tätig sein“, heißt es beim Land. Längst entwickle sich die Solarbranche „zu einem der zentralen Industriezweige, von dem die Volkswirtschaft nachhaltig profitieren wird“, sagt Reiner Haseloff, Wirtschaftsminister in Magdeburg. Schließlich komme heute jede zweite in Deutschland produzierte Solarzelle aus Sachsen-Anhalt.
Das hat vor allem mit zwei Dingen zu tun. Zum einen hat Bitterfeld-Wolfen als alter Chemiestandort große Gewerbeflächen verfügbar. Zum Zweiten bekommen Firmen, die sich hier ansiedeln, saftige Zuschüsse von der Europäischen Union. In den Jahren 2007 bis 2013 stellt Brüssel im Rahmen des Europäischen Strukturfonds 3,39 Milliarden Euro für Sachsen-Anhalt bereit. Eine Förderung von bis zu 50 Prozent der Anfangsinvestitionen ist da für die Betriebe durchaus drin.
Doch das Projekt „Solarvalley“ ist kein Unterfangen ohne Risiko. Gleich doppelt nämlich hängt die Region am Tropf der Politik. Das zweite lebenswichtige Förderinstrument neben den EU-Geldern ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das den Solarstromerzeugern die nötigen hohen Einspeisevergütungen garantiert. Wenn die Beträge sinken, müssen die Hersteller ihre Preise entsprechend anpassen. Auf Kosten von Wachstum, Ertrag und Arbeitsplätzen. Kein Wunder also, dass sich Sachsen-Anhalt zusammen mit den beiden anderen ostdeutschen Solarländern Sachsen (mit Standort Freiberg; Firma Solarworld) und Thüringen (mit Standort Erfurt; Firma Ersol) für ein weiterhin starkes EEG engagiert hat.
Dass bei der jüngsten Novelle des EEG die Vergütungssätze weniger stark abgesenkt wurden als zuvor diskutiert, ging auch auf den Widerstand der Ostländer zurück: Die Wirtschaftsminister der drei Länder hatten kollektiv protestiert und Nachbesserungen im Gesetzentwurf gefordert. Sie hatten stets darauf verwiesen, dass in den drei Bundesländern zusammen bereits 8.300 Menschen in der Photovoltaikbranche beschäftigt sind.
Ob eine derartige Konzentration auf eine Branche am Standort Thalheim auf Dauer wirklich gut ist für die dortige Wirtschaftsstruktur, wird allenfalls unter der Hand diskutiert. Und schon ziehen dunkle Wolken am Himmel über der Sonnenallee auf. Die Firma Q-Cells selbst ist es, die ihre nächste Fertigungsstraße für Solarwafer in Malaysia aufbaut. Es soll dort sehr attraktive Subventionen für die Ansiedelung gegeben haben. In Sachsen-Anhalt (Werbemotto: „Wir stehen früher auf“) gibt man sich gleichwohl optimistisch: Die Wirtschaftsförderer haben das Wort vom „Spitzencluster Solarvalley“ geprägt und sprechen vom „Sonnenstaat“.
Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Nach Solaranlagen auf den Hausdächern sucht man vergeblich in der Region. Selbst auf den Firmenhallen der Solarunternehmen sieht es schlecht aus mit Photovoltaik. Und in der Solarbundesliga, die eine Rangliste der Städte hinsichtlich ihrer Solaranlagendichte führt, ist Bitterfeld-Wolfen nicht einmal verzeichnet. Erst auf Platz 197 steht überhaupt eine Kommune aus Sachsen-Anhalt: die kleine Gemeinde Tornau vor der Heide. Die Landeshauptstadt Magdeburg indes kommt gerade auf Rang 1.113 – unter 1.204 registrierten Gemeinden. Hätten alle Städte in Deutschland so wenig Photovoltaik auf den Dächern wie hier, gäbe es das „Solarvalley Thalheim“ sicherlich nicht.