berliner szenen Deutsch im Rollstuhl

Nationale Integration

Unweit der Wohnung meiner Mutter befindet sich eine diakonische Einrichtung für Menschen mit Behinderungen. Alles in allem könnte man das Heim treffend mit „althergebracht“ beschreiben. An sonnenreichen Tagen sieht man die Bewohner durch den kleinen Park rund um den Weißen See spazieren, oft glücklich jauchzend, manchmal verärgert, aber immer aufgeregt.

Einige von ihnen werden jedoch im Rollstuhl umhergeschoben und enthalten sich jeglichen Kommentars. Fast regungslos betrachten sie den See oder die Bäume, unterbrochen nur durch den einen oder anderen Fütterungsversuch der Pfleger. Niemand beachtet sie wirklich, ein Mitsprache- oder Entscheidungsrecht wird ihnen wohl eher selten eingeräumt. Die Begeisterung, die grade durch das Land geht, macht aber auch vor der Diakonie nicht halt. Beziehungsweise vor den Pflegern.

Die Zivis haben sich nämlich schon vor dem gewonnenen Halbfinale dazu entschlossen, die Rollstühle der mehr oder weniger Hilflosen mit kleinen Deutschlandflaggen zu verzieren. In einigen Ecken von Weißensee kommt das gut an, sympathische 1,90-Hünen mit germanischen Tattoos tanzten letztens um einen der Patienten herum, fröhlich deutsches Liedgut schmetternd. Die Pfleger freuten sich auch, klatschten rhythmisch in die Hände und nickten den verstörten Rollstuhlfahrern aufmunternd zu. Doch genug jetzt der miesepetrigen Stimmung, ergötzen wir uns doch einfach weiterhin an dem Ruck, der durch Deutschland geht, und freuen uns, dass selbst der Germane heute gehandicapten Menschen freundlich begegnet. Europameister werden wir eh, und das meine ich ausnahmsweise mal ernst. JURI STERNBURG