: „Mehr Schönheit für den Iran“
Peyman Yazdanian ist ein Modernisierer der iranischen Musik. Für viele der bekannten iranischen Filme der letzten Jahre hat er die Soundtracks komponiert und aufgenommen. Die Musik des 39-jährigen Pianisten steht für den künstlerischen Dialog zwischen iranischer und westlicher Orientierung
Peyman Yazdanian zählt zu den vielseitigsten Erneuerern iranischer Musik. Als Filmmusikkomponist hat er in rund dreißig Filmen mit Meistern des iranischen Kinos wie Abbas Kiarostami oder Kemal Tabrizi zusammengearbeitet. Als Konzertpianist und Lehrer engagiert sich der 1969 geborene Teheraner für die Renaissance des Musiklebens in seiner Heimat.
INTERVIEW ALESSANDRO TOPA UND ROSHANAK ZANGENEH
taz: Herr Yazdanian, die Iraner scheinen ein Volk von Cineasten zu sein, wenn man von dem Angebot an Video-CDs an jeder Teheraner Straßenecke auf die Nachfrage schließen darf?
Peyman Yazdanian: Iraner lieben Filme. Aber ich wünschte, diese Liebe würde nicht das iranische Kino umbringen. Vieles, was da draußen zirkuliert, sind Raubpressungen aktueller Kinofilme. Es ist billiger, sich illegal eine solche für rund 1.500 Toman (etwa 10 Cent) zu kaufen, als ins Kino zu gehen. Das ist zu einem ernsten Problem für die Filmindustrie geworden.
Man kann sogar aktuelle US-Filme an den Ständen kaufen.
Ja, die werden aber auch täglich im staatlichen Fernsehen gezeigt. Sehr beliebt sind Raubkopien einheimischer Filme, die die Zensur verboten hat. Ein Film wie „Ali Santuri“ (Ali der Zitherspieler; Anm d. Red.) von Dariush Mehrjui, der nach seiner Premiere beim Fajr-Filmfestival im Februar nicht mehr gezeigt werden durfte, wurde so im Frühjahr zum Schwarzmarkt-Kassenschlager.
Wovon handelt der Film?
Von einem begabten Santur-Spieler und Popsänger, der zum Junkie wird, die Frau verliert und in der Gosse landet. Am Ende ist Ali clean und unterrichtet Musik in der Entzugsklinik.
Ihre Karriere verlief hoffentlich weniger dramatisch?
Gottlob, ja. Ich hatte Klavierunterricht ab sechs, später Kompositionsunterricht. Anfang der 90er begann meine Faszination für das Kino. Ich sah Filme bei den Fajr-Festivals und legte mir eine Videothek an, um mir die Filme großer Regisseure wie Hitchcock, Fellini oder Wenders anzuschauen. So entstand der Wunsch, Teil der Welt des Kinos zu werden, und ich nahm an Workshops junger Filmemacher teil.
Sie wollten Regisseur werden?
Nein, mir war klar, dass ich nur als Musiker in der Filmbranche mitmischen könnte. Bei den Workshops kam es zu ersten Kollaborationen. Kurze Animationsfilme, die mir Gelegenheit gaben, das Zusammenspiel von Bild und Ton zu erforschen. Ich las Bücher darüber und ich untersuchte gezielt Filme, um mir die Grammatik der Filmmusiksprache anzueignen. Dann geschah das Wunder.
Welches Wunder?
Abbas Kiarostami bat mich, ihm einige Kompositionen vorzuspielen. Darunter war auch jenes Stück, das kurz vor dem Abspann von „Der Wind wird uns tragen“ (Silberner Löwe 1999 in Venedig; Anm. der Red.) als einzige Musik des Films erklingt.
War das die erste Zusammenarbeit mit Kiarostami?
Nein, zuvor hatten wir schon 1998 etwas für die Eröffnung der Filmfestspiele in Locarno gemacht.
Komponieren Sie nur die Musik oder sind Sie auch an Aufnahme und Mix beteiligt?
Ich möchte nur im Paket als Komponist, Performer und Produzent engagiert werden. Das ist in einem Land mit einer Arbeitsmentalität wie der iranischen entscheidend für die Qualität, auch wenn mir dadurch Aufträge entgehen. Ich will für alles verantwortlich sein, also die Musiker auswählen, das Studio bestimmen und das Menü zusammenstellen.
Was ist so eigentümlich an der Arbeitsmentalität der Iraner?
Sagen wir es so: Selbst wenn sie etwas hervorragend können, sehen sie zuweilen nicht unbedingt die Notwendigkeit, dieses Können auch anzuwenden. Iraner sind keine Perfektionisten.
Was hat sich in den letzten 10 Jahren aufnahmetechnisch in Teheran verändert?
Ich fing noch an, mit Bandmaschine aufzunehmen. Vor etwa sechs Jahren kam das Hard-Disc-Recording auf. Seit zwei Jahren arbeiten einige hier mit Pro Tools. Früher gab es in Teheran nur eine handvoll Studios. Dank der Home-Recording-Technologien gibt es heute etwa 50 professionell ausgerüstete Studios. Für mich sind aber nach wie vor die Toningenieure entscheidend. Wie bei der Kooperation zwischen Regisseur und Kameramann kann das Zusammenspiel mit einem Toningenieur die eigene Arbeit entscheidend bereichern. Es sind echte künstlerische Partner.
War es zu Beginn ihrer Karriere schwer, Musiker für anspruchsvolle Partituren zu finden?
Das ist es noch heute! Und das ist auch der Grund, weswegen ich zuweilen im Ausland aufnehmen muss. Gut ausgebildete iranische Musiker leben in der Regel nicht hier. Man muss viel Talent haben, um trotz der suboptimalen Ausbildung, die man in Iran bekommt, ein guter Musiker zu werden.
Woran mangelt es besonders?
An guten Bläsern, aber auch an Cellisten.
Der Stillstand des Musiklebens, der im Iran nach der Revolution bis etwa 1990 herrschte, hat also noch heute Auswirkungen auf Ihre Partituren?
Sicherlich. Es ist keine gute Idee, als iranischer Komponist ausgeklügelte Bläsersätze zu schreiben. Mit Geigern ist es etwas besser. Aber ein Streichorchester können wir nach wie vor nicht in einem Zug aufnehmen, sondern müssen mit gewissen Tricks arbeiten. Vereinfacht gesagt verwenden wir die talentierteren Musiker als Hauptbestandteil des Sounds und fügen die anderen als deren Schatten hinzu, um Klangfülle zu bekommen.
In dem Film „Picture of a Lady from far away“ von Ali Mosaffa verwenden Sie 2004 erstmals elektronische Klangerzeuger und Samples. Ist das eine Reaktion auf die geschilderten Schwierigkeiten?
Nein. Ich war einfach neugierig, mit Technologien zu arbeiten, die mir neue Möglichkeiten eröffnen. Die Arbeit mit Computer und Sampler hat mir ungeheuer Spaß gemacht, weil ich so eine neue Kompositionstechnik entdecken konnte. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie eine Platte von Massive Attack entsteht.
Hat sich der internationale Erfolg des iranischen Kinos in den letzten 10 Jahren positiv auf die Arbeitsmöglichkeiten von Filmmusikern ausgewirkt?
Gewiss. Soundtracks zu komponieren und einzuspielen, gab vielen Musikern die Möglichkeit, im Windschatten des Kinos kreativ zu sein. Soundtracks sind ein wichtiges Moment in unserer jüngsten Musikgeschichte.
Und was sind die großen stilistischen Veränderungen, wenn Sie Soundtracks der frühen Neunziger mit aktuellen vergleichen?
Die heutige Musik hat eine viel bessere Klangqualität und ist wesentlich durch andere zeitgenössische Musiken beeinflusst. Sie ist weltoffener. Darüber hinaus kamen früher fast nur Orchester zum Einsatz, die Melodien im Stile des iranischen Schlagers der 70er-Jahre spielten, während heute ein großer Reichtum an Klangtexturen und Idiomen genutzt wird.
Man sagt Ihnen nach, stark zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben.
Das ist zu viel der Ehre. Vielleicht habe ich als einer der Ersten traditionelle Instrumente wie Duduk verwendet und gewisse Kombinationen von Instrumenten wie Kamancheh und Cello eingeführt, die heute Standard sind. Aber in iranische Soundtracks ist in den vergangenen Jahren die Kreativität so mancher ganz hervorragender Musiker eingeflossen.
Wäre es denn richtig zu sagen, dass Soundtracks als kreatives Herz der jüngsten iranischen Musikgeschichte fungiert haben?
Das wäre übertrieben. Was allein verdient, als ‚Herz‘ bezeichnet zu werden, ist die iranische Kunstmusik, die insbesondere durch Komponisten und Virtuosem wie Mohammad Reza Shadjarian und Hossein Alizadeh eine wahre Renaissance erlebt hat. Auch ich bin von ihnen stark beeinflusst. Und obwohl ich nie deren Schüler gewesen bin, sehe ich sie als meine Lehrer an. Der Filmmusik kommt aber eine zentrale Rolle als Experimentierfeld und als Medium der Begegnung zwischen in- und ausländischen Traditionen zu. Wenn es in den letzten Jahren bei uns einen musikalischen Dialog zwischen iranischer und westlicher Musik gegeben hat, dann hat dieser sich gewiss nicht zuletzt in Soundtracks abgespielt.
Gibt es ein filmisches Sujet, zu dem Sie gern die Musik schreiben möchten?
In gewisser Weise habe ich die Musik zu diesem Sujet neulich sogar schon geschrieben. Es heißt „A Tea Collection for String Ensemble“.
Ein Theaterstück?
Nein, eine szenische Tee-Suite für Streicher. Mit Tee verbindet man ja weltweit Ruhe, Geborgenheit, gute Gespräche. Es wäre interessant zu sehen, ob und wie diese Musik als Struktur oder Katalysator eines Films funktioniert. Neulich ist sie immerhin schon in Italien als Quartett uraufgeführt worden.
Welche Entwicklung hat das Interesse an klassischer Musik zuletzt in Iran genommen?
Zu Beginn der 90er, als das Regime etwas permissiver wurde, gab es – neben der iranischen Kunstmusik und Folklore – erstmals wieder klassische Konzerte. Etwa ab 1995 gestattete man dann auch Rock- und Popbands, aufzutreten und Tonträger zu verkaufen. Das hatte seine Auswirkungen, denn wie in den meisten Ländern der Welt hören auch die Iraner lieber Pop als Klassik, so dass das Interesse an der Klassik, aber auch an unserer Kunstmusik zurückgeht. Daher machen sich die klassischen Musiker hier auch viele Gedanken, wie sie Publikum zurückerobern können.
Wie denn?
Man sucht die Kollaboration und den Austausch mit klangvollen ausländischen Namen. Die Teheraner Symphoniker spielten beim Morgenlandfestival in Deutschland 2006 erstmals in Europa, die Bamberger und Osnabrücker Symphoniker kommen nach Teheran. Solche Dinge.
Wie sieht Ihr Beitrag als Konzertpianist aus?
Ich muss mir viel Mühe bei der Auswahl des Repertoires geben. Iraner wollen unterhalten werden. Man darf nicht allzu viele anstrengende Sachen spielen. Zugleich muss ich darauf achten, nicht zu einer Art Zirkus zu verkommen, der virtuose Verfolgungsjagden à la „Tom und Jerry“ auf dem Klavier inszeniert.
Wie reflektiert sich denn der iranische Musikgeschmack konkret in ihren Programmen?
Nun, Iraner lieben Süßliches, sie lieben Moll-Tonarten. Es muss nicht unbedingt etwas Melancholisches sein. Man schätzt auch die Appassionata Beethovens. Aber für die meisten Iraner ist Musikhören unglücklicherweise kein Selbstzweck. Sie wollen emotional stimuliert werden.
Ein Programm mit Webern und Messiaen wäre demgemäß ein Wagnis?
Das Publikum würde sich permanent räuspern und husten, um zu zeigen, dass es nicht folgen kann.
Wo sehen Sie Ihre gesellschaftliche Aufgabe als Musiker in Iran?
Ich bin davon überzeugt, dass es für Gesellschaften wesentlich ist, dass sich deren Sinn für das Schöne fortentwickelt. Wenn man Menschen zeigen kann, wie man besser essen, wohnen oder musizieren kann, dann hat das einen langfristigen Einfluss auf die Verhältnisse. In diesem Sinne fühle ich mich verantwortlich für das, was ich heute tue, weil ich weiß, dass es jene prägt, die nach uns kommen.