: Afghanistan: Todesfalle für GIs
Für das US-Militär ist der Krieg am Hindukusch mittlerweile verlustreicher als der im Irak. Der designierte Präsidentschaftskandidat Barack Obama will die Truppen in Afghanistan um weitere 10.000 Soldaten aufstocken
VON SVEN HANSEN
In der afghanischen Nordostprovinz Kunar an der Grenze zu Pakistan haben mutmaßliche Kämpfer der Taliban oder ihre Verbündeten am Sonntag einen Außenposten des US-Militärs angegriffen. Bei den für die US-Truppen verlustreichsten Kämpfen seit 2005 starben neun US-Soldaten der Nato-geführten multinationalen Afghanistan-Truppe Isaf. 15 weitere amerikanische und 4 afghanische Soldaten wurden verletzt. Dies gab die Nato bekannt. Sie nannte aber wie üblich nicht die Nationalität der Getöteten. Laut US-Medien handelt es sich bei den Toten jedoch um US-Soldaten.
Mehr als 100 Rebellen hatten in den frühen Morgenstunden mit Granatwerfern, Mörsern und Maschinengewehren angegriffen. „Die Aufständischen kamen in das angrenzende Dorf, vertrieben die Bewohner und nutzten deren Häuser und eine Moschee als ihre Basis, von der sie den Angriff auf den Außenposten durchführten“, sagte gestern ein Nato-Sprecher in Kabul.
Den Angreifern soll es zeitweilig gelungen sein, in den befestigten Komplex im Dorf Wanat einzudringen. Die schweren Kämpfe hätten bis nachmittags gedauert. Dabei hätten die US-Streitkräfte nur dank Luftunterstützung eine Niederlage verhindern können. Die Zahl der Toten unter den Angreifern ist nicht bekannt. Laut einem Nato-Sprecher handelt es sich um „eine hohe zweistellige Zahl“.
Die hohen US-Verluste unterstreichen die Tatsache, dass in Afghanistan inzwischen mehr US-Soldaten sterben als im Irak. 2008 gilt als das bisher verlustreichste Jahr in Afghanistan, der Juni mit 28 US-Toten als verlustreichster Monat seit 2001. In Afghanistan sind zurzeit 32.000 US-Soldaten stationiert, im Irak etwa 150.000. Die US-Regierung erwägt, Truppen vom Irak nach Afghanistan zu verlegen. Auch der designierte demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama plädierte am Montag in der New York Times, die US-Truppen in Afghanistan um 10.000 Soldaten zu erhöhen.
Seit 2001 sind im Afghanistankrieg 473 US-Soldaten getötet worden, davon 332 durch Feindeinwirkung. Diese Zahlen veröffentlichte die Agentur AP am Sonntag unter Berufung auf das Pentagon. Den größten Verlust an einem Tag erlitt das US-Militär im Juni 2005 ebenfalls in Kunar, als beim Abschuss eines Hubschraubers 16 Insassen starben. Von den 53.000 Isaf-Soldaten aus 40 Ländern starben dieses Jahr bereits 133. Weitere 20.000 Soldaten kämpfen im Rahmen der Anti-Terror-Koalition in Afghanistan.
Die zunehmenden Verluste der Militärs gehen einher mit wachsenden Opferzahlen unter Zivilisten. Laut einer UN-Statistik wurden von Januar bis Juni dieses Jahres 698 Zivilisten getötet. Im Vorjahreszeitraum waren es 430. Für 422 Tote im Jahr 2008 machen die UN Aufständische verantwortlich, für 255 ausländische Soldaten, für weitere 21 Tote sind die Urheber unbekannt. Im Juli kamen bereits mindestens weitere 120 Zivilisten ums Leben.
Für den Anstieg der Opfer auf allen Seiten gibt es mehrere Gründe: Militärs argumentieren, die Taliban und ihre Verbündeten hätten in Pakistan wieder ein Rückzugs- und Rekrutierungsgebiet und sind deshalb zu mutigeren, koordinierteren und komplexeren Aktionen fähig. Die Isaf-Truppen argumentieren, dass sie selbst heute auch in abgelegeneren Gebieten aktiv sind und es deshalb zu mehr Gefechten kommt. Militärkritiker verweisen darauf, dass Isaf- oder US-Angriffe, bei denen Zivilisten sterben, den Widerstand nur vergrößerten. Zudem provoziere die ineffiziente Regierung von Präsident Hamid Karsai wachsenden Widerstand. Eine Lösung bedürfe deshalb vor allem ziviler Strategien und besserer Alternativen.