: Ein Rennen entfernt sich
Beim Duhner Wattrennen müssen die Pferde immer weiter draußen im Watt laufen. Nötig wird das aufgrund einer neuen, extrem weichen Sedimentschicht. Eine Begleiterscheinung der Elbvertiefung?
aus Cuxhaven-Duhnen ROGER REPPLINGER
Um zehn Uhr morgens ist es eine Idylle. Schnarchende Junggesellen in Campingstühlen mit Flaschenhalter; die Jungs der Freiwilligen Feuerwehr Cuxhaven tragen Brillen, die sie in amerikanischen Gangsterfilmen gesehen haben, ihre blonde Kollegin hat die Schuhe ausgezogen und sonnt sich. Dort, wo Luft und Wasser ineinander übergehen, treffen sich ein Containerschiff auf dem Weg nach Hamburg und ein Kreuzfahrtschiff, das von dort kommt. Familien haben die Strandkörbe belegt und packen belegte Brote aus. Die Kinder holen sich Appetit beim Bau einer Strandburg.
Die Insel Neuwerk schläft im Dunst und Dirk Fürst vom Technischen Hilfswerk prüft mit vier Kollegen die Festigkeit der im Watt stehenden Zäune. Die Ebbe hat erst ein paar Stellen trocken gelegt, der Tiefstand ist auf 16.19 Uhr vorausberechnet. Ohne das Deutsche Hydrographische Institut in Hamburg und seine Berechnungen könnte das Duhner Wattrennen nicht stattfinden. Sechs Stunden läuft das Wasser in die Priele, sechs Stunden läuft es ab, alle zwölf Stunden ist Hoch-, alle zwölf Stunden Niedrigwasser. Die erste Maschine zur Berechnung der Gezeiten wurde 1916 in Potsdam gebaut. Da gab es das Duhner Wattrennen vor Cuxhaven, bei dem Pferde im Galopp und Trab über den Meeresboden rennen, schon ein paar Jahre. Heute sind Wasser und Meeresboden nicht mehr das, was sie bei der Premiere im Jahr 1902 waren.
Heute berechnet ein Computerprogramm, in welchem Zeitraum das Rennen statt finden kann, so dass keiner der 35.000 Zuschauer in Gefahr kommt. Da gehen der Wind, die Küstenlinie, die Wassertiefe, der Sandabfall, die Beschaffenheit der Bucht und natürlich Mond und Sonne in die Berechnungen ein.
Das Duhner Wattrennen ist eine konservative Angelegenheit. Hans-Heinrich Isenbart, 85 Jahre alt, trägt einen dunkelblauen Zweireiher mit goldenen Knöpfen und einen Stock. Was er äußert, hat gesetzgebende Kraft: „Der Kampf Ferd gegen Ferd in höchster Geschwindigkeit ist Ursprung des Pferdesport überhaupt.“ Auch Henry Böhack, Präsident des Wattvereins, spricht von „Ferd“ und „Sspaß“ und von dem „Sstart“, der alsbald erfolgt. Böhack fordert aber auch, dass „nicht noch mehr Schiet in unsere Elbe gekippt wird“.
Die Pferde sind nämlich in diesem Jahr nicht kleiner ausgefallen als in den vergangenen, sondern laufen weiter draußen im Watt. Das hat damit zu tun, dass das Watt in Ufernähe durch eine Sedimentschicht von nie gekannter Dicke weicher als je zuvor ist. Die Sedimente haben laut der Forschungsstelle Küste zugenommen, weil die Hamburger die Elbe ausbaggern lassen und Millionen von Kubikmetern Sediment, die dabei anfallen, zwischen den Sandbänken Vogelsand und Gelbsand vor Cuxhaven und der Tonne E 3 vor Helgoland verklappt werden. Bei diesen Sedimenten mit dabei sind auch die acht Millionen Kubikmeter Hafenschlick, die an der Köhlbrandbrücke anfallen.
Die Sedimente werden im Watt angespült und machen Cuxhavens Oberbürgermeister Arno Stabbert (CDU) Sorgen. Er hat die Forschungsstelle Küste beauftragt, die Veränderung des Watts zu untersuchen. „Die Frage war: Ist das eine natürliche Sache oder nicht“, sagt Stabbert. In einer ersten Beurteilung sagen die Küsten-Wissenschaftler, „dass offensichtlich die Baggerarbeiten in der Elbe für die Veränderung ursächlich sind“.
Geht das so weiter, ist das Wattrennen gefährdet. Es scheint, als würde auch bei Cuxhaven die Idylle dort am mildesten leuchtet, wo die Widersprüche am schärfsten sind.
P. S.: Den Wanderpokal des Niedersächsischen Ministerpräsidenten gewann Ramona Kosche auf Agatonanago II. Auf die namentliche Nennung der elf anderen SiegerInnen aus den insgesamt zwölf Wettbewerben verzichten wir aus Platzgründen.