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Archiv-Artikel

Liberaler Beutereflex

Die FDP in Nordrhein-Westfalen sah sich schon als Sieger über Faruk Sen, den umstrittenen Direktor des Zentrums für Türkeistudien. Zu früh gefreut: Nun geht es den Gegnern Sens an den Kragen

AUS KÖLN PASCAL BEUCKER

Im Streit um die Abberufung von Faruk Sen als Direktor des Zentrums für Türkeistudien (ZfT) gerät zunehmend der Vorstand des Essener Instituts in Bedrängnis. Die nordrhein-westfälische SPD fordert den Rücktritt des ZfT-Vorsitzenden Fritz Schaumann. Der Freidemokrat versuche das Zentrum für seine parteipolitischen Interessen zu instrumentalisieren. Die Grünen sprechen bereits von einer „FDP-Affäre“.

Bis heute seien die Mitglieder des Stiftungskuratoriums, die über die endgültige Abberufung Sens am 18. Juli entscheiden sollen, nicht darüber informiert worden, „welche Vergehen ihm genau vorgeworfen werden und warum er nie abgemahnt wurde“, kritisiert der Landtagsabgeordnete Ewald Groth. „Falls Sen wirklich etwas vorzuwerfen ist, dann agiert der Zentrumsvorsitzende Schaumann bislang zumindest unprofessionell“, sagt das grüne Kuratoriumsmitglied. Denn Groth hegt einen anderen Verdacht: „Es scheint so, als wolle die FDP in Amigo-Manier hier Personalpolitik zu ihren Gunsten betreiben.“

Tatsächlich ist auffällig, dass von Anfang an die Liberalen besonders aktiv die Ablösung Sens betrieben haben. Nur kurz nachdem der ZfT-Vorstand mit dem FDPler Schaumann an der Spitze seine vorläufige Suspendierung beschlossen hatte, forderte bereits der nordrhein-westfälische FDP-Generalsekretär Christian Lindner als erster Landespolitiker den türkischstämmigen Professor öffentlich zum Rücktritt auf. Offenkundig schien die Gelegenheit zum Beutemachen einfach zu günstig. Die liberale Suche nach einem Nachfolger Sens hat jedenfalls bereits begonnen. Es sei seine Bitte, „sich sehr schnell darüber Gedanken zu machen, wen man für diese Position aus liberaler Sicht ins Gespräch bringen könnte“, heißt es in einer der taz vorliegenden Mail des FDP-Europaabgeordneten und Lindner-Vertrauten Alexander Graf Lambsdorff an Parteifreunde. „Unser Wort hat Gewicht“, schreibt Lambsdorff. „Das ZfT wird von NRW getragen und wir sind Teil der Landesregierung.“

Die nordrhein-westfälische SPD ist empört über das Verhalten der Liberalen. „Das Zentrum für Türkeistudien ist zu wichtig, um mit ihm politisches Schindluder zu treiben“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Jochen Ott. „Das ist ein mieses Spiel.“ Offenkundig habe der ZfT-Vorsitzende Schaumann nur nach einem Vorwand gesucht, um Sen loswerden zu können: „Aus parteipolitischen Interessen wurde hier eine öffentliche Kampagne inszeniert.“ Es sei nicht nachvollziehbar, dass dem 60-jährigen Wissenschaftler Hausverbot erteilt und die Schlösser ausgewechselt wurden. Ein solcher Umgang mit Sen sei „einfach nur menschlich schäbig“. Das Vorgehen des ZfT-Vorsitzenden sei völlig inakzeptabel: „Herr Schaumann sollte seinen Hut nehmen“, forderte Ott den Rücktritt des FDP-Mannes. „Es muss insgesamt einen Neuanfang geben“, sagte der SPD-Politiker der taz.

Otts Rücktrittsforderung ist nicht das einzige Problem, mit dem sich Schaumann derzeit herumschlagen muss. Denn der 62-jährige Ex-Staatssekretär, den einst Jürgen W. Möllemann als seinen Vertrauten ins Bundesbildungsministerium holte, befindet sich offenbar in Argumentationsnöten, den brachialen Rauswurf Sens zu rechtfertigen. Dessen Artikel in der türkischen Wirtschaftszeitung Referans, in der er seinen unglücklichen Vergleich der heutigen Situation der Türken in Europa mit der der europäischen Juden in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts angestellt hatte, reicht dazu alleine jedenfalls nicht aus.

Laut taz-Informationen lässt der ZfT-Vorsitzende deshalb fieberhaft nach weiterem Belastungsmaterial fahnden. So sollen Zentrumsmitarbeiter aufgefordert worden sein, Jahre zurückliegende türkischsprachige Zeitungsartikel Sens aus dem Archiv zu kramen und nach Inkriminierbarem zu durchforsten. Dabei waren der Vorstand und auch die NRW-Landesregierung über Sens publizistisches Schaffen immer informiert: Das Zentrum hatte ihnen Pressespiegel auch mit Sens türkischsprachigen Artikeln und Interviews stets zeitnah zugeschickt. Beschwerden kamen seinerzeit jedoch nie.