ortstermin: silke maier-witt über den weg von der raf zur friedensfachkraft
: Nicht genug gefragt

Von draußen fällt das letzte Sonnenlicht durch die großen Sprossenfenster. Die Söhne der Pastorin tragen noch Stühle in den Gemeindesaal. Silke Maier-Witt steht am Eingang und telefoniert. „Ihr müsst sehen, dass ihr die Verträge irgendwie …“, sagt sie. Sie hat kurzes blond-graues Haar, trägt eine Brille und ein oranges Baumwollhemd. Sie sieht freundlich-unauffällig aus. Deshalb, so wird sie später sagen, habe die RAF sie oft zum Anmieten von Wohnungen geschickt. Das ist jetzt 30 Jahre her, aber vorbei ist es noch lange nicht, nicht für sie, und deshalb steht sie heute Abend für die Arbeitsstelle „Gewalt überwinden“ hier, um über ihren Weg von der RAF zur zivilen Friedensfachkraft zu sprechen. Das wohlwollende Publikum möchte vor allem etwas über die RAF-Zeit hören.

Silke Maier-Witt stellt sich vorne an ein Stehpult. „Ich bin überrascht, dass so viele da sind“, sagt sie. „Ich dachte, dass langsam alle meine Biografie kennen.“ In den Bänken vor ihr sitzen ältere Paare, Menschen, die so aussehen, als würden sie bei der Eine-Welt-Gruppe mittun und dazwischen ein paar Junge. Manchmal kennt Silke Maier-Witt ein paar Leute aus dem Publikum. Einmal kamen die Schwestern aus dem DDR-Krankenhaus, wo sie die Stasi unter neuer Identität untergebracht hatte. Die erzählten ihr im Anschluss, dass sie die Geschichte nie geglaubt hätten. Heute ist ein älterer Herr da, der mit ihr gemeinsam in Hamburg zu Schule gegangen war. „Als das durch die Presse ging, haben wir natürlich ihre Akte wieder vorgeholt“, sagt er und man fragt sich, ob er mit Akte wohl die Abiturzeitung meint.

Silke Maier-Witt ist morgens um drei Uhr mit dem Flugzeug aus Mazedonien gekommen, aber sie spricht fast eine Stunde am Stück, ohne sich je zu verheddern. Sie erzählt von ihren Eltern, der Mutter, die starb, als sie zehn Jahre alt war und dem Vater, der sich freiwillig zur SS gemeldet hatte, aber einem Gespräch darüber immer auswich. „Ich glaube, dass das eine Rolle spielte“, sagt sie, bei der Entscheidung, sich der RAF anzuschließen. Sie beschreibt die Stationen, von der Roten Hilfe hin zur Unterstützer-WG, bis man sie fragte, ob sie bereit sei, in den Untergrund zu gehen. Immer wieder kommt sie darauf zurück, dass sie wenig Selbstbewusstsein gehabt und kaum jemals Fragen gestellt habe. „Ich fand es gut, dass man mir das zutraute.“ Gerade war Generalstaatsanwalt Buback ermordet worden und im Rückblick ist sie noch immer erstaunt, „dass mich das emotional so wenig berührt hat“. Junge Leute fragten sie oft, wie das sein konnte und sie könne ihnen nichts antworten als: „Ich habe es nicht an mich herangelassen.“

Sie sagt offen, dass nicht sie es war, die ausstieg, sondern dass die RAF sie ausschloss, weil man sie nicht mehr für zuverlässig hielt. Sie hätte nach einem Banküberfall als erstes nach der unbeteiligten Frau gefragt, die dabei erschossen worden war und später sei ihr bei den Plänen zu Anschlägen auf US-Kasernen herausgerutscht: „Das wird doch ein Blutbad“. Dann das Untertauchen als Krankenschwester in der DDR, die Verhaftung nach der Wende „wie im Krimi“, der Abschluss des Psychologiestudiums in der Haft und schließlich die Arbeit als Friedensfachkraft im Kosovo und nun in Mazedonien. Als sie ihre Arbeit im Kosovo antreten sollte, gab es Bedenken im Ministerium von Heidemarie Wieczorek-Zeul, schließlich ging es um ein neues Projekt mit gewissem Renommee. Silke Maier-Witt hat damals im Vorzimmer von Generalbundesanwalt Kay Nehm angerufen und um eine Unbedenklichkeitsbescheinigung gebeten. „Warum sollte er sie Ihnen ausstellen?“, fragte man sie. „Das fragte ich mich auch: ,Warum sollte er‘? Schließlich hatten wir seinen Vorgänger ermordet“, sagt Silke Maier-Witt. Kay Nehm schickte die Bescheinigung.

In der Pause drängen sich die Leute um sie und auch danach reißen die Fragen nicht ab. Die Leute wollen Praktisches wissen – woher kam das Geld, hatte sie nicht Angst, vom harten Kern nach dem Ausschluss getötet zu werden – und sie wollen wissen, wie sie die Gewalt der RAF billigen konnte. Ein Mann steht auf und sagt: „Wenn Sie sich hier hinstellen als Mitläuferin, tragen Sie doch genauso viel Schuld.“ Eine Frau, deren Schwager von der RAF getötet wurde, sagt: „Sie sagten, sie wollten das System treffen, aber sie haben doch Menschen getroffen.“ Silke Maier-Witt antwortet: „Es wurde damit gerechtfertigt, dass man alles einem politischen Ziel unterordnen müsste. Aber ich gebe Ihnen recht.“ Ein Mann steht auf und wünscht sich etwas vom Geist der RAF zurück. Das Publikum murrt leise. Silke Maier-Witt wird später in seine Richtung gewandt sagen: „Manche Leute fanden die Anschläge gegen Raketenbasen klammheimlich gut. Und dann waren sie überrascht, dass es in Mord endet.“

Nur einmal sagt sie stopp: Als jemand sie fragt, wie sie die Nazivergangenheit der Eltern-Generation für die RAF-Mitgliedschaft heranziehen könne – das gelte doch für die ganze Generation. „Da müsste man psychoanalytisch vorgehen, aber das geht mir hier zu weit.“ Spät kommt eine Frage zu ihrer gegenwärtigen Arbeit und da sagt sie, ganz kurz: „Ich bin Ihnen dankbar für diese Frage.“ Aber sie beantwortet auch alle anderen, und es wirkt wie eine Buße dafür, einmal, im entscheidenden Moment, nicht gefragt zu haben.

FRIEDERIKE GRÄFF