: Der Rhythmus des Verbrechens
Mordphantasien an die Oberfläche zerren, das Verbrechen erzählen lassen, um es neu zu deuten – die Inszenierung „performing crime“ fleddert im Namen der Kunst Kriminalfälle. Der Bremer Staatsanwaltschaft war das nicht geheuer: Kurz vor dem Start verbot sie der Polizei die Mitwirkung
Von CHRISTIAN JAKOB
Darf man sich hingebungsvoll der Frage widmen, was man am liebsten anziehen würde, wenn man seinen Partner absticht? Und was, wenn man die gewählte Kleidung – etwa eine „bequeme hellgrüne Leinenhose“ oder ein „zitronenfaltergelbes Kleid im Stil der 50er Jahre“ – tatsächlich anlegt und dazu ein großes Messer in die Hand nimmt? Sind gesammelte Fotografien solcher Kostümierungen, angespitzt durch maliziöse Beschreibungen der imaginierten Mordtaten, gar ein Kunstwerk?
Auf solche Weise das Verbrechen zu inszenieren, um es erweiterten Deutungen zugänglich zu machen – das will das „performing crime“-Projekt der Berliner Künstlergruppe Lunatiks. Der Bremer Staatsanwaltschaft war dieses Anliegen suspekt. Nachdem die Kripo bereits – mit offiziellem Segen des Bremer Polizeipräsidenten– seit dem letzten Herbst „Lunatiks“ beratend zur Seite stand, distanzierte sie sich letzte Woche überraschend von dem Projekt. Die Staatsanwaltschaft hatte kurz vor dem Start der viertägigen Performance Wind von der Sache bekommen und der Polizei jede weitere Zusammenarbeit verboten – weil laufende Verfahren Gegenstand einiger Installationen sind. Treu hingegen blieb „Lunatiks“ der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) – als Schirmherr.
Nicht um das Böse an sich, oder den Regelverstoß als solchen geht es. Im „Archiv des Verbrechens“ werden tatsächliche Kriminalfälle, die sich in der Stadt zugetragen haben, verhandelt: Die Entführung des achtjährigen Schülers Dennis M. etwa, um dem „Zeiterleben von Opfer und Ermittler“ nachzuspüren. Oder der Doppelselbstmord eines jungen Albaners und eines Türken auf einem Friedhof im Bremer Westen, der in einer Art Seiltanz rezitiert wird. Eine Audio-Installation widmet sich dem Brechmitteltod des Sierra Leoners Laya Condé im Bremer Polizeigewahrsam; eine beklemmende Kakophonie legt sich hier über ein minimalistisches Schauspiel. Die ermordete Prostituierte aus der Tiefgarage, der korrupte Klinikmanager, der „Chor der Wirtschaftskriminellen“ – sie alle tauchen auf in den einstigen Räumen der Steuerbürokratie, mal wattig-schaudrig, banal, oft sperrig. Die Kritiker überzeugte es schon in der Planungsphase: Die Projektskizze wurde mit dem „Bremer Autoren- und Produzentenpreis“ ausgezeichnet, in der Laudatio war von „Probebohrungen in die Psychotopographie einer Stadt“ die Rede.
Lunatiks ist, was die künstlerische Ausschlachtung realer Verbrechen angeht, sozusagen Wiederholungstäter. „performing crime“ ist der dritte Teil ihrer „Verbrechen & Gesellschaft“-Serie. 2005 inszenierten sie am Nationaltheater Mannheim „Die Polizey – Physiognomie der Angst“, 2006 suchten sie Stuttgart mit einer „interaktiven Fahndungssimulation heim. „performing crime“ ist nun ein Gemeinschaftswerk: Künstlerteams des „Jungen Theaters“, der Hochschule für Künste, des „Zentrum für Performance Studies“ und anderer Einrichtungen liefern die rund 30 Installationen.
Doch beschränkt sich der Anteil von „Lunatiks“ nicht auf die Konzeptionierung. Auch sie steuern Kunst bei: den Rahmen des Ganzen nämlich. Das „Archiv des Verbrechens“ ist inszeniert wie eine unwirkliche, kafkaeske Behörde: Die zugewiesenen Routen, die sich der Besucher durch ein System ausgefeilter, kryptischer Zeichenschablonen erarbeiten muss, gleichen einer semiotischen Schnitzeljagd durch ein postmodernes Krimi-Kabinett.
Anstoß erregt der Begriff von Verbrechen, der dem Projekt zugrunde gelegt wird: „Verbrechen“ so notieren die Veranstalter, „sind gewaltsame Eingriffe in den gewaltarmen Teil unserer Realität.“ Tobias Rausch von Lunatiks verteidigt diese These: „Es liegt immer ein Einbruch in eine bestimmte Ordnung vor.“ Bringt nicht die soziale Ordnung der Realität jedes Verbrechen vielmehr erst selbst hervor, als dass von äußerlichen „Eingriffen“ die Rede sein könnte? „Natürlich gibt es Strukturen, die Kriminalität zu Grunde liegen, Schulden etwa oder sozialer Abstieg,“ sagt Rausch. „Aber diese Strukturen gehen dem Verbrechen nicht voraus. Kriminalität ist ein ganz individueller Vorgang, entscheidend ist die Motivation und der Einzelfall.“
Eine Verallgemeinerung sei jedoch zulässig: Das „Inszenierende“ sei charakteristisch für viele Typen von Kriminalität, auch ohne dass sich die Kunst ihrer annehme. „Durch die Art, wie Erpresserbriefe geschrieben sind, oder wie man sich bei einem Raub maskiert wird das Verbrechen zur Bühne des Täters, auf der er seine Drohkulisse aufbaut.“ Phänomenen, wie der „Rhythmik“, die solchen Inszenierungen innewohnt, wolle man sich im „Archiv des Verbrechens“ nähern.
Bei Teilen der lokalen Presse kam dies nicht gut an. Sie hielten dies für Ästhetizismus und sahen die Würde der Opfer gefährdet. Die Performance-Künstlerin Julia Körperich, eine der Urheberinnen der Brechmittel-Installation, kann dies nicht nachvollziehen: „Wir machen Verbrechen nicht schöner als sie sind.“ Der Vorwurf, dass man sensationsheischend zu Lasten der Opfer Kunst produziert habe, gehe an der Sache vorbei: „Bei uns wird die Stimmung reproduziert, die wir beim Verfolgen des Prozesses hatten. Die Verwirrtheit, das Unwohlsein und die offenen Fragen bei unserer Installation sind das Ergebnis der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Fall.“ Für die Angehörigen sei das „in Ordnung“ – der Bruder des Toten selber hat eine Tonspur für das Projekt eingesprochen.
Doch neben solchen tragischen Fällen geht es bei „performing crime“ auch um Dinge wie Gefängnisausbrüche oder Banküberfälle, die seit jeher eine subversive Faszination ausstrahlen. Kann man solche Themen überhaupt verhandeln, wenn man – wie „Lunatiks“ – die Kriminalpolizei als Kooperationspartner hat? „Wir sind hier in der Tat zwei Gefahren ausgesetzt“, sagt Rausch, „der der Heroisierung und der Banalisierung“. Dies hätten viele der KünstlerInnen umschifft, indem sie die Phänomene in den Mittelpunkt gestellt hätten und die „ethische Bewertung der Taten völlig außen vor“ bleibe.