: Ein Bild mit Flecken
Der Hamburger Krimiautor Robert Brack hat 20 Jahre lang höchsten Wert auf Fiktionalität gelegt, bis er von einem Doppelselbstmord in der Weiblichen Kriminalpolizei Hamburgs im Jahr 1931 hörte. Brack hat den Fall recherchiert und daraus den Roman „Und das Meer gab seine Toten wieder“ gemacht
von KLAUS IRLER
Es gab eine Zeit, da hieß Robert Brack noch Ronald Gutberlet. Mitte der 1980er Jahre war das, Gutberlet hatte ein Soziologie-Studium hinter sich und arbeitete als Journalist in Hamburg, unter anderem im Ressort „Gastronomie“. Das funktionierte gut, und doch ließ Gutberlet eine bestimmte Frage nicht los, eine Frage, die ihn schon lange beschäftigte: Wie wird man Schriftsteller? Gutberlet war bereits zwei Jahre lang um seine Schreibmaschine geschlichen, auf der Suche nach der Antwort. Irgendwann hatte er sie gefunden. Und fasst sie heute, fast 20 Jahre später, folgendermaßen zusammen: „Es ist ganz einfach. Man setzt sich hin und schreibt.“
Man könnte sagen, Gutberlet schreibt seine Bücher, wie andere Leute das Rauchen aufhören. Anfangen, ohne auf den Zeitpunkt zu warten, wo’s gerade besser passt. Kein unnötiges Theoretisieren. Unter Umständen an Regeln halten. Bei all dem Disziplin mitbringen, Willenskraft, und dabei den Vorgang nicht allzu hoch hängen. Gutberlet schrieb damals einen Krimi, was die Sache erheblich vereinfachte: „Ich musste keine Literatur machen. Was für eine Erleichterung!“
Mittlerweile ist Gutberlet 49 Jahre alt und hat 24 Krimis geschrieben. 13 unter dem Pseudonym Robert Brack, elf unter dem Pseudonym Virginia Doyle. Sein neues Buch heißt „Und das Meer gab seine Toten wieder“, es stammt von Brack und der ist immer noch in Aufruhr: „Es ist mein wichtigstes Buch“, sagt er und meint das sehr ernst. Erstens, weil das Buch auf wahren Tatsachen beruht. Zweitens, weil es stilistisch ein echter Brack geworden ist: Knapp, präzise, reduziert auf das Wesentliche.
„Und das Meer gibt seine Toten wieder“ spielt im Winter 1932, es sind politisch unruhige Zeiten im Vorfeld der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und in Hamburg geht ein Polizeiskandal durch die Presse. Es geht um die Weibliche Kriminalpolizei, die ursprünglich eine progressive SPD-Idee war. Zwei Polizistinnen der Weiblichen Kriminalpolizei waren tot am Strand der Insel Pellworm aufgefunden worden. Nach der offiziellen Version sollen sich die beiden selbst umgebracht haben. Für den Tod verantwortlich sein soll die Leiterin der Weiblichen Kriminalpolizei, Josephine Erkens. Es wird ein Disziplinarverfahren gegen Erkens eingeleitet und die Dienststelle wird aufgelöst. Die Nachforschungen der Polizei zum Tod der Beamtinnen sind äußerst lückenhaft: Es gibt keine Obduktion der Leichen, kein Original des Abschiedsbriefs und in der Presse widersprüchliche Angaben zu Todesursache- und Zeitpunkt. So weit die Tatsachen.
In diese Situation schickt Brack in seinem Roman die fiktive Polizistin Jennifer Stevenson aus London, die im Auftrag der „International Association of Policewomen“ Nachforschungen zum Schicksal der beiden toten Polizistinnen anstellt. Stevenson versucht, die Beteiligten zu befragen, wird von den Verantwortlichen geschnitten, irrt durch eine intrigante, von politischen Interessen unterwanderte Polizeibehörde und kommt zuletzt zu einer zwar nicht beweisbaren, aber plausiblen Erklärung der Ereignisse.
„Und das Meer gibt seine Toten wieder“ ist die Geschichte einer Einzelkämpferin, die gegen einen korrumpierten Staatsapparat auftritt – wobei unklar ist, wer auf welcher Seite steht und wo die Fronten verlaufen. Es geht um die Monate vor der Machtergreifung, um jenen Prozess, in dem ein Land samt seiner Behörden nationalsozialistisch wird. Die Bedrohung geht von den Gesetzeshütern selbst aus, und sehr gekonnt ist, wie Brack das Diffuse dieser Bedrohung erzählt, wie sich der Kriminalfall und der zeitgeschichtliche Hintergrund gegenseitig durchdringen und das Buch trotzdem immer ein atmosphärisch dichter, kurzweiliger Krimi bleibt.
Brack sagt, er habe „nichts dazuerfunden. Ich bin sehr dicht dran, die Zusammenhänge richtig zu zeigen.“ Zwar können er die Vorgänge nicht vollständig aufklären, zwar gebe es am Ende des Buchs „noch weiße Flecken. Aber trotzdem ergibt sich daraus ein Bild.“
Brack sagt auch, wie sehr er gebangt hatte, dass niemand vor ihm den Stoff entdeckt. Schließlich ging der Fall damals bundesweit durch die Zeitungen, zudem spielt Josephine Erkens für die Entwicklung der Weiblichen Kriminalpolizei auch international eine wichtige Rolle. Brack verriet bis zuletzt niemandem, wovon genau sein neues Buch handeln würde. Er arbeitete seit 2002 an dem Roman, nicht ausschließlich, aber doch kontinuierlich.
Für Brack ist das Buch ein „Schritt in eine ganz andere Richtung“: Niemals zuvor hat er einen realen Fall zur Grundlage genommen, hatte sich im Gegenteil immer für die Genremythen interessiert und es abgelehnt, mit tatsächlichen Vorkommnissen zu arbeiten.
Brack schrieb beispielsweise „Das Mädchen mit der Taschenlampe“ bewusst entgegen aller Regeln des Genres, verkaufte das Buch mäßig, bekam aber den Preis „Marlowe“ der Raymond-Chandler-Gesellschaft. Oder er ließ seine Privatdetektivin Lenina Rabe fast ausschließlich im Hamburger Stadtteil Altona, und dort mitunter auch nur in Ottensen ermitteln: „Meine Variante des Regionalkrimis ist, den regionalen Rahmen ganz eng zu machen“, sagt Brack.
Bracks Roman „Das Gangsterbüro“, für den er den Deutschen Krimi-Peis bekam, erzählt dagegen von einem internationalen Gangster-Syndikat im europäischen Machtgefüge. Und in der „St. Pauli-Trilogie“, verfasst von Virginia Doyle, geht es darum, die Vergangenheit des Stadtteils aufleben zu lassen – es handelt sich um historische Kriminalromane, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielen.
Gutberlet-Brack-Doyle ist nicht nur chamäleonhaft vielseitig, er ist auch einer, der strenge Arbeitszeiten einhält. Geschrieben wird werktags von 8.30 bis 15.30 Uhr. „Man muss zu allererst Handwerker sein“, sagt Brack einerseits, schreibt andererseits aber nicht, „um einen Bestseller zu machen, sondern um die Bücher zu schreiben, die ich gerne schreiben will“.
Brack sagt, er bringe nicht gerne Leute um in seinen Büchern und beim Krimi gehe es ihm nicht nur um die Spannung, sondern darum, dass „etwas schwingt in der Sprache“. Man würde sich nicht wundern, wenn aus Brack irgendwann doch wieder Gutberlet würde, der die Sprache ohne Tote zum Schwingen bringt. Er könnte über einen Menschen schreiben, der Probleme hat, sich festzulegen. Aber ohne Regeln nicht weiterkommt.
Robert Brack: Und das Meer gab seine Toten wieder. Edition Nautilus, 224 Seiten, 13,90 Euro; Buchpräsentation mit Werkstattgespräch: 7. Juli, 19.30 Uhr, Gangsterbüro, Pinnasberg 81, Hamburg
Fotohinweis:Josephine Erkens leitete Anfang der 1930er Jahre die Weibliche Kriminalpolizei in Hamburg und spielt eine wichtige Rolle in dem neuen Buch von Robert Brack Fotos: Nautilus, Nele Gülck