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Archiv-Artikel

Proteste gegen den „Biosprit-Wahn“

Im japanischen Sapporo protestieren Globalisierungsgegner gegen den G-8-Gipfel. Sie machen die Industriestaaten für die Getreidepreiskrise verantwortlich. Unter Beschuss standen nicht nur die USA, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel

AUS SAPPORO FELIX LEE

Eigentlich wollten die Globalisierungskritiker ihren Protest gegen den G-8-Gipfel mit einem Friedensmarsch beginnen. Doch die aktuellen Entwicklungen haben auch sie eingeholt. „Der hohe Ölpreis und die Ernährungskrise bedrohen die Existenz von über hundert Millionen Menschen“, sagte der Globalisierungskritiker und Träger des Alternativen Nobelpreises, Walden Bello, zur taz. „Das kann uns nicht kalt lassen.“

Und so änderte sich das Motto der Proteste. „Nein zum heuchlerischen Gipfel, der die globale Umwelt zerstört“ und „Stoppt den Biosprit-Wahn“ stand nun auf den vielen Transparenten geschrieben. Etwa 5.000 Menschen kamen am Samstag zur Auftaktdemonstration der Gipfelgegner nach Sapporo in Nordjapan, um gegen den am Montag in Toyako beginnenden G-8-Gipfel zu protestieren. Dort treffen sich Vertreter der sieben führenden Industriestaaten und Russland.

„Menschen in den armen Ländern müssen hungern, damit die Reichen weiter ihre Autos fahren können“, kritisierte etwa Ryozo Inomata, ein japanischer Vertreter der Bauernorganisation Via Campesina, dem internationalen Netzwerk von Kleinbauern. Die Bauern waren zahlenmäßig auf der Demo am stärksten vertreten. In seiner Rede bezeichnete Inomata den Anbau von Pflanzen für Biokraftstoff als „ein Verbrechen gegen die Menschheit“. Bereits jetzt komme es in armen Ländern zu Hungeraufständen, weil Anbauflächen nicht mehr für Reis und Weizen verwendet werden, sondern für Biosprit.

Erst jüngst hat eine Studie der Weltbank ergeben, dass die Nutzung von Pflanzen zur Gewinnung von Biokraftstoffen Lebensmittel 75 Prozent teurer gemacht hat. Die USA, die bereits ein Drittel ihrer Anbauflächen für Biosprit nutzt, macht diesen Kraftstoff nur für einen Preisanstieg von 3 Prozent verantwortlich und gibt der verstärkten Nachfrage von Indern und Chinesen die Schuld für die gestiegenen Lebensmittelpreise.

Aber nicht nur die US-Regierung steht unter Beschuss. Alexis Passadakis, der für die deutsche Sektion des globalisierungskritischen Netzwerks Attac an den Protesten in Sapporo teilnimmt, kritisierte insbesondere Äußerungen von Kanzlerin Angela Merkel. Sie hatte am Freitag dazu aufgerufen, die aktuelle Nahrungsmittelkrise durch den verstärkten Einsatz von Gentechnik einzudämmen. Als Beispiel nannte sie Sorten, die mit wenig Wasser auskämen. „Viele Experten setzen darauf, dass der Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen eine wichtiger werdende Rolle spielen wird“, sagte Merkel. Die Kanzlerin instrumentalisiere die Hungerkrise, um im Interesse der Saatgutkonzerne Gentechnik im Süden durchzusetzen, kritisierte Attac-Aktivist Passadakis. Viele Bauernbewegungen lehnen Gentechnik ab. Monsanto und BayerCropSciences würden den Markt für dieses Saatgut beherrschen.

Immerhin versprach Merkel, sich beim G-8-Gipfel für Standards bei der Produktion von Biokraftstoffen stark zu machen. Ein Verdrängungswettbewerb zwischen Lebensmittel- und Biokraftstoffanbau müsse verhindert werden, so die Kanzlerin.

Laut japanischen Zeitungsberichten planen die G 8, Getreidereserven anzulegen, um im Bedarfsfall armen Staaten aushelfen – und vor allem die Preise niedrig halten zu können.

Während der mehr als zweistündigen Demonstration durch die Innenstadt von Sapporo kam es zu einem Zwischenfall: Polizisten stürmten einen Lautsprecherwagen des sogenannten anarchistischen Blocks, weil Teilnehmer nach Angaben der Polizei nicht wie vorgeschrieben zu viert in einer Reihe liefen.