Salzrecht contra Atomstaat

Oberverwaltungsgericht erörtert, ob der Gorlebener Salzstock für die Salzgewinnung angebohrt werden darf. Unter Hinweis auf das öffentliche Interesse an der Atommüllentsorgung will der Bund dafür ältere Rechte des Grafen Bernstorff beschneiden

1977 benannte die niedersächsische Landesregierung den Ort Gorleben als Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“. Eine hier geplante Wiederaufarbeitungsanlage für Brennelemente bezeichnete der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) 1979 als politisch nicht durchsetzbar. In der Folge konzentrierten sich die Proteste zunächst auf die Erkundungsbohrungen, in jüngster Zeit auf die Castor-Transporte verbrauchter Brennelemente ins Zwischenlager Gorleben. 2000 stoppte die rot-grüne Bundesregierung die Erkundung des Salzstocks, um alternative Endlagerstandorte zu suchen. KNÖ

VON GERNOT KNÖDLER

Darf die Salzgewinnung einem Atommüll-Endlager in die Quere kommen? Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat am Donnerstag in zweiter Instanz verhandelt, ob eine alte „Salzabbaugerechtigkeit“ des Grafen Andreas von Bernstorff hinter dem öffentlichen Interesse an der Einlagerung von Atommüll im Gorlebener Salzstock zurücktreten muss. Dabei ging es insbesondere um die Frage, ob die Bundesregierung einfach so verfügen kann, dass in Gorleben nicht gebuddelt werden darf – obwohl der Graf dort die älteren Rechte hat. Die Entscheidung des Gerichts lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Die Bundesregierung hat in dem Salzstock ab 1983 ein Erkundungsbergwerk anlegen lassen. Es sollte festgestellt werden, ob sich das Gestein für die dauerhafte Lagerung von stark strahlendem Atommüll eignet. Das Ergebnis ist umstritten. Derzeit gilt für Gorleben ein Moratorium, während das Bundesamt für Strahlenschutz landauf landab nach einem alternativen Standort für ein Endlager sucht.

Dem Grafen Bernstorff gehört der Südwestteil des Grund und Bodens über dem Gorlebener Salzstock – und das dazugehörige Recht auf Salzabbau. 1996 beantragte er beim niedersächsischen Landesamt für Bergbau, Geologie und Energie die Zulassung eines Rahmenbetriebsplans für ein Salzbergwerk. In 1.500 Luftlinienmetern Entfernung vom Erkundungsbergwerk für das Endlager will Bernstorff einen gut 800 Meter tiefen Schacht graben und einen Hohlraum anlegen lassen.

1998 ließ das Bergamt Celle einen Rahmenbetriebsplan bis Ende März 2003 zu. Die beantragte Verlängerung verweigerte es dann aber im November 2003. Bernstorff klagte und erhielt 2005 vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg Recht. Gegen diese Urteil klagte nun wiederum das Landesamt für Bergbau mit Unterstützung der Bundesregierung als Beigeladener.

In der Zwischenzeit stärkte das rot-grüne Bundeskabinett die Rechtsposition des Bergamtes, indem es eine Veränderungssperre für den Salzstock Gorleben erließ: Im Mai 2005 verbot Berlin, den Salzstock in Tiefen von mehr als 50 bis 100 Metern zu verändern. Damit hielt sich Rot-Grün die Option offen, das Endlager trotz der laufenden Suche nach Alternativen doch noch in Gorleben einrichten zu können.

Der Bund begründete seinen Antrag, des Grafen Salzbergwerk zu verbieten, mit Sicherheitsbedenken: Trotz der Entfernung sei es nicht auszuschließen, dass die Ausschachtungsarbeiten für das Salzbergwerk das atomare Erkundungsbergwerk beschädigten. Und letzteres habe Vorrang, weil ein „überwiegendes öffentliches Interesse“ an der Endlagerung des Atommülls bestehe. „Man kann nicht eine Erkundung betreiben, sich aber nicht die Rechte beschaffen“, hielt Bernstorffs Anwalt Nikolaus Piontek dem entgegen. Bernstorff werde seit 25 Jahren daran gehindert, sein Eigentum zu nutzen. „Die Bundesrepublik legt die Hand auf den ganzen Salzstock, weiß aber, das sie nur einen kleinen Teil braucht“, sagte Piontek.

Die Veränderungssperre betreffe den von Bernstorff beantragten Rahmenbetriebsplan gar nicht. Denn nicht dieser ermögliche Arbeiten an dem Salzstock, sondern allenfalls ein späterer Hauptbetriebsplan. „Die Erkundung“, so Piontek, „wird nicht gefährdet durch dieses Vorhaben.“

„Wir können nicht in einem Rahmenbetriebsplan etwas zulassen, das in einem Hauptbetriebsplan unzulässig wäre“, konterte Martin Fürst vom Landesamt für Bergbau. Die Erkundung würde sehr wohl gestört, fügte Rechtsanwalt Jürgen Glückert für die Bundesregierung hinzu, und zwar für den Fall, dass der Platz im Nordosten des Salzstocks nicht ausreiche und man auf den Südwesten ausweichen müsse.

Piontek erklärte es für verfassungswidrig weil unmäßig aufwändig, wenn Bernstorff zu beweisen hätte, dass von seiner Grabung keine Gefahr für das Erkundungsbergwerk ausgehe. Glückert sah das ganz anders: Dass dem Grafen dieser Nachweis ermöglicht werde, sei ein Privileg.