: Beschleunigte Gesundwerdung
betr.: „Versicherung: Kranke werden schnell putzmunter“, taz vom 17. 7. 08
Dass Schwerkranke nicht mehr Verlierer des Gesundheitssystems sein müssen, weil Krankenkassen sich darum bemühen werden, Kranke besonders gut und besonders kostengünstig (!) zu behandeln, ist eine gesundheitspolitische Stilblüte, die sich selbst kommentiert. Für bestimmte Erkrankungen existieren bereits strukturierte Behandlungsprogramme, die Disease-Management-Programme (DMP), die mit viel Getöse eingeführt, aber meines Wissens bisher nicht auf ihren medizinischen Nutzen untersucht wurden.
Wie das mit dem Streben nach besonders kostengünstiger Behandlung aussieht, erfahre ich seit vier Monaten in einem unfreiwilligen Feldversuch als Krebspatientin und Mitglied einer BKK in Thüringen: Nach gerade einmal überstandener Operation wird meine Ärztin von der Krankenkasse aufgefordert, die voraussichtliche Dauer meiner Arbeitsunfähigkeit zu benennen – „um das zu beschleunigen“, wie mir eine über meine Empörung ganz erstaunte BKK-Vorstandsfrau am Telefon sagt. Antragsformulare auf das Krankengeld muss ich mehrmals telefonisch anfordern. Das habe ja noch Zeit, ich erhielte schließlich sechs Wochen Lohnfortzahlung, belehrt mich eine andere Kassenmitarbeiterin, die offensichtlich noch nie etwas davon gehört hat, dass Freiberufler in der Künstlersozialkasse – wie ich – sich in dieser Zeit selbst sponsern.
Die „Beratung“ über mir laut Sozialgesetzbuch V zustehende Leistungen erfolgt so irreführend, dass ich Methode dahinter vermute: Wer nicht weiß, welche Leistungen er beanspruchen kann, kommt auch nicht auf die Idee, sie einzufordern. Wegen einer simplen Auskunft über häusliche Krankenpflege oder die Höhe des Kassenzuschusses für eine Perücke (Chemotherapie! Haarausfall!) sind fast ein Dutzend Anrufe, Fax- und Mailkorrespondenzen erforderlich.
Die Zuzahlungsbefreiung, weil die prozentuale Belastungsgrenze längst überschritten ist und die Ersparnisse schrumpfen, wird zwingend von der Vorlage der Einkommenssteuererklärung 2007 abhängig gemacht – im Wissen darum, dass die Finanzämter es mit deren Bearbeitung meist nicht eilig haben. Wobei selbstverständlich im nächsten Jahr nochmals nachgerechnet werden muss, weil ja dann erst die Steuererklärung 2008 vorliegen kann. Maßgebend für Zuzahlungsbefreiungen im laufenden Jahr sind laut SGB V nämlich die Einkünfte in demselben und nicht im vergangenen Jahr.
Als ich ein Schreiben erhalte, in dem die Kasse mich für ihr DMP Brustkrebs werben möchte, bin ich nach diesen Erlebnissen zumindest in einem Punkt beruhigt: Den Kassenmitarbeitern ist es tatsächlich bekannt, dass der Begriff „Mamma-Ca“ für eine schwere, die Patientinnen in eine wahnsinnige Angst versetzende Erkrankung steht und nicht für die Abteilung für Schwangerenbekleidung bei C & A.
Auf meine Frage, was das DMP mir bringt, lautet die Antwort: 120 Euro Bonus jährlich. Ich hatte eigentlich erwartet, dass anstelle eines fragwürdigen finanziellen Anreizes bestimmte zusätzliche oder wenigstens besonders sinnvolle medizinische Leistungen zu erwarten sind. Über die Höhe der „Skalpprämie“, die die Kasse im Fall meiner DMP-Beteiligung ihrerseits für mich aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) einzustreichen gedenkt, kann die Dame zu ihrem Bedauern leider gar keine Auskünfte geben. Übrigens: Auch ganz ohne DMP erhalte ich aktuell eine fachlich sehr qualifizierte und gut strukturierte Therapie einschließlich Patientenschulung in einem zertifizierten Brustzentrum.
Manches geht aber auch ganz unproblematisch: Die Zuzahlungsaufforderungen der Kasse für Klinikaufenthalte liegen immer umgehend in meinem Briefkasten. KATRIN ZEISS, Apolda