revivals, erlösung etc.
: Gitarrengegniedel für L. Ron

In der Musik dominiert der rückwärtsgewandte Blick: Reunions und Revivals, wohin das Auge reicht. Bald haben wir die Genres alle durch. Kaum etwas scheint abgegriffen genug, um nicht für einen Wiederbelebungsversuch geeignet zu sein. Gegenwärtig ist gar der Jazzrock von Return to Forever an der Reihe. 25 Jahre nach ihrer Auflösung stehen sie wieder in „klassischer“ Besetzung auf einer Bühne: der Keyboarder Chick Corea, Stanley Clarke am Bass; Gitarrist Al Di Meola und Lenny White an der Schießbude.

Dass heute jemand dringend ein Jazzrock-Revival bräuchte, sei mal dahingestellt. Die Siebziger, Blütezeit dieser musikalischen Fusion, waren nämlich eine Ära nicht immer erfolgreicher Experimente. Für den Jazz hatte Miles Davis mit seinem Album „Bitches Brew“ die Weichen gestellt. Komplexe Harmonik und Improvisation mussten plötzlich mit dem Direkten und Rohen der Rockmusik klarkommen. Und mit dem Massenerfolg.

Jazzmusiker wollten nun das Stadion füllen. Größenwahn traf auf Gitarrengegniedel. Viele Musiker ließen sich in ihren Projekten von Art-Rockern wie Emerson, Lake & Palmer oder Yes inspirieren und waren oft empfänglich für Esoterik unterschiedlichster Art. Der Gitarrist John McLaughlin verschrieb sich mit seinem Mahavishnu Orchestra der indischen Spiritualität. Sein ehemaliger „Bitches Brew“-Kollege Corea setzte auf Scientology. L. Ron Hubbards Bedeutung als Kulturpolitiker ist bisher nur unzureichend gewürdigt worden, von Auszeichnungen für Tom Cruise einmal abgesehen. Für Coreas im Jahr 1972 gegründete Band Return to Forever ist der Erfinder der Dianetik eine zentrale Figur. Ihre Musik sollte nicht nur der Verkaufszahlen wegen populärer geraten als Coreas frühere Experimente. Die Band war wohl auch als Propagandainstrument für die Heilslehre des wild gewordenen Science-Fiction-Autors Hubbard gedacht. In den Liedtexten finden sich entsprechende Anspielungen. Corea war sogar in den eigenen Reihen zumindest als Missionar erfolgreich: Stanley Clarke trat Scientology bei und dankte Hubbard auf seinen Soloalben artig für die Inspiration. Als er die Sekte Anfang der Achtziger wieder verließ, war Corea verärgert und löste die Band auf.

Nun sind sie wieder da. Botschaften hatten sie keine zu verkünden, weder ideologisch noch musikalisch. Vielmehr wurde klar, dass kein Mensch mehr ihr abgestandenes Fusion-Gedaddel braucht, das im Live-Kontext immer nur so lange gut war, bis der Hochgeschwindigkeitsstreber Di Meola anfing, solo zu spielen und mit nicht enden wollendem Griffbrettgefingere zu Tode zu langweilen. Doch vielleicht ist die Botschaft von Revivals ohnehin eine ganz andere: Solange niemand erlöst wird, kehrt das Gestern zurück, ob wir wollen oder nicht. TIM CASPAR BOEHME