: Geliebte Projektion
Die Kubaner haben sich für Obama entschieden: Er gilt als intelligent, und er ist schwarz. Die Castros müssen sich McCain wünschen, denn sie brauchen die USA als Feindbild
Im Unterschied zu „normalen“ Ländern gibt es in Kuba keine öffentliche Meinung, die von unabhängigen Medien widergespiegelt würde. Trotzdem haben die Menschen natürlich Ansichten über Gott und die Welt, sogar in einer beeindruckenden Vielfalt. Doch wenn es darum geht, sie zu äußern, sind sie vorsichtig, um nicht zu sagen, ängstlich.
Die Wahl des nächsten nordamerikanischen Präsidenten ist in diesem Land ein Thema von außerordentlicher Bedeutung. Schließlich hat die Mehrheit Verwandte in den USA, und alle sind auf die ein oder andere Weise von der Politik des großen Nachbarn betroffen.
Mein persönlicher Eindruck ist, dass Obama der Favorit der Inselbewohner ist – nicht zuletzt deswegen, weil die Alternative John McCain heißt. Die Argumente, die ich so höre – etwa auf dem Uni-Campus, nach einem Konzert, in der Schlange beim Bäcker, im Innern eines 1957er Chevrolets, der als Alternativtaxi herumfährt, oder wenn ich den Malecón, die Uferpromenade Havannas, entlangschlendere und Leuten zuhöre, die bei einem Glas Rum Domino spielen, oder bei einer gemeinsamen Fahrt von der Arbeit nach Hause – all diese Argumente lassen sich in drei Punkten zusammenfassen:
Mit Obama als Präsident würden die Beschränkungen für Cubanoamerikaner, was Verwandtenbesuche auf der Insel und Geldsendungen nach Kuba angeht, aufgehoben. US-Amerikanern würde möglicherweise erlaubt, die Insel zu besuchen – und das wiederum würde mehr Trinkgelder bedeuten und die Nachfrage in dem großen Tourismussektor ankurbeln. Dieser beschränkt sich ja nicht auf das, was staatlich organisiert ist, sondern umfasst auch kleine private Restaurants ebenso wie ein ganzes Netz von privaten Haushalten, die Zimmer vermieten. Es existiert ein vielfältiger informeller Sektor.
Mit Obama als Präsident würden aber auch die Beschränkungen für Kubaner bei Reisen in die Vereinigten Staaten aufgeweicht. Nicht mehr nur Akademiker, Künstler und Sportler könnten dann ins Ausland reisen, sondern auch die vielen Menschen, die gern ihre Verwandten besuchen möchten.
Mit Obama als Präsident eröffnet sich wie nie zuvor die Möglichkeit eines fruchtbaren Dialogs und damit die Chance einer Lösung in diesem längst überstrapazierten Konflikt zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten.
Die Frage aber ist: Wie kommen die Leute zu solch illusorischen Vorstellungen? Tatsächlich hat Obama in Sachen Kubapolitik bislang keine großen Versprechungen gemacht, sondern sich auf kleine Andeutungen beschränkt. Die Fantasie der Leute speist sich offenbar aus etwas anderem: Obama ist intelligent, oder wenigstens hat er den Ruf, es zu sein.
Nicht dass McCain kein Talent hätte, aber er ist der Kandidat von Fidel Castro. Denn er personifiziert die Konfrontation, die „imperialistische Kriegstreiberei“, die unserer Regierung den perfekten Vorwand liefert, stets die nationale Geschlossenheit anzumahnen und wie in einer Art Belagerungszustand rücksichtslos jedes abweichende Verhalten als verabscheuungswürdigen Verrat zu brandmarken. Auf diese Weise dient jede imperialistische Aktion und sowieso alles, was als antikubanisch ausgelegt werden kann, dem Machterhalt der Herrschenden in Kuba.
Schon erscheinen in der offiziellen Presse Artikel der angesehensten Ideologen mit dem Tenor, wenn Obama gewänne, müssten in der „Schlacht der Ideen“ angesichts der bevorstehenden Welle von Yankee-Touristen und Florida-Kubanern die Argumente verdoppelt werden. „Die Waffen des Feindes wären subtiler und daher viel gefährlicher“, befürchten sie.
Nicht also dass McCain kein Talent hätte, aber man kann nicht intelligent sein und gleichzeitig nicht merken, dass die Konfrontation, das Wirtschaftsembargo und diese ganze Aggressivität lediglich das System gestärkt haben. Niemand in Kuba hat je eine ganze Rede von Obama gehört, aber viele haben verfolgt, wie er sich auf der Bühne bewegt und haben sich die Gesichter derjenigen angesehen, die ihm zujubeln. Und wir alle haben das Gerücht gehört, dass Obama denken und Dialoge führen könne.
Das Komische ist, dass diejenigen Kubaner an der Basis, die tatsächlich ehrlich für das System eintreten und davon überzeugt sind, dass der Imperialismus dem Land schaden will, ebenfalls auf Obama setzen. Auf ihn richtet sich die Hoffnung auf eine Verständigung ohne Demütigungen. Wenn man in Kuba die Nachrichten verfolgt, die von den offiziellen Medien verbreitet werden, kann man eigentlich nur dann für McCain sein, wenn man entweder ein impertinenter Reaktionär mit annexionistischen Absichten ist oder ein skrupelloser Opportunist.
Obama ist schwarz. Obwohl man darüber nicht spricht, lässt sich die Pigmentzusammensetzung der Haut des demokratischen Kandidaten ja nicht einfach ignorieren. Für ein so mestizisch dominiertes Land wie Kuba, das traditionell von Weißen regiert wird, ist ein schwarzer Präsident an der Spitze der wichtigsten Macht der Welt eine positive Botschaft – oder vielmehr: eine Provokation. Wie nämlich kann es sein, dass ein Schwarzer Präsident in einem Land werden kann, von dem die offizielle Propaganda seit je überzeugend erklärt, wie unglaublich rassistisch es ist?
Der Punkt aber, an dem sich die Kubaner dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten wahrscheinlich am nächsten fühlen, ist das Wort, das als Motto über seinem Wahlkampf steht: „Change“, Veränderung. Nach einem halben Jahrhundert des immer Gleichen lechzen die Kubaner nach Veränderungen, und ein Politiker, der sich traut, sie vorzuschlagen, muss einfach gut sein und eine Chance bekommen. Von jeher weist die kubanische Regierung alle internationalen Forderungen nach Veränderungen mit dem Hinweis zurück, sie, die Nordamerikaner, sollten ihre Politik ändern – und so schießen die Hoffnungen auf Obama weiter ins Kraut. Wenn die Nordamerikaner ihre Kubapolitik wirklich ändern, welcher Vorwand bliebe der kubanischen Regierung dann noch, um die drängenden demokratischen Reformen, die die Gesellschaft fordert, weiter zu verhindern?
Zuletzt bleibt noch ein fast persönliches Extraargument. Ein Mann wie Obama, der im Verhältnis zu Kuba keine Vergangenheit hat, wird mir immer lieber sein als einer der, wie McCain, während der schwierigen Tage der Kubakrise 1962 als Bomberpilot über Kubas Küsten flog. Er war bereit, die Bomben über allem abzuwerfen, was da unten lebte. Opfer hätte ein schändlicher Oppressor sein können – oder der damals schüchterne Jugendliche, der heute diese Zeilen schreibt. REINALDO ESCOBAR
Fotohinweis:Reinaldo Escobar, 61, ist Chefredakteur des unabhängigen Onlinemagazins www.consenso.org und lebt und arbeitet als Journalist in Havanna. 1989 wurde er als Redakteur der KP-Jugendzeitung entlassen und hat seither Berufsverbot.