: Spitzfindiger Taktikwechsel
Joachim Löw ist zufrieden und stapelt tief: Die „kleinen Korrekturen“ des Bundestrainers im Spiel gegen Portugal hatten eine große Wirkung. Der deutschen Nationalmannschaft ist es eindrucksvoll gelungen, aus einer kleinen Krise herauszukommen
AUS TENERO ANDREAS RÜTTENAUER
Natürlich hatten sie sich wieder gut vorbereitet. DFB-Scout Urs Siegenthaler hatte etliche Spiele der Portugiesen beobachtet und Auffälligkeiten protokolliert. DVDs wurden erstellt. Der Bundestrainer hat sich mit der „sportlichen Leitung“ beraten. Man wusste alles über den Gegner – wie immer. Und doch war vor dem Spiel gegen Portugal vieles anders. Denn Löw und sein Team haben reagiert auf das, was ihnen berichtet wurde, darauf, was sie gesehen haben. Reagiert? Hatte Joachim Löw bis dato nicht immer wieder gesagt, dass man agieren wolle, dass es letztlich gar nicht darauf ankomme, wie die anderen spielen, dass das Team stark genug sei, dem Gegner sein Spiel aufzuzwingen? Er habe „kleine Korrekturen“ vornehmen müssen, sagte er am Tag nach dem Sieg gegen Portugal.
Aus dem beinahe fundamentalistischen Prediger eines 4-4-2-Systems ist während der EM ein Stratege geworden. Weil Portugal die Offensive oft gekonnt über die Mitte aufbaut, hat er das zentrale Mittelfeld gestärkt. Weil er sich von deutschen Angriffen über die Außenpositionen viel versprochen hat, sollten Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski die Bälle vom Mittelfeld nach vorne tragen. Verbunden sein sollte das Ganze mit größeren Freiheiten für Michael Ballack. Waren das wirklich „kleine Korrekturen“? Liegt hier nicht eher ein Systemwechsel vor? Miroslav Klose spielte für alle offensichtlich vorne allein im Sturm. Ob er seine Ideale verraten habe, wollte einer wissen gestern. Und da kam er wieder, der Satz, den man schon so oft gehört hat, seit Joachim Löw Bundestrainer ist: „Dass unser Grundsystem 4-4-2 ist, bleibt klar.“ Löw tat so, als sei der Unterschied gar nicht so groß zwischen seinem Grundsystem und jenem 4-2-3-1, für das die Deutschen nach dem Spiel so gelobt worden sind.
Auf eine Grundsatzdiskussion wollte er sich nicht einlassen. Gelassen präsentiert er der Presse seine ganz persönliche Spitzfindigkeit zum Taktikwechsel. Das Team möge zwar ein wenig anders gespielt haben, aber eines sei unverändert geblieben, „die taktische Ausrichtung“. Über das Besetzen der Postionen, eine gute Raumaufteilung habe man sich die Möglichkeit erarbeitet, geordnet und schnell nach vorne zu spielen. In der Tat ist es der Mannschaft damit gelungen, aus dem „kleinen Tief“ zu kommen, in dem sie auch der Bundestrainer nach den Spielen gegen Kroatien und Österreich sah.
Gut aufgelegt war Joachim Löw, wahrscheinlich auch weil er das Wort „Spielkultur“ endlich einmal wieder im Zusammenhang mit der deutschen Mannschaft verwenden konnte. Jetzt kann er sich den dauernden Verweis auf die gelungene EM-Qualifikations-Partie in Tschechien endlich klemmen. Jetzt kann er das EM-Viertelfinale gegen Portugal heranziehen, wenn er die Stärken des deutschen Teams beschwören will. „Wir haben eindrucksvoll bewiesen, dass wir stark sein können, wenn wir das ganze Potenzial abrufen“, sagte er gestern. Zufrieden wirkte der Bundestrainer, weil er bewiesen hat, dass seine Arbeit doch fruchtet. Sein neues Defensivmittelfeld mit Thomas Hitzlsperger und Simon Rolfes hat funktioniert, obwohl es noch nie zusammen gespielt hat. Sie sind gut vorbereitet – von Löw und seinem Team. Die Arbeit am Erfolg kann in Ruhe fortgesetzt werden. Die Zweifel, die es vor dem Österreichspiel gab, sie sind wie weggewischt. Löw ist wieder der Richtigmacher, als der er sich selbst so gerne darstellt.
Es läuft gut. Und alle, die irgendwie mit diesem Team, mit dem Projekt Löw zu tun haben, sollen das gefälligst auch so sehen. Bernhard Peters, der ehemalige Hockeytrainer, von Jürgen Klinsmann einst als DFB-Sportdirektor vorgeschlagen, hat sich in einem Zeitungsinterview besorgt über den Fitness-Zustand der Nationalelf geäußert. Löw schätzte Peters immer. Er gehört zu der Beratergruppe, die der Bundestrainer gerne „unser Kompetenzteam“ nennt. Wahrscheinlich nicht mehr lange. „Das wird Konsequenzen haben“, so der Bundestrainer, auf Peters’ Kritik angesprochen. Ganz böse hat er dreingeblickt. Da gibt es einen im Team, auf den sich Löw nicht verlassen kann. Ganz anders: der „Hansi und der Andi“, Hans-Dieter Flick und Andreas Köpke, die ihn so gut vertreten hätten, als der Bundestrainer von der Skybox aus deutsche Spielkultur beobachtet hat.