piwik no script img

Archiv-Artikel

Acht Länder in zehn Tagen

Chinesische Touristen hetzen auf rasanten Shoppingtrips vor ständig wechselnder Fotokulisse durch Europa. Zuvor kamen schon viele Japaner, jetzt sind auch immer mehr Inder und Südkoreaner auf ganz schneller Europa-Tour

„Chinesen geben mehr Geld fürs Einkaufen aus als für die Reise selbst“

VON SVEN HANSEN

Für chinesische Touristen und Geschäftsleute ist es üblich, an einem Tag in Deutschland gleich vier Städte zu besuchen“, sagt Cui Xiaoyue. „Morgens in Frankfurt den Römer, am späten Vormittag in Koblenz das Deutsche Eck, danach in Bonn das Beethoven-Haus und nachmittags in Köln den Dom. Jeweils eine halbe Stunde, um Fotos zu machen. Wichtig ist für Chinesen, dass sie mit drauf sind. Mehr brauchen sie nicht.“

Der in Bremen lebende Cui ist seit 1985 Reiseleiter. Eigentlich war er zum Studium nach Deutschland gekommen. Dann führte er Deutsche durch China, seit zwölf Jahren begleitet er auch Chinesen durch Europa. „Die typische Tour ist: acht europäische Länder in zehn Tagen“, so Cui. Deutsche und Chinesen reisen dabei sehr unterschiedlich. „Deutsche sind individueller, gut vorbereitet und stärker an Geschichte interessiert. Sie machen Fotos von historischen Gebäuden am liebsten ohne Touristen drauf, die Chinesen immer nur mit sich, damit sie zu Hause was vorzeigen können.“

Chinas Regierung erlaubt Europareisen nur in Gruppen, sei es als Touristen oder Delegationen von Geschäftsleuten und Beamten, die nebenher Sightseeing machen. „Chinesen kommen nicht in erster Linie nach Deutschland, sondern nach Europa,“ sagt Sylvia Lott, Autorin des Ratgebers der deutschen Handelskammern „Was sie schon immer über chinesische Touristen wissen wollten“. „In Deutschland sind Chinesen im Schnitt nur zwei Tage. Sie wollen sehen, wovon sie schon gehört haben.“ Laut Lott wissen sie nicht viel über Deutschland und sind erstaunt, dass es in dem Industrieland auch schöne Landschaften gebe. Am wichtigsten sei jedoch das Einkaufen. Markenprodukte kosteten in Deutschland bis 30 Prozent weniger als in China. „Chinesen arbeiten Einkaufslisten ab. Ihre zwei Tage Deutschland sind richtig stressig.“

Mit Chinas wachsendem Wohlstand steigt die Zahl seiner ins Ausland reisenden Bürger stark. 31 Millionen machten 2005 eine Auslandsreise, 1999 waren es erst 9 Millionen. 2006 kamen 441.000 nach Deutschland gegenüber 214.000 im Jahr 2000. Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) in Frankfurt am Main rechnet für 2010 mit 1 Million chinesischen Besuchern. Der Professor für Tourismuswirtschaft und Direktor des China Outbound Tourism Research Project an der Fachhochschule Westküste in Heide, Wolfgang Arlt, schätzt, dass in den nächsten 20 Jahren 150 Millionen Chinesen ins Ausland reisen.

„Chinesen geben mehr Geld fürs Einkaufen aus als für die Reise selbst“, sagt der DZT-Asien-Manager Horst Lommatzsch. „Sie sparen beim Hotel, um mehr einkaufen zu können.“ Laut dem Tax-Free-Shopping-Serviceunternehmen Global Refund in Düsseldorf sind Chinesen nach Russen die zweitstärkste Käufergruppe in Deutschland. Ihr durchschnittlicher Einkaufsbon 2006 betrug 195 Euro. „Chinesen kaufen alles, was einen Namen hat“, so Global-Refund-Sprecherin Ilka Stitz. Wichtig sei Markenware und dass sie in Europa und nicht in China gekauft werde. Das erhöhe den Status und schütze vor Fälschungen.

42 Prozent aller Einkäufe von Chinesen in Deutschland erfolgen laut Global Refund in Frankfurt am Main, wo Deutschlands größter Flughafen ist. Doch erstaunlicherweise setzt die Kleinstadt Metzingen südlich von Stuttgart mit Chinesen so viel um wie Deutschlands zweitgrößte Stadt Hamburg. In Metzingen, Heimat der Modemarke Hugo Boss, haben 60 internationale Bekleidungsfirmen Factory-Outlets. Für asiatische Touristen ist dort das Mekka des Shoppings in Deutschland. „Auch Inder kaufen gern ein“, sagt Lommatzsch von der DZT. Sie reisten im Unterschied zu den Chinesen aber meist individuell, seien erfahrener und fahren durch weniger Länder. „Sie sind auch bereit, mehr für eine gute Unterkunft zu zahlen.“ Früher reisten sie vor allem nach Großbritannien, dann wurde die Schweiz populär. Denn diese ist Drehort vieler Bollywoodfilme. Inzwischen entdecken die Inder andere Staaten. In Deutschland stieg die Zahl der Übernachtungen von Indern im ersten Halbjahr 2007 um 36,5 Prozent, stärker als die aus jedem anderen asiatischen Land.

Für Chinesen ist nicht Bollywood, sondern der Kommunismus ein Anknüpfungspunkt. Deshalb ist bei ihnen Deutschlands älteste Stadt Trier beliebt. Dort steht das Geburtshaus von Karl Marx. Gern besuchen Chinesen auch das französische Städtchen Montargis 100 Kilometer südlich von Paris. Dort bereiteten in den 20er-Jahren chinesische Intellektuelle die Gründung der KP Chinas vor. Asiaten machen vor allem Städtereisen. Paris und Rom sind besonders beliebt. Bei Deutschlandreisen sind München, das Schloss Neuschwanstein und eine Schiffsfahrt entlang der Burgen am Mittelrhein populär. Japaner fahren wegen des berühmten Porzellans auch mal nach Meißen. Die sächsische Stadt reizt Touristen aus China, wo das Porzellan erfunden wurde, dagegen kaum.

Japaner waren die ersten asiatischen Touristen in Europa. Sie kamen in den 70er- und 80er-Jahren wie heute die Chinesen vor allem in Gruppen. Auch sie wollten zunächst in wenigen Tagen möglichst viel sehen, wie schon zuvor Touristen aus den USA. Die hatten Europa ab den 60er-Jahren entdeckt. Inzwischen besuchen Japaner wie Amerikaner weniger Länder bei einer Reise. Japaner sind stark an klassischer Musik interessiert, ihre Besuchszahlen gehen aber zurück. Experten verweisen auf innerjapanische Gründe und ungünstige Wechselkurse. Dagegen steigt die Zahl der Touristen aus Südkorea. Lommatzsch nennt sie besonders offen und stärker an Landschaft und Natur interessiert.

Probleme haben viele Asiaten mit europäischem Essen. „Deutsche Suppen sind ihnen meist zu salzig“, so Lommatzsch. Chinesen mögen kein deutsches Frühstück, sagt Stefanie Lyngbye vom deutsch-chinesischen Reiseveranstalter Caissa in Hamburg. „Für unsere Gruppen buchen wir nur Hotels mit Frühstücksbüfett.“ Dort könnten Chinesen schon morgens warm essen. Mittags und abends gehe es ohnehin in Chinarestaurants.

Ausnahme sei ein Besuch im Münchner Hofbräuhaus. Die deftige Atmosphäre dort gefällt Chinesen, die als laut und ungehobelt gelten, sehr gut. Weil die Touristen aus dem Reich der Mitte unerfahren sind, lässt ihre Regierung eine Broschüre mit Benimmregeln fürs Ausland über Reisebüros verteilen. Darin werden Chinesen ermahnt, nicht auf den Boden zu spucken, beim Essen nicht zu rülpsen und Hotelzimmer nicht im Schlafanzug zu verlassen.

Die zurückhaltenden Japaner sind laut einer Umfrage unter 15.000 europäischen Hoteliers die beliebtesten Gäste. Am unbeliebtesten sind Inder. Sie sind berüchtigt, Hotelzimmer im Chaos zu hinterlassen. Auch die beim Trinkgeld knauserigen Chinesen werden nicht sehr geschätzt. Umgekehrt stört Chinesen, dass Hotels in Europa nicht auf sie eingestellt seien und Angestellte zu wenig lächelten. Neben Informationen auf Chinesisch fehle meist heißes Wasser, um jederzeit Tee machen zu können. „Chinesen mögen als Hotels am liebsten moderne Zweckbauten mit großer Lobby samt Pianospieler. Ein gediegenes altehrwürdiges Gebäude, wie es etwa Deutsche gut finden, empfinden Chinesen als unmodern“, sagt Caissa-Sprecherin Lyngbye.

„Noch vor zehn Jahren blickten Chinesen zu Deutschland als modern auf“, sagt Reiseleiter Cui. Weiterhin seien sie von der Sauberkeit, Sicherheit und sozialen Ordnung beeindruckt, doch seien sie inzwischen enttäuscht, dass schon chinesische Provinzstädte mehr Hochhäuser und größere Verkehrsstaus haben als deutsche Metropolen. Laut der Ratgeberautorin Sylvia Lott dominiert in China, wo selbst historische Gebäude gnadenlos abgerissen würden, ein Modernitätsbild, wie es in Europa noch in den 50er- und 60er-Jahren vorherrschend war: „Chinesen nehmen deshalb Europa zunehmend als Freilichtmuseum mit angeschlossenem Shoppingcenter wahr.“