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Archiv-Artikel

Fatih greift sich ans Herz

Halbfinalverlierer Türkei feiert zwei Erfolge: Das Sportliche und die Fairness in der Niederlage. Symbol des Wandels: Trainer Fatih Terim. Jetzt geht er wohl

AUS BASEL TOBIAS SCHÄCHTER

Er ging nicht einfach so. Nicht an diesem Abend und nicht von diesem Podium. Fatih Terim sagte auf Englisch „thank you“ und dann auf Türkisch „iyi aksamlar“ – schönen Abend noch. Dann erhob sich der Nationaltrainer der Türkei und verbeugte sich. Sein Kopf ging mit nach unten, aber seine Augen behielten die versammelte Weltpresse im Basler St.-Jakob-Park fest im Blick, Terim wollte diesen Augenblick genießen. Als dann der Applaus einsetzte, war der Stolz, von dem der Mann aus Adana erfasst war, im ganzen Raum zu spüren. Ein Griff noch mit der rechten Hand ans Herz, und Fatih Terim, 54, entschwand in die Katakomben.

Die türkische Nationalmannschaft hat am Mittwochabend in Basel ein EM-Halbfinale verloren, 2:3 gegen Deutschland. Doch die Spieler und ihr Trainer haben bewiesen, dass auch türkische Fußballmannschaften ehrenvoll verlieren können. Noch im Stadion schritt Terim die Heerschar der deutschen Offiziellen ab und gratulierte jedem Einzelnen mit Handschlag – als wolle er sie und ganz Deutschland am liebsten umarmen. Die Mannschaft der Türkei hat mit dem Einzug ins Halbfinale die sportlichen Erwartungen übertroffen. Doch es ist ihr mit ihrem Auftreten während des Turniers und ganz besonders nach der Niederlage gegen Deutschland auch gelungen, sich mit dem Weltfußball zu versöhnen.

Als die Qualifikation zu dieser EM im September 2006 begann, traf die Türkei auf Malta. In Frankfurt. Nur 200 Offizielle und rund 100 Journalisten saßen auf der Tribüne. Auf der Gegentribüne hatte der türkische Fußballverband ein riesiges Transparent entrollt, auf dem zigtausende Fans der Milli Takim zu sehen waren und auf dem stand: „Glaubt ihr denn, wir lassen euch allein? 72 Millionen Türken sind bei euch.“ Zehn Monate zuvor verpasste die Türkei in den Entscheidungsspielen gegen die Schweiz unter skandalösen Umständen die Qualifikation zur WM 2006. In Istanbul prügelten türkische Spieler und Offizielle auf Schweizer Spieler und Offizielle ein, ihr Trainer, Fatih Terim, hatte mit nationalistischen Parolen und kruden Verschwörungstheorien die Stimmung mit vergiftet und sich danach als schlechter Verlierer gezeigt. Die ersten drei Heimspiele zur EM-Qualifikation musste die Türkei in einem fremden Land und ohne Zuschauer austragen.

„Ihr müsst sehen, wo wir herkommen“, sagte Terim nach dem Einzug ins EM-Viertelfinale. Seit Mittwoch haben sie wieder den Respekt und die Anerkennung des Weltfußballs. „Ich“, sagte Terim mehrfach, „bin ich sehr stolz.“ Man sah es ihm an. Doch Terim ist eben auch einer, der dieses Momentum für sich zu nutzen weiß. Er hat sein eigenes Denkmal eingerissen und nun wieder aufgebaut. „Höchstwahrscheinlich“, sagte er im Triumphgefühl nach der Niederlage, „werde ich meine Zukunft bei einer europäischen Klubmannschaft suchen.“

Je länger diese von Verletzungssorgen geplagte Mannschaft im Turnier blieb, um so lauter kokettierte Terim, der noch Vertrag beim Verband bis 2010 hat, mit einem Wechsel nach Italien. Mittwochnacht soll er sich in der Kabine von seiner Mannschaft schon verabschiedet haben. Der junge Mittelstürmer Semih, der drei Tore bei diesem Turnier erzielt hat, sprach schon in der Vergangenheit von Terim: „Er war der beste Trainer, den ich je hatte.“

Terim ist jedenfalls nun wieder jener „Imparator“ (Kaiser), zu dem er einst durch die Erfolge mit der Nationalmannschaft (erstmalige EM-Teilnahme 1996) und Galatasaray Istanbul (Uefa-Cup-Sieg 2000) in der Türkei geworden ist. Er wird wieder hofiert. Verbandspräsident Hasan Dogan sagte bereits vor der Rückkehr der Mannschaft gestern in Istanbul: „Wir werden Terim nicht aufgeben.“ Die Qualifikation für die WM 2010 beginnt erst im September. Bekommt Terim ein Angebot, das ihn reizt, wird er es annehmen, zu zerrüttet ist sein Verhältnis zu großen Teilen der Medien, die ihm Arroganz vorwerfen.