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Archiv-Artikel

Deutsche, legt Lebensmittelvorräte an!

Bei den Anhängern von Neuschwabenland kommen NS-Nostalgie, krude Verschwörungstheorien und der Glaube an Nazi-Ufos zusammen. Das Ziel: „Ein reiner deutscher Volkskörper in den Grenzen von 1937.“ Ein Ortstermin in Berlin

Wer dies liest, müsste längst einem russischen Angriff zum Opfer gefallen sein

Wer diese Zeilen liest, müsste schon längst tot sein. Es sei denn, er hätte den Generalangriff der Russen auf Europa überlebt, der heute starten müsste. „Das Armageddon steht uns bevor“, ruft Peter Schmidt gestikulierend ins Publikum. „Seid wachsam und vorbereitet!“ Applaus. 50 Leute aus ganz Deutschland klatschen in einem stickigen Nebenzimmer einer schmuddeligen Ostberliner Eckkneipe am Spittelmarkt. Peter Schmidt redet vor ihnen über den „Tag X“. Der Tag, an dem Russland Deutschland und ganz Westeuropa angreift. Es ist aber auch der Tag, an dem eine arische Überrasse aus der Antarktis mit Raumschiffen den Deutschen zur Hilfe kommen soll.

Die Luft im Raum riecht am späten Sonnabend schwer nach Kölnisch Wasser. Das Porträt eines Adlerkopfs droht über dem Rednerpult. Schwach beleuchtet kommen selbst ernannte Experten, Silberwasser trinkende Hartz-IV-Empfänger und Vertreter der Exilregierung des Deutschen Reiches zum 130. Neuschwabenland-Treffen zusammen. Die „Regierungsvertreter“ mit schwarz-weiß-roter Krawatte und einer Nadel am weißen Hemdkragen in Form der Reichsfahne. Sie alle vereint der Glaube an die Existenz von Neuschwabenland. Demnach wurde während des Zweiten Weltkrieges in der Antarktis eine unter dem Eis liegende deutsche Stadt gegründet. 1945 flüchteten führende Nazis, Wissenschaftler und Militärs auf diese geheime Basis. Dort perfektionierten sie sowohl ihre Gene als auch ihre Pläne von kampfstarken Reichsflugscheiben, auch als „Ufos“ bekannt. Seitdem huschen sie zu Patrouilleflügen über den Himmel und warten auf den Tag X, an dem die Russen ihnen freiwillig die Macht über das Deutsche Reich zurückgeben. „Dann sind wir endlich frei und nicht mehr fremdbestimmt“, sagt Andreas Sauer.

Peter Schmidt und Andreas Sauer organisieren seit fast sechs Jahren diese Treffen. Schmidt ist freier Journalist, Sauer hat Jura studiert, aber nicht abgeschlossen. In ihren Reden warnen sie vor der großen Gefahr, vor der Verschwörung der globalen Weltelite, der „Hochfinanz“. Sie sprechen von „dieser bestimmten Minderheit“ und meinen die Juden und Kommunisten. In den Mund nehmen will das aber keiner. Es könnte sich ja jemand vom Verfassungsschutz unter das Publikum gemischt haben. In der altdeutschen Kneipe mit den dunklen Möbeln lauschen alle angespannt dem kruden Theorienmix aus Verfolgungsangst und rechtsextremer Ideologie. Dabei trinken sie, dicht gedrängt, Bier und sprudelfreie Cola in Humpengläsern. Glaubt man dem schwergewichtigen Berliner Initiator Schmidt, werden bei angeblichen Schutzimpfungen vorsätzlich Krebs- und Aidsviren gespritzt, um die Menschheit langsam, aber sicher auszurotten. Und die Kondensstreifen am Himmel sind in Wirklichkeit versprühte Gifte, so genannte Chemtrails, die uns krank werden lassen. Ein arbeitsloser Elektronikbastler meldet sich zu Wort. Er hat einen großflächigen Hautpilz mit einer selbst hergestellten kolloidalen Silberwassermixtur, einer Lösung von Silbersalzen, besiegt. Seine Botschaft lautet: Trinkt Silberwasser, lehnt Antibiotika ab! Denn das Gebräu heile angeblich nicht nur Krebsgeschwüre, Blutvergiftungen, Akne und die Beulenpest, sondern neutralisiere auch biologische Kampfstoffe.

Auf dem Treffen geht es aber nicht nur um Wunderheilmethoden, sondern auch um rechtsradikale Inhalte. Es geht auch um den Kampf gegen 60 Jahre alliierte Gegenpropaganda, die Leugnung der BRD und um die Neuschreibung deutscher Nachkriegsgeschichte. Sie seien Aufklärer einer jüdisch-freimaurerisch-kommunistischen Konspiration, erklärt deshalb auch Sauer, der ein wenig wie Peter Maffay aussieht. „Unser Ziel ist ein reiner deutscher Volkskörper in den Grenzen des Deutschen Reichs.“ Seine völkerrechtliche Ausbildung absolvierte Sauer bei dem Rechtsradikalen Wolfgang Ebel. Der nennt sich amtierender „Reichskanzler“ der Kommissarischen Reichsregierung. Eine obskure Gruppe, die behauptet, das Deutsche Reich existiere weiterhin und sie sei dessen rechtliche Vertretung.

Unterstützung erhoffen sich alle von den Besatzungen der Reichsflugscheiben. Doch bis es so weit ist, rät Schmidt seinen Zuhörern: „Legt euch Lebensmittelvorräte an, und informiert eure Nachbarn.“ Seine Mutter freue sich schon auf die Rückkehr der Deutschen aus Neuschwabenland, schließlich habe sie früher in der Reichsluftwaffe gedient. CARL ZIEGNER