: „Guten Tag, bitte die Tageseinnahmen“
Selbständiger Journalist aus Hamburg gesteht 54 Überfälle auf Schlecker-Märkte im Norden. Das Motiv: finanzielle Schwierigkeiten. Die Taten bereitete er stets im Internet vor – und nutzte dabei rege die Schlecker-Homepage
„Ich habe alle diese Raubüberfälle begangen und bereue die Taten sehr stark.“ Gleich zu Beginn seines Prozesses legt Andreas P. ein Geständnis ab. Der 40-jährige Journalist gibt zu, zwischen dem 11. Juli 2006 und seiner Festnahme im März dieses Jahres insgesamt 53 Schlecker-Märkte im Norden überfallen und dabei 90.000 Euro erbeutet zu haben. „Der Ehrlichkeit halber“ fügt er der Anklage hinzu: „Es fehlt noch eine Tat.“ Schon vor der ersten ihm vorgeworfenen Tat habe er eine Filiale in Hamburg-Eimsbüttel überfallen. Das Motiv: Geldnot. „Ich hab’ mein glückliches Leben gefährdet“, sagt P., „und vor mir den Abgrund gesehen.“ Die Anklage wirft ihm räuberische Erpressung in 53 Fällen vor.
Eigentlich hätte man Andreas P. als eine Art Karrieristen bezeichnen können: Volkswirtschaftsstudium mit Prädikat, bald darauf Vertriebsleiter beim Internet-Unternehmen Ision. „Dann musste ich den Absturz der New Economy erleben“, berichtet P. vor Gericht. Der lukrative Job war weg. Ähnlich sei es zur gleichen Zeit seiner Schwester ergangen: Die habe „15 Jahre einen Top-Job“ als Chefredakteurin und sei wegen Umstrukturierungen entlassen worden. Beide beschließen sich selbständig zu machen, geben ab 2004 eine Fachzeitschrift für Psychologie und Physiotherapie heraus, die allerdings floppt. Danach planen beide die Herausgabe eines Hotelfachmagazins, doch auch dies scheitert im Anfangsstadium mangels Anzeigen. So sind bald sämtliche finanziellen Ressourcen aus Abfindungen, Erspartem und ausgezahlter Altersvorsorge aufgebraucht. „Ich machte mich für das Scheitern der Projekte verantwortlich“, berichtet P.
Da er als Journalist die Polizeipressemeldungen lese, sei ihm aufgefallen, wie oft Schlecker-Märkte überfallen werden: „Schlecker spart an Sicherheit“, habe er wiederum auf der Internet-Seite der Gewerkschaft Ver.di gelesen. „In den Filialen ist oft nur eine Verkäuferin beschäftigt und die Tageseinahmen werden nachts in Werteschränken aufbewahrt.“ Auch die Planungen führte P. per Internet durch: Über Google, die ADAC-Seite und die Schlecker-Homepage kundschaftete er die jeweilige Filiale aus. „Wichtig war für die Flucht, dass sie nahe an der Autobahn liegt.“
Bei seinen Taten will Andreas P. stets nach demselben Schema vorgegangen sein: Er sei gleich nach Ladenöffnung gekommen und habe „Guten Tag“, gesagt: „Bitte bekommen Sie keinen Schreck, Sie brauchen keine Angst zu haben.“ Dann habe er höflich die Einnahmen vom Vortag verlangt und kurz eine Schreckschusspistole aus der Jackentasche geholt. „Ich habe niemals auf eine Verkäuferin gezielt oder sie angefasst“, sagt P., „damit ich keinen großen Schreck und Angst hervorrufe.“ Bei Komplikationen habe er den Überfall sofort abgebrochen. Und sei eine Filiale gekennzeichnet gewesen – „Überfall ist zwecklos, Geldträger sind elektronisch gesichert“ – habe er sie gar nicht erst betreten. Nach der Tat sei er dann mit dem Auto geflüchtet.
Begonnen hatte P. seine Überfälle im Juli 2006 in Hamburg, wo er sich gut auskannte. „Ich war erstaunt, wie leicht es war“, erinnert sich P. „Ich habe die Tat ruhig ausgeführt, obwohl ich innerlich sehr aufgeregt war.“ Schnell weitete P. seinen Radius auf Städte in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie auf Bremen aus. Und sogar Filialen in Hessen und Nordrhein-Westfalen suchte er heim. Bei einem Überfall in Bottrop wurde P. dann auch verhaftet, nachdem ihm die Sonderkommission „Perücke“ – benannt nach seinem wichtigsten Verkleidungsutensil – auf die Spur gekommen war.
„Wie lange wollten Sie das eigentlich noch machen“, fragt der Vorsitzende Richter Hartmut Loth den Angeklagten. „Ich hatte die ganze Zeit die Hoffnung, dass wir beruflich wieder auf die Beine kommen“, antwortet dieser. Er habe gewusst, dass die Überfälle der falsche Weg seien. Allerdings habe er das „für mich aber nicht realisiert“.
Vor Gericht unterstreicht P., dass er nie mit der Waffe auf Verkäuferinnen gezielt habe, damit „die Situation für sie nicht schimmer wird“. Zeugin Anita A. aus Hannover hat das allerdings anders empfunden: Als P. plötzlich vor ihr stand, während sie gerade vor einem Regal hockte, blickte sie ihrer Erinnerung nach direkt in die Pistolenmündung. Seither leidet sie an einer psychische Erkrankung. Auch Antje M. aus Hamburg fühlte sich von P.s Pistole bedroht, obwohl er „nicht bösartig“ gewesen sei, sagt M, „sondern auf seine Art nett“. P.s Entschuldigung quittierten beide Frauen allerdings mit Missachtung. KAI VON APPEN