: „Die Angst verstärkt sich“
Trainer Christoph Daum hat die Debatte über homosexuelle Profi-Fußballer neu angeheizt. Die Angst vor einem Outing würde durch solche Äußerungen steigen, sagt FC St. Pauli-Präsident Corny Littmann
CORNY LITTMANN, 55, ist Chef der Theaterhäuser Schmidt Theater und Schmidts Tivoli und und Präsident des FC St. Pauli. 2006 heiratete er den Opern-Tenor Madou Ellabib. Es war die erste homosexuelle Ehe im bezahlten Fußball.
INTERVIEW: MARCO CARINI
taz: Die Äußerung des Kölner Trainers Christoph Daum, man müsse gerade im Jugendbereich gegen jede gleichgeschlechtliche Bestrebung vorgehen, hat mit ihrer weitgehenden Gleichsetzung von Homosexualität und Pädophilie die Diskussion um Schwule im Fußball neu belebt. Wem nützt, wem schadet diese Debatte?
Corny Littmann: Wenn man Daums Besorgnis um die sexuelle Integrität von Jugendlichen ernst nimmt, dürfte kein Heterosexueller mehr eine Mädchenmannschaft trainieren. Gut ist, dass auch durch solche absurden Äußerungen überhaupt thematisiert wird, dass es Schwule im Fußball gibt. Das Schädliche daran ist, dass diese Äußerung von Daum die Angst von schwulen Fußballern sich zu outen in ungeheuerem Maß verstärkt. Sie bekommen ein Gefühl dafür, was sie erwartet, wenn sie sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Diese Äußerungen sind ja nicht nur die Privatmeinung von Daum, sondern die Äußerungen eines Vorgesetzten, der sehr weitreichende Entscheidungen über die berufliche Zukunft jedes einzelnen Spielers treffen kann. Einem schwulen Spieler, der unter Daum trainiert wird damit klar: Mein Chef tut alles dafür, dass ich fußballerisch in der Versenkung verschwinde und mein Berufsziel bei diesem Verein begraben kann.
Die Empörung auf Daums Äußerung aber blieb begrenzt.
Die Kölner Reaktionen waren schon bemerkenswert. Ein schwuler Fanklub begnügt sich mit der Ankündigung, Daum würde mal zum Gespräch vorbeikommen und Daum geht damit hausieren, seine Frau habe auch Schwule in ihrem Bekanntenkreis. Die Frage aber ist, ob ein Profitrainer, der sich so antischwul äußert, in dieser Funktion noch tragbar ist, und nicht, ob seine Frau schwule Freunde hat. Doch diese Debatte wurde unter den Teppich gekehrt.
Während es heute kaum noch Probleme gibt, wenn sich schwule Politiker outen, ist das im Profifußball undenkbar. Warum ist Homosexualität hier weiterhin dermaßen tabuisiert?
Die Erklärung ist einfach, wenn man sich vor Augen hält, wie eine Fußballmannschaft funktioniert. Da verbringen 25 Männer zwangsweise ihre Arbeitszeit und Teile ihrer Freizeit miteinander. Wer weiß, wie der sozialen Druck in so einer Gruppe ist, kann sich vorstellen, wie schwierig es für einen Schwulen ist, sein privates Anderssein in so einem Kollektiv zu leben. Fußballer sind in aller Regel junge Menschen, die ganz auf den Sport fokussiert sind und noch wenig Lebenserfahrung haben. Ein Politiker ist hingegen nicht in solche sozialen Bezüge eingezwängt, wie ein Fußballer in einer Mannschaft.
Ist die Liberalisierung des Themas Schwule am Fußball also komplett vorbei gegangen?
Es hat sich eine Menge verändert, was das Umfeld einer Mannschaft angeht. Vornehmlich in den Großstädten gibt es inzwischen eine Menge schwuler Fangruppen, die innerhalb der Fangemeinde meist akzeptiert sind.
Sie selbst raten homosexuellen Spielern ab, sich zu outen, weil der Druck der Medien auf sie zu groß werden würde. Was müsste sich im Profifußball ändern, damit ein Outing nicht mehr soviel Brisanz hätte?
Ich kann mir nur ein kollektives Outing ehemaliger Spieler vorstellen, die beruflich so abgesichert sind, dass sie keine beruflichen Nachteile befürchten müssten. Ein isoliertes Outing eines aktiven Profis birgt solche beruflichen Risiken, dass der Spieler bereit sein müsste, seine Karriere aufs Spiel zu setzen.
DFB-Präsident Theo Zwanziger hingegen betont, ein solches Outing sei heute bereits möglich. Die mediale Resonanz wäre beherrschbar und der gesellschaftliche Erziehungsprozess könnte vorangetrieben werden. Ist das naiv gedacht?
Es ist erst einmal erstaunlich, dass sich ein DFB-Präsident dieses Themas offensiv annimmt und so fortschrittlich äußert. Die Möglichkeit des DFB, in einem solchen Fall im Interesse eines Spielers regulierend einzugreifen, wären aber beschränkt. Deshalb sind Zwanzigers Äußerungen zwar optimistisch, aber auch naiv.
Was könnte der DFB tun, um das Thema Schwule und Fußball zu enttabuisieren?
Es gibt die Möglichkeit symbolischer Aktionen. So unterstützt der DFB bemerkenswerterweise auf der diesjährigen Christopher-Street-Day-Parade einen Wagen schwul-lesbischer Fanklubs unter dem Motto „Fußball ist alles... auch schwul“ ideell und finanziell. Doch über solche sinnvolle symbolische Akte hinaus sind die Einflussmöglichkeit des DFB bei diesem Thema relativ klein.
Sie selbst haben Anfang der neunziger Jahre noch Schlagzeilen mit der Behauptung ausgelöst, Sie hätten sexuelle Kontakte zu einem Spieler des damaligen Profikaders des 1. FC Köln gehabt. Würde eine solche Behauptung heute noch immer so verfangen?
Die Diskussion hat sich insofern gewendet, dass den Sport-Redakteuren der Massenmedien bekannt ist, welche Fußballprofis schwul sind. Da liegen sogar entsprechende Beweisdokumente in den Redaktionsschubladen, nur braucht man jemanden, der sich als Erster aus der Deckung traut. Vor zehn Jahren wurde von allen Beteiligten noch behauptet, schwule Fußballprofis gäbe es überhaupt nicht.
Hat Ihnen der heutige Trainer des FC St. Pauli, André Trulsen inzwischen verziehen? Der damals gerade vom Millerntor nach Köln gewechselte Trulsen geriet ja damals sofort unter Verdacht, besagter Sexualpartner gewesen zu sein?
Die Geschichte hatte schon eine humoristische Note. Beim 1. FC Köln haben sich die Spieler nach meiner Äußerung eine Woche lang beäugt, wer derjenige gewesen sein könnte. Aufgrund von Trulsens Hamburger Vergangenheit habe ich sofort klar gesagt, dass er nicht der Besagte gewesen ist. Zu „Truller“, der ganz unzweideutig heterosexuell ist, habe ich ein ausgesprochen gutes Verhältnis, das bestimmt nicht auf gemeinsamen sexuellen Erfahrungen beruht.
Selbst am Millerntor, wo rassistische Sprüche keine Chance haben, sind Schmährufe wie „Schwuchtel“ durchaus an der Tagesordnung. Warum ist das Etikett „schwul“ als Beleidigung so zählebig?
Das Bild vom tuntigen Schwulen hält sich beharrlich auch in großstädtischen Fußballstadien. Die Vorurteile die es gegenüber Schwulen gibt, sind hier stärker ausgeprägt als etwa im Theater. Schwulsein wird hier immer noch unsinnigerweise mit verweichlicht gleichgesetzt. So etwas ändert sich erst, wenn der Schwule sicht- und greifbar für sein Gegenüber wird. Ohne ein neues Klischee in die Welt setzen zu wollen – nach meiner Beobachtung sind schwule Fußballer im Zweifel diejenigen, die auf dem Platz am härtesten zur Sache gehen.
Welche Erfahrungen hat der bekennende Homosexuelle Corny Littmann als Präsident eines Fußballvereins gemacht?
Am Anfang war das für viele Leute, mit denen ich als Vereinspräsident zu tun hatte, schon sehr befremdlich. Das hat sich aber schnell gelegt. Mir begegnen antischwule Vorurteile natürlich selten direkt, weil sich niemand traut, mich offen als Schwuchtel zu bezeichnen. Auch in den Fanforen ist mein Schwulsein nur selten ein Thema.
Also keine antischwulen Ressentiments?
Es gibt da schon die eine oder andere Merkwürdigkeit. Ein Aufsichtsratsmitglied des Vereins hat mal zu mir gesagt, ich sollte doch darauf achten, dass nicht immer so junge Männer neben mir auf der Tribüne sitzen. Ich habe ihm klargemacht, dass diese jungen Männer zwischen 30 und 85 Jahre alt sind und ich zu ihnen keine sexuellen Kontakte pflege. Da bin ich also schon unter Beobachtung. Und wenn ich nicht schwul wäre und neben mir eine 20-Jährige sitzen würde, dann hätte es nur schulterklopfend geheißen: „Alle Achtung, was der Littmann da wieder an Land gezogen hat.“