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Archiv-Artikel

Gesichter des Todes

Sie haben unheilbar Kranke in Hospizen besucht, mit ihnen gesprochen und sie vor und nach ihrem Tod fotografiert: Die Journalistin Beate Lakotta und der Fotograf Walter Schels haben Fotos und Texte zu einer unsentimentalen Ausstellung im Hamburger Kunsthaus zusammengetragen

VON PETRA SCHELLEN

Es ist paradox: Da ist einmal das merkwürdig sentimentale Tabu, den Tod zu fotografieren. Andererseits herrscht Voyeurismus auf allen Kanälen, die Kriegstote, Unfallopfer und Operationen so intensiv präsentieren, dass man sich fast nichts mehr dabei denkt. Der Tod als Sensation ist so beliebt wie das wohlige Schaudern angesichts der Tatsache, dass all dies, wenn nicht Fiktion, dann zumindest weit weg ist.

Was aber, wenn es um das ganz nahe Sterben geht? Das der Eltern, von Nachbarn, Freunden oder gar das eigene? Dann gelten plötzlich andere Regeln. Damit will man nichts tun haben, davon will man nichts sehen, da findet man es pietätlos, den Verstorbenen zu fotografieren. Als Bloßlegung der Privatsphäre wird empfunden, was vorige Generationen noch bedenkenlos praktizierten. Als Andenken wollte man da ein Foto des Toten; Totenmasken von Dichtern und Denkern, ganz zu schweigen von den altägyptischen Mumienporträts, gab es lange vorher. Man wollte ein möglichst realistisches letztes Abbild haben, um den Toten realistisch in Erinnerung zu behalten. Und heute? Bleibt bestenfalls jener diffuse Eindruck, den die im Kopf speichern, die den Mut haben, verstorbene Verwandte ein letztes Mal zu sehen. Tod gilt als unerwünscht, als Darf-und-soll-nicht-sein.

All das sei doch sehr eigenartig, fanden im Jahr 2003 die Spiegel-Journalistin Beate Lakotta und der Fotograf Walter Schels, als sie ihr Sterbebegleitungs-Projekt begannen. Schels, Jahrgang 1936, hatte viele Kriegstote gesehen, die 1965 geborene Lakotta keinen einzigen. Und die Ärzte und Mitarbeiter verschiedener Hospize in Berlin und Hamburg fanden den Plan, Sterbende lebend und tot zu fotografieren, nicht absurd. Die Patienten auch nicht. So ist die 2003 im Spiegel erschienene, mit dem Hansel-Mieth-Preis geehrte Reportage entstanden, aus der sich die aktuelle Ausstellung „Noch mal leben vor dem Tod – Wenn Menschen sterben“ im Hamburger Kunsthaus speist.

Als paarweise angeordnete Schwarzweiß-Großformate kommen einem die Fotos entgegen, die zunächst wirken wie Wache und Schlafende, die nebeneinander abgelichtet sind wie Geschwister. Mit Bedacht galt der Tod den Griechen als Bruder des Schlafs. Das suggeriert auch diese Schau, die offen lässt, welches das „wahre Gesicht“ eines Menschen ist. Denn zwar liegt wenig Zeit zwischen den Bildern, aber die Veränderung ist markant: Die Proportionen verschieben sich, zerquälte Gesichter werden friedlich, manche scheinen fast glücklich, andere wieder erschöpft.

Tröstliches bietet auch das zugehörige Buch, das neben Informationen zur Hospiz-Bewegung Texte versammelt, die aus Gesprächen mit den Sterbenden und ihren Verwandten zitieren. „Die meisten Menschen sterben nicht unter Schrecken und Schmerzen“, schreibt Lakotta. Sondern, dank Palliativmedizin, schmerzfrei und sanft. „Wir hätten natürlich auch in eine Unfallklinik oder in ein Altersheim gehen können“, sagt Lakotta. „Aber Hospize sind Lebensorte für Sterbende.“ Orte, an denen intensiver gelebt werde als anderswo. An denen gelacht und gesungen wird und wo nicht Lebensverlängerung, sondern Schmerzfreiheit und Selbstbestimmtheit wichtigste Ziele sind. Wichtiger als Zeitgewinn ist hier Lebensqualität. Sterbende bekommen eine effektive Dosis Morphium, auch wenn das ihr Leben verkürzen könnte.

Trotzdem wollen viele Bilanz ziehen, wollen sich vielleicht mit jemandem versöhnen. Etliche bereuen, dass sie nicht früher vergeben haben – damals, als noch Zeit war. Denn die meisten Porträtierten, unheilbar krank, wurden nicht alt: bei rund 57 Jahren liegt ihr Durchschnittsalter. Mutter und Sohn Boehmfeld etwa wurden 30 und sechs Jahre alt. Elmira Sang Bastian lebte 17 Monate. „Hauptsache, sie durfte leben“, sagt ihre Mutter. Überhaupt sind die Begleittexte zu den Fotos frappierend ehrlich. Und der Schock, so wenig Zeit zur Vorbereitung auf das eigene Sterben zu haben, zieht sich durch alle Gespräche. „Wir haben keine moderne Ars Morendi“, schreibt Lakotta.

Der Tod kommt im Hospiz manchmal nach einem Tag, manchmal nach einem Monat, und vermeintlich exakte Prognosen machen das Warten noch unerträglicher. „Ich müsste schon tot sein“, sagt Müller. Er ist Pragmatiker, hat das Grab samt preisgünstiger Beerdigung schon ausgesucht. Andere ordnen nicht nur ihre Schuhe, sondern hinterlassen eine komplette Gästeliste für ihr Begräbnis.

Ein verbindliches Muster für den Umgang mit dem Tod lässt sich in der Ausstellung nicht finden. Manche bereiten sich präzise aufs Sterben vor, andere rebellieren, wieder andere heiraten oder unterzeichnen noch am Tag des Todes einen Kaufvertrag für eine Schrankwand. Die Angst nicht nur vorm Sterben, sondern auch vorm Kontrollverlust treibt viele um. „Ich will lieber Schmerzen aushalten, als eine Bewusstseinstrübung durch Medikamente“, sagt Bärbel Templin. Und Heiner Schmitz, Ex-Werbemanager, will lieber eine Spritze als ein gedimmtes Bewusstsein.

Was etlichen der Porträtierten fehlt, ist die Bereitschaft von Angehörigen und Freunden, über das Sterben zu sprechen, auch das ein Phänomen der Tod-abweisenden Moderne. Manchmal verweigern sich aber auch die Sterbenden: „Ich habe meinem Mann mehrfach angeboten, über sein Sterben zu sprechen. Aber es ging nicht“, sagt eine Frau. Aber über sein Innenleben geredet habe er auch früher nicht, auch in diesem Punkt bleiben sich die Menschen meist treu. Das berühmte „letzte Wort“ wollen viele Angehörige hören, als könnte es den Abschied ungeschehen machen. Aber „am Ende sagen die Menschen oft nicht mehr viel“, beobachtet Lakotta. Zudem ist der Moment, in dem das Bewusstsein erlischt, schnell verpasst. Das Sterben passiert unspektakulär: Der Atem wird flacher, der Puls langsamer; gegen die Atemnot zum Schluss gibt es Medikamente.

Das alles tröstet ganz konkret und führt ein bisschen weg vom künstlerischen Aspekt dieser Schau. Zu Unrecht, denn die Fotos sind sensible, würdige Totenmasken der Moderne. Und wenn man vor den Bildern ein bisschen weint, liegt das nicht an der Effekthascherei der Künstler. In dieser Ausstellung geht es nicht um Voyeurismus, sie konfrontiert mit einer Realität, ohne zwanghaft Lösungen zu bieten. Zugleich wirft sie die Frage nach der Legitimität solch privater Foto-Motive auf. Und reflektiert ganz nebenbei, ob es wirklich von aufgeklärtem Denken zeugt, den Tod auszublenden – ganz so, als lösche man ihn damit aus dem Programm der Evolution.

Walter Schels und Beate Lakotta: „Noch mal leben. Eine Fotoausstellung über das Sterben.“ Bis 10. August, 11 bis 18 Uhr, Kunsthaus Hamburg