: Die Frau als Schaustück
Die Hamburger Ausstellung „High Society. Amerikanische Porträts des Gilded Age“ demonstriert die Identitätssuche der amerikanischen Oberschicht des späten 19. Jahrhunderts – und lädt das hanseatische Publikum zur Identifikation ein
VON PETRA SCHELLEN
Irgendwann haben sie es aufgegeben. Da haben sie einfach keine Landschaften mehr malen lassen, und auch nicht mehr die unberührte Natur ihres Landes. Kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg passierte es, dass sich dort nicht nur neue Eliten herausbildeten, sondern auch ein anderes Kunstverständnis. Kosmopolitisch wollte man sein, die Landschaftsmaler der Hudson River School galten jetzt als provinziell, man schielte auf Europas Kunst.
All das hing natürlich mit den immensen sozialen Umwälzungen, der Industrialisierung, der Masseneinwanderung und der Herausbildung einer extrem reichen Oberschicht zusammen. Vor allem aber mit dem sich rasant entwickelnden Geldadel, der sich nun durch Wohltätigkeit zu definieren suchte, durch Mäzenatentum. Und durch Selbstdarstellung. 44 Porträts der High Society des Gilded Age – der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – hat das Hamburger Bucerius Kunst Forum für seine aktuelle Ausstellung zusammengetragen. Damit liefert das Haus den zweiten Teil einer Trilogie über amerikanische Malerei: Im vorigen Jahr zeigte man die vorausgegangenen Landschaftsmaler der Hudson River School, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirkten.
Herausgekommen ist nun das künstlerische Dokument einer schichtspezifischen Identitätssuche, die nicht so ziellos ist, wie es zunächst scheint. Denn zwar sind die Bilder, da in Massen und zudem von meist aristokratischen Künstlern produziert, von unterschiedlicher Qualität. Dass es den Porträtierten an Selbstwertgefühl gemangelt hätte und den Malern an Mitteln, sie ins rechte Licht zu rücken – das kann allerdings nicht behauptet werden. In direkter Nachfolge europäischer Ganzkörper-Herrscherporträts eines van Dyck und Velázquez sahen sich die wohlhabenden Auftraggeber – das Aufschäumen des Barock als interessante Parallele zum rasanten Aufschwung Amerikas nach dem Bürgerkrieg. Man fand also doch eine Ahnenreihe – wenn nicht persönlich, dann kunsthistorisch – aber eben nicht im eigenen Land, sondern in dem der Vorfahren.
Die Bankiers, Industriellen, Reeder benutzten die riesigen Porträts für die Ausstattung ihrer frisch erworbenen Villen, zur Repräsentation, zur Vervielfachung des Pomps, den man bei entsprechenden Bällen und gesellschaftlichen Events live erleben konnte. Die Bilder waren Spiegel, sie waren Festschreibungen des aktuellen Status wie Reichtums für die Ewigkeit.
Eine weitere Methode zum Kaschieren fehlender Tradition war, anstelle der fehlenden Ahnen die Kinder zu porträtieren – Drei- bis Fünfjährige meist, zu Garanten der Zukunft stilisiert. Doch es bleiben oft hilflose Versuche, die Fortdauer der eigenen Dynastie zu beschwören. Die Mädchenporträts von John Singer Sargent und Abbott Handerson Thayer etwa sind handwerklich gelungen, trotzdem bleiben diese Kinder, vor sentimental-unschuldiger Lilientapete oder in flauschigem Bettzeug porträtiert, Ikonen, Prototypen ohne Aussagekraft. Was will man ablesen am Habitus eines Kleinkindes, dem man befohlen hat, für den Maler stillzustehen?
Da kommen die erwachsenen Frauen – sie stellen 90 Prozent der Porträtierten – schon imposanter daher. In Pelz und Seide, mit filigranen Bordüren und sorgsam frisierten Haaren sitzen oder stehen sie da. Doch so schaufensterpuppenhaft, wie man spontan vermutet, sind sie gar nicht: Die schüchterne Mrs. Elliott Shepard, porträtiert von John Singer Sargent, sowie die kindlich-diabolische Mrs. Chase, gemalt von ihrem Mann William Merritt Chase, tragen durchaus markante Züge, zumal längst nicht alle Maler ihren Modellen schmeichelten. Auch bezüglich des ästhetischen Gehalts der Porträts der Helen Manice (John White Alexander) und der Francis Stanton Blake (Julius LeBlanc Stewart) kann man geteilter Meinung sein: Bei der einen ist der rechte Arm im deutlich falschen Winkel eingehängt, bei der anderen die nackte Rückenpartie unangenehm knochig. Bleibt die Frage, ob solche Unzulänglichkeiten in subversiver Absicht in die Porträts integriert wurden. Aber die Auftraggeber nahmen diese Bilder ab, also scheinen sie derlei entweder nicht gravierend gefunden oder nicht bemerkt zu haben.
Für Letzteres spricht, dass sich für die wenigsten Auftraggeber klare Kriterien bei der Auswahl der Künstler orten lassen. Wichtiger als künstlerische Fertigkeit war oft der Adelsstatus der Künstlers, von dem man sicher sein konnte, dass er das eigene Wertesystem teilte und glamourös auf Leinwand bannte – auch hier also ein Kreisen um sich selbst, ein fast hermetisches Verbleiben in den eigenen Kreisen.
Die Ausstellung offenbart einen Personenkult, der an den des heutigen Amerika erinnert. Macht durch Form zu präsentieren, sich durch glamouröse Darstellung zu legitimieren – das erinnert an die in den USA gängige Praxis, fehlende Wahlprogramme durch effektvolle Inszenierung zu ersetzen. Auch die Bewunderung des Pomps durch die Massen gehört in diese Kategorie.
Boshaft könnte man sagen: Es hat sich – und das illustriert die Hamburger Schau – nichts geändert in puncto amerikanischer Selbstdarstellung. Man ist sich treu geblieben, hat die Kunst personalisiert und – auch im Katalog – den leicht tratschgeschichtigen Biografien der Porträtierten wesentlich mehr Raum eingeräumt als der kunsthistorischen Analyse.
Das ist im angelsächsischen Raum – wo spezielle Porträt-Galerien weit verbreiteter sind als hier – durchaus üblich, wurde hier aber recht exzessiv betrieben. Der Besucher der Hamburger Ausstellung soll ganz offensichtlich zum ehrfurchtsvollen Staunen animiert werden vor dieser edlen Ahnengalerie; soll sich – wie im Kitschroman – ein bisschen identifizieren mit den imaginären Vorfahren in diesem Kabinett. Hierzu passt, dass die Ausstellungsmacher eigens zur Foto-Session in Kleidung und Habitus der High Society einladen.
Einer der zugehörigen Vorträge widmet sich übrigens dem Bürgerstolz der Hanseaten. Vielleicht ist dies bloß ein artiger Bückling vor den Mäzenen der Schau. Ganz sicher aber zeigen solche Gesten, worum es in dieser Schau letztlich geht: um das Erwecken entweder neidvoller, romantisierender oder realer Identifikation mit den hier Porträtierten. Der adlige oder wohlhabende Hanseat kann hier, wenn er mag, einen exzellenten Anknüpfungspunkt finden – und eine imaginäre Ahnenreihe. Dazu zählt auch, dass der überproportionale Anteil weiblicher Porträtierter nicht auf einer emanzipatorischen Grundhaltung basiert. Sondern auf der Tatsache, dass der Glamour weiblicher Kleidung anzeigt, was der zugehörige Mann, der Clan sich leisten kann. Die Frau als Schmuck- und Schaustück, letztlich: als Beweis männlichen Status. Doch das thematisieren die Kuratoren der Hamburger Schau nur sehr versteckt im Katalog. Bis zur Emanzipation ist es noch weit.
Die Ausstellung „ High Society. Amerikanische Porträts des Gilded Age“ ist bis 31. August im Bucerius Kunst Forum Hamburg zu sehen