: Mit schwarz gefärbtem Haar
Flamenco im hohen Norden: Der Tanz und Gesang der südspanischen Romasippen ist hier schon lange heimisch, die Flamenco-Szene in Hamburg groß und äußerst divers. Vom Hobbymusiker bis zu Profitänzern ist alles dabei
VON RABEA WACHSMANN
Der Flamenco ist in Norddeutschland angekommen. Allein in einer Großstadt wie Hamburg findet man zu dem spanischen Musikstil ein buntes Sammelsurium von Musikern und Künstlern. Die Szene reicht von komischen Darbietungen über semiprofessionelle Musiker bis hin zu Berufstänzerinnen und Musikern. Auch das Angebot an Flamencoschulen ist groß. Bis 2006 gab es sogar ein Flamenco Festival in der Stadt.
So reich an Formen und Einflüssen wie die Kulturgeschichte Andalusiens, so komplex ist auch der Flamenco – ein musikalisches Erbe, entwachsen aus der hinduistischen, byzantinischen, arabischen und jüdischen Tradition. Als Kunst ist er eine komplizierte Symbiose aus Gesang (cante), Instrumentalspiel (toque), dem Spiel der Gitarre (gitarra flamenca) und dem Tanz (baile), die den Musikern und Tänzern jahrelange Erfahrung abfordert.
Seit jeher wurde der Flamenco von Romasippen in Andalusien gespielt, erweitert, konserviert und in mündlicher Tradition weitergegeben. Erst seit dem 19. Jahrhundert gibt es erste schriftliche Nachweise dieser Musikkunst. In ihm besangen und betanzten die Sinti und Roma ihr Schicksal als ethnisch verfolgte Minorität. So ist es ihnen auch äußerst suspekt, wenn Weiße, „Payos“, Flamenco spielen, singen und tanzen. Denn die wahre Seele des Flamencos beanspruchen sie für sich. Alles andere ist in ihren Augen Tanz und Gesang für Touristen.
Teil der Szene in Norddeutschland ist der Hamburger Musiker Rüdiger Dietz, Gründer der Flamencogruppe „Gota del fuego“. Seit 20 Jahren spielt er bereits Flamenco. „Wenn man klassische Konzertgitarre spielt, reicht das irgendwann nicht mehr“, erzählt er. „Entweder geht es dann Richtung Jazz oder Flamenco, bei mir war es letzteres.“
Mit mehr als 50 Grundformen sei Flamenco für ihn der vielseitigste Musikstil. Flamenco ist für ihn ein Lebensgefühl, so wie heiß und kalt eben, „das kann man auch nicht so richtig beschreiben.“ Den Kampf um den wahren Flamenco belächelt Dietz: „Die Zigeuner schimpfen über die Spanier, die Spanier wiederum über die deutschen Flamenco-Künstler, und die Deutschen regen sich über die Japaner auf. Das ist doch überall das Gleiche.“
Auch seine Frau hat sich dem Flamenco verschrieben. Iris Caracol, ist Flamencotänzerin und betreibt eine Flamenco Schule im Hamburger Stadtteil Ottensen. Der Nachnahme „Caracol“, Schnecke, ist allerdings ein Künstlername. Unter den Tänzerinnen in Hamburg sind viele Deutsche, „aber mit schwarz gefärbten Haaren fällt das ja dann nicht mehr auf“, sagt Dietz.
In den Kursen wird die kraftvolle und rhythmische Fußarbeit gelehrt, denn die Kraft des Flamenco-Tanzes geht in den Boden. Eine strenge Choreographie beherrscht die Schrittkombination. Bis das Stakkato der Schritte verinnerlicht ist, wird geübt, bis jeder der Schritte perfekt sitzt.
Am Anfang des Tanz-Unterrichts steht das Erlernen grundlegender Techniken des Flamenco-Tanzes wie Körperhaltung, Fußtechnik und das rhythmische Händeklatschen, die „Palmas“. Es folgt die Erarbeitung einzelner einfacher Choreographien wie Sevillanas, Tangos und Fandangos, in den fortgeschrittenen Klassen dann weitere Palos wie Alegrias, Soleares, Seguiriyas.
Einen Tag pro Woche begleitet Dietz die Kurse seiner Frau auf der Gitarre. Die Hamburger Flamenco-Szene beschreibt er als relativ groß, sehr gemischt und manchmal ein bisschen zerstritten. Jeder habe „im Flamenco seinen eigenen Überlebenskampf zu führen“. Für Dietz heißt das etliche Flamenco-Konzerte zu spielen – vom Straßenfest bis zur Kreuzfahrt. Nebenbei betreibt er einen Online-Shop, in dem von wallenden Röcken bis zu roten Haarblumen und Musikinstrumenten alles aus der Welt des südspanischen Musikstils angeboten wird.
Dietz trägt auch Gedichte von Federico García Lorca, dem großen andalusischen Lyriker, vor. Die Roma lieben Lorca, dessen Gedichte und Dramen oft in der Lebenswelt der andalusischen Sippen spielen. „Dann brauche ich mich als Deutscher nicht auf die Bühne stellen und den Zigeunern erzählen, was Flamenco ist.“ Das habe Lorca schon getan.