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Archiv-Artikel

Hand auf Sackhöhe

Der Dokumentarfilm „Air Guitar Nation“ stellt die faszinierende Subkultur des Luftgitarrespielens vor

Am 11. Juli wird im Kreuzberger Lido die 5. Luftgitarrenmeisterschaft ausgetragen, und passend dazu zeigt das Eiszeit Kino „Air Guitar Nation“ der amerikanischen Regisseurin Alexandra Lipsitz. Der Dokumentarfilm will eine ernste filmische Hommage an das Luftgitarrespielen sein und folgt seinen beiden Protagonisten von den US-amerikanischen Vorentscheiden in New York und Los Angeles bis zur Weltmeisterschaft nach Oulu, einer Stadt in Finnland, dem Mutterland der Luftgitarre.

Die Zeit des Gitarristen als kultureller Heldenfigur liegt ja nun schon zurück, deshalb ist man leicht versucht, das Luftgitarrespielen, wie den Teebeutelweitwurf, als ironische Sportart abzutun. „Luftgitarre ist eine Kunstform, ist Performance-Kunst“, wird man zu Beginn aufgeklärt. C. Diddy, Gewinner des West-Coast-Vorentscheids, steht im Zentrum des Films. Man besucht ihn zuhause, bei Eltern und Verlobter und begleitet ihn vom Vorentscheid zur Weltmeisterschaft.

C. Diddy verbindet Air Guitar mit asiatischem Kampfsport und macht ansonsten viel mit der Zunge. Sein Konkurrent Björn Turoque, französisch ausgesprochen „born to rock“, gibt sich als echter zappeliger Sex-and-Drugs-and-Rock-’n’-Roller mit ausgeprägter Beinarbeit.

Zappelig ist auch die Dramaturgie des Films: Akribisch werden die ersten Erwähnungen von Air Guitar in der amerikanischen Presse bem CNN-Morgenmagazin und Turoques Auftritte in diversen Talkshows kommentiert. Zwischendurch interviewt man Besucher und Mitwirkende der Wettbewerbe und lässt die wenigen weiblichen Teilnehmer dabei gewissenhaft links liegen. Dafür schwärmen Softwareentwickler und Büroangestellte um die 30 davon, wie sie bei Air Guitar ihre wilde Seite ausleben können: „Man kann so tun, als ob man ein Rockstar ist, obwohl man gar keiner ist!!“ Natürlich wird immer wieder die Performance gezeigt, die meisten entscheiden sich für den phalluszentrierten Stil des Cock Rock. Hierbei wird die Gitarre in erster Linie als Körperextension gesehen, die rechte Hand bewegt sich schnell auf Sackhöhe auf und ab, während das Gesicht Inbrunst, Verzückung bis zur hässlichen Ekstase ausdrückt. Pantomimisch begabte Luftgitarristen stimmen vor dem Spiel noch akribisch alle 6 Saiten durch und drehen ihre Air-Verstärker auf.

Von Pete-Townshends Windmühlenflügeln bis zu Jimi Hendrix’ Zungenspiel werden alle Archetypen der Rockbühnenmotorik vorgeführt. Der kreative Luftgitarrist bedient sich aber auch bei Figuren aus anderen Sportarten. So kennt man das seitliche Galoppieren an der Gitarre nicht nur von Angus Young, sondern auch als Piaffe aus dem Dressurreiten. Während die amerikanischen Luftgitarristen sich gerne in stars und stripes kleiden, denkt man in Finnland globaler. Die finnischen Luftgitarristen haben den Weltfrieden im Sinn: „Es ist unmöglich, eine Waffe zu tragen und gleichzeitig Luftgitarre zu spielen“, lautet der pazifistische Hintersinn des finnischen Air-Guitar-Wettbewerbs.

So wird die Dokumentation auch erst, als die beiden US-Luftkünstler in Finnland ankommen, ein wenig interessanter: Der Empfang des Bürgermeisters in Oulu bei Buffet und klassischer Musik, das Bootcamp im finnischen Holzhaus, die Air-Guitar-Kämpfer bei Lockerungsübungen, Gymnastik und Yoga. Dann werden unvermittelt Collagen aus George-W.-Bush-Fotos und Bilder aus dem Irak eingeblendet. Sie sollen dem Film wohl eine irgendwie politische Ebene geben, wird doch im Presseheft ein Film zwischen „patriotic spirit and political tension“ versprochen. CHRISTIANE RÖSINGER

„Air Guitar Nation“. R. Alexandra Lipsitz. Mit Peter Cilella, Dan Crane, Adam Crystal. 81 Min., USA 2006. Ab heute im Eiszeit-Kino, 22 Uhr