hamburg heute : Wahn am frühen Morgen
Hörende und gehörlose Schauspieler präsentieren Sarah Kanes Stück „4.48 Psychose“
Der Titel des Stücks entspringt keinem Zufall, sondern konkreter klinischer Erfahrung: „4.48 Psychose“ heißt das Stück der britischen Dramatikerin Sarah Kane, das ein aus hörenden und gehörlosen bestehendes Schauspieler-Ensemble unter Leitung von Rolf Kasteleiner in der Speicherstadt aufführen wird.
Der Stoff ist für ein solch multimediales Experiment sehr geeignet. Denn die frühen Morgenstunden zwischen vier und fünf Uhr sind genau jene Zeitspanne, in der manisch Depressive zu von Medikamenten nicht vernebeltem Denken fähig sind. Zugleich sind dies die Stunden extremster Wahnvorstellungen. In einem solchen Moment entschied sich auch die manisch depressive Autorin zum Selbstmord; am 20. Februar 1999 nahm sie sich in einer psychiatrischen Klinik das Leben. „4.48 Psychose“, ihr letztes Stück, wurde im Juni 2000 postum aufgeführt.
Eine Handlung im engeren Sinne bietet das Stück nicht: Als Collage aus schwermütigen Gedanken, Dialogen mit Psychiatern und Erinnerungen an Klinikaufenthalte präsentiert sich der Text, den in Hamburg die hörende Schauspielerin Doreen Nixdorf und die gehörlose Gaby Flügel aufführen werden. Hinzu kommt ein Gebärdenchor, dessen Bewegungen per Video und Computer-Software teils in Klänge umgesetzt werden.
Ungeklärt ist nach wie vor, wie stark der autobiographische Anteil des Textes ist und wie hoch seine ästhetische Qualität. Grenzgänger sind in dieser Hinsicht sämtliche fünf Stücke der radikalen Autorin, die zwischenmenschliche Störungen stets schonungslos beschrieb. PS
heute, 20 Uhr, im 1. OG des „Dialogs im Dunkeln“, Alter Wandrahm 4 in der Speicherstadt