Ein Krieg und kein Kreuzzug

Schon der junge Winston Churchill hatte große militärische und publizistische Ambitionen. So ist es kein Wunder, dass er am Feldzug im Sudan teilnahm. Der Bericht offenbart seine analytische und stilistische Brillanz

VON ANDREW JAMES JOHNSTON

Der Sudan gehört schon länger zu den schlimmsten Krisenherden der Erde. Ende des 19. Jahrhunderts wurde er unter Führung des charismatischen Mohammed Ahmed, genannt „der Mahdi“, zu einem radikalislamischen Militärstaat, der den europäischen Kolonialmächten ein Dorn im Auge war. Von Ägypten aus organisierten die Engländer 1896 bis 1898 einen Feldzug unter Horatio Herbert Kitchener, bei dem sie die ganze logistische und technologische Übermacht Europas in die Waagschale warfen: eigens angelegte Bahnlinien, Kanonenboote und Maschinengewehre, die die zahlenmäßige Überlegenheit der arabischen Heere zunichtemachten. Das Ganze gipfelte in der Schlacht von Omdurman, die den Untergang des Mahdi-Reiches brachte – der Begründer allerdings war schon seit mehreren Jahren tot. Sein kuppelgekröntes Mausoleum schändeten die Engländer.

An dem Feldzug nahm der damals 24-jährige Winston Churchill teil, Spross einer hocharistokratischen Familie, jedoch ohne Geld und mit anscheinend nur geringen Karrierechancen. Sohn eines längst verstorbenen politischen Hasardeurs, war der junge Churchill eine Art Schulversager, der als zu dumm für die Infanterie galt, und deshalb zur Reiterei ging, wo man angeblich weniger Hirn, dafür aber mehr Geld brauchte: Offizierspferde waren teuer.

Schnell zeigte sich jedoch, dass der junge Leutnant große militärische und publizistische Ambitionen hatte. Er pilgerte von Front zu Front, ließ sich für Kriegsberichte gut bezahlen und schrieb Bücher, in denen er das militärische Establishment nicht verschonte. Kein Wunder, dass Kitchener ihn nur auf politischen Druck hin in den Sudan mitnahm. Auch das Erlebnis am Nil verwandelte Leutnant Churchill in ein Buch. Der Eichborn-Verlag hat dieses Werk nun in deutscher Übersetzung herausgebracht.

Churchill schildert mit großem erzählerischem Talent sowohl die lange Vorgeschichte des Feldzugs als auch die Ereignisse auf der Militärexpedition selbst. Die außergewöhnliche stilistische Brillanz des späteren Literaturnobelpreisträgers schimmert noch durch die mittelmäßige Übersetzung hindurch, die von klassischen Fehlern nur so strotzt (beispielsweise „Dom“ statt „Kuppel“ für englisch dome). Immer wieder vibrieren die antithetischen Perioden des Churchill’schen Stils, die an den großen englischen Historiker des 18. Jahrhunderts, Edward Gibbon, erinnern und manchmal, in ihrem Hang zur plötzlichen Verdichtung, sogar an Cäsars Kriegsbücher. Es schreibt nicht bloß ein Journalist, es schreibt ein Historiker der besonderen Art, nämlich einer, der sich selbst schon als Figur der Geschichte sieht.

Die Rolle, die Churchill dabei beansprucht, ist eine romantische. Nicht zufällig bildet der Angriff der 21. Lanzenreiter, Churchills Regiment, den Höhepunkt der Darstellung. Hier darf er an der „letzten Kavallerieattacke“ (was nicht stimmt) der Geschichte teilnehmen. Seinem Einsatz, bei dem er drei säbelschwingende Derwische mit dem Revolver erschießt, haftet etwas Anachronistisches an. In einer Schlacht, die letztlich aufgrund technischer Überlegenheit gewonnen wird, bewährt sich der junge Autor als Krieger scheinbar alter Schule, der am Ende freilich nur mit heiler Haut davonkommt, weil er über eine moderne Pistole verfügt.

Unverhohlen ist die Liebe Churchills zum Krieg, dessen Grausamkeiten er allerdings nicht verschweigt. Unverhohlen ist auch gerade deswegen sein Respekt vor dem Gegner. Bei allem zeittypischen Rassismus zollt er dem Feind Bewunderung und spricht ihm auch die politische Legitimität nicht ab, sieht er im Mahdi gar einen Patrioten und Staatsgründer.

Der eigentliche, wenngleich unterschwellige Gegensatz, der das Buch durchzieht, besteht daher weniger zwischen Engländern und Arabern oder Christen und Muslimen als vielmehr zwischen ritterlichen Kriegern wie Churchill und bürgerlichen Militärtechnokraten à la Kitchener, die die Gräber der Besiegten schänden.

Umso ärgerlicher ist es, dass der Übersetzer und Herausgeber, Georg Brunold,ein ehemaliger Afrikakorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Churchills verführerisch-schlichten Originaltitel „The River War“ mit dem plumpen „Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi“ wiedergibt. Churchill interessiert sich nämlich nicht besonders für den Islam und sieht sich auch keineswegs als Kreuzzügler. Was hier versucht wird, ist klar: Das Buch soll für eine heutige Leserschaft in den Kontext der gegenwärtigen Islamismus- und Terrordebatte gestellt werden.

Oberflächlich gesehen, mag das naheliegen, nur widerspricht es dem eigentümlichen und durchaus betörenden Charakter des Berichts. Hinzu kommen einige launige Bemerkungen des Herausgebers in der Einleitung, denen man Rassismus fast genauso vorwerfen kann, wie er ihn den Arabern im Sudan attestiert: „In einem Land mit riesigen Wüsten neigen Araber offenkundig zu der Überzeugung, die Führerrolle könne überhaupt nur ihnen zukommen, sei ihnen buchstäblich angeboren.“

Durch solche editorische Ausrutscher kann er Churchills Frühwerk jedoch nicht den Glanz nehmen: Es bleibt ein vorzüglich geschriebener Kriegsbericht, der einen gewiss problematischen, aber immer faszinierenden Blick auf ein Kapitel englisch-afrikanischer Kolonialgeschichte bietet und dabei noch einiges über den jungen Churchill verrät.

Winston S. Churchill: „Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi“. Übersetzt und ediert von Georg Brunold. Die Andere Bibliothek, Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2008, 456 Seiten, 34 Euro