: Ein kriegsmüdes Publikum
Wechseljahr 2008 (23): Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation
„Das ist eine gefährliche Sache, die wir hier legitimieren.“ So äußerte sich ein Informant des renommierten Journalisten Seymour Hersh, der am 7. Juli im Magazin New Yorker eine detaillierte Analyse über die seit Ende 2007 eskalierenden Geheimaktionen des US-Militärs im Iran publizierte. Der Präsident ist verpflichtet, bei allen militärischen Operationen wichtige Mitglieder des Kongresses, u. a. die Vorsteher der Geheimdienst-Ausschüsse, zu informieren und ihre Legitimation zu ersuchen. Auch die beteiligten Demokraten gaben Bush die erwünschte Zustimmung. Die Folge: 400 Millionen Dollar wurden genehmigt zwecks Regimedestabilisierung und Finanzierung iranischer Dissidenten, Stationierung amerikanischer Truppen an der afghanischen Grenze zum Iran, und Billigung von potentiellen „tödlichen Defensiv-Aktionen“ gegen eine Liste von Zielpersonen, erstellt von Vizepräsident Cheney.
Normalerweise würde eine solche Story von Hersh eine breite Medienberichterstattung nach sich ziehen. Schließlich war Hersh derjenige, der 1969 die Geschichte des My Lai Massakers an die Öffentlichkeit brachte. Und Hersh hat die Geschichte von Abu Ghraib aufgedeckt. Aber diesmal fand seine Reportage kaum Widerhall. Ebenso wenig wie sein Fazit, dass das Weiße Haus mit Zustimmung führender Demokraten die iranische Regierung absichtlich provoziert habe, in der Hoffnung, sie würde militärisch reagieren und dadurch wiederum eine offene militärische Aktion gegen Iran legitimieren. Noch sechs Monate verbleiben der Regierung Bush, diese Situation zu schaffen.
Wie kann das sein? Hersh richtet sich an ein kriegsmüdes Publikum, das retrospektiv gelernt hat, Aussagen von Bush und Cheney mit Skepsis zu begegnen. Doch die iranische Regierung hat der amerikanischen einen großen Gefallen getan. Denn die Medien handeln das - fraglos erschreckende - Faktum, dass Iran nun tagelang „experimentell“ Raketen abfeuert, die nicht nur amerikanische Militärstationen im Golf, sondern auch Israel erreichen könnten, als „irrationalen“ Aggressionsakt ab. Die Diskussion kreist permanent um die sogenannte „Frage“, ob oder wann die USA angreifen, wenn Iran seine „Urananreicherung“ nicht stoppe.
Eine besonders tragische Ironie dabei ist, dass selbst führenden Köpfe der amerikanischen Militärkräfte, Admirale, Oberoffiziere sowie Verteidigungsminister Robert Gates, vehement gegen den von Cheney so inbrünstig erwünschten, militärischen Schlag opponiert haben. Gates warnte davor - auch dies wird von Hersh berichtet - , dass ein solcher Schlag „Generationen von Dschihadisten schaffen wird, und unsere Enkel unsere Feinde hier in Amerika bekämpfen werden müssen.“
Schade, dass die Demokraten im Kongress lieber auf das Weiße Haus hören als auf das Militär. Zu groß muss die Angst sein, im Krieg gegen den Terror als zu weich zu erscheinen. Dass eine Bombadierung Irans nicht nur illegitim wäre, sondern desaströse Folgen hätte, scheint auch unter Demokraten unaussprechlich zu sein.
DAGMAR HERZOG, geboren 1961, Historikerin, forscht unter anderem zum Aufstieg der religiösen Rechten in den USA