BERLINER PLATTEN : Reggae kann man in Deutsch nur wie Kermit singen. Sonst aber sparen sich Ganjaman und das Berlin Boom Orchestra die Peinlichkeiten
Diese kleine, tapfere Rubrik schreibt hiermit einen Forschungsauftrag aus. Die Dotierung ist nicht toll, tatsächlich ist sie gar nicht vorhanden. Aber dafür ist die Fragestellung wirklich interessant: Warum klingen Deutsche, die versuchen in ihrer Muttersprache zu toasten, also über Reggae-Beats zu rappen, wie der Jamaikaner das macht, dabei oft wie Kermit?
Ein Problem, das zugegeben nicht gerade die Welt bewegt, aber doch immerhin den Hörgenuss des ja immer noch boomenden Offbeats made in Germany einschränkt. Und unter dem auch „Das gleiche alte Lied“ von Ganjaman leidet. Vor allem, wenn das Gequäke die hehren Anliegen des Dreadlock-Trägers aus der Gropiusstadt konterkariert. Denn Ganjaman will mit seinem butterweichen Roots Reggae nicht nur unterhalten und die Leute zum Tanzen bringen, er will vor allem auch noch mal eben die Welt retten.
„Wir könnten alle Menschen glücklich machen“, verspricht er. Und wie soll das gehen? Mit den richtigen Drogen, der richtigen Religion oder mit Hartz IV für alle? Nein, viel einfacher, jodelt Ganjaman: „Mit ein bisschen Liebe“. Na klar, dass da noch niemand drauf gekommen ist. Oft sind die simpelsten Lösungen eben doch die besten. Ganjamans Leistung sortiert zwar die unangenehmen Reggae-Klischees (Homophobie, Sexismus) und die völlig peinlichen (Sommersonnestrand) aus, aber übersetzt dann die nicht ganz so peinlichen ziemlich originalgetreu aus dem Patois ins Deutsche. Wenn er seinen naiven Glauben an den Gott Jah ausbreitet, wenn er seine einfachen Weisheiten verkündet und all die Probleme, unter denen dieser Planet leidet, ins plumpe „Babylon ist böse“-Schema einordnet, dann merkt man mal wieder, welche großartige Leistung Seeed vollbracht haben.
Eher an diesen Berliner Lokalgrößen orientiert sich das Berlin Boom Orchestra. Schon die zehn Mitglieder starke Besetzung erinnert an Seeed und die satten Bläser erst recht. Dafür verzichtet man auf dem Debütalbum „Kaboom“ auf die elektronische Offbeat-Variante Dancehall und reaktiviert stattdessen den guten alten Ska. Vor allem aber werden die Schwierigkeiten, Reggae-Themen in mitteleuropäische Zusammenhänge zu übertragen, geschickt umschifft: Entweder verzichtet das aus den verblichenen Skaquadrat hervorgegangene Ensemble gleich ganz auf Gesang oder wählt einfach alltägliche Inhalte. Da geht’s dann ums Grinsen, das man sich nicht verkneifen kann, die durchfeierten Nächte, die man sich mit dieser Musik gönnen sollte, oder auch mal um „die Reggaescheiße“, auf die man gerade keinen Bock hat. Das ist textlich gleichfalls nicht immer völlig frei von Peinsamkeit, aber weil der Anspruch sehr viel niedriger ist, gerät die Fallhöhe eben auch nicht allzu hoch.
Auch musikalisch akzeptiert das Berlin Boom Orchestra, dass ihre Heimatstadt nicht in der Karibik liegt. Osteuropäische Einflüsse sind offensichtlich und die Herkunft eines Teils der Belegschaft aus dem Jazz unüberhörbar. Da ist es zu verschmerzen, dass auch hier das „Reggae auf Deutsch singen“-Problem nicht immer wirklich zufrieden stellend gelöst wird. THOMAS WINKLER
Ganjaman: „Das gleiche alte Lied“ (MKZWO/ Rough Trade), live Sa. im Hafthorn/Potsdam Berlin Boom Orchestra: „Kaboom“ (MKZWO/Rough Trade), live Fr. Parkbühne Biesdorf (16 Uhr), Sa. Insel Treptow (15 Uhr)