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Archiv-Artikel

„Wir reden auf Arabisch, fertig.“

Eine junge Bremer Kulturwissenschaftlerin hat untersucht, wie Bildungsmigranten aus Nordafrika mit dem Fremdsein umgehen. Die Auswertung der Gespräche mit den drei Studenten erscheint jetzt als Buch im Campus-Verlag

„Warum bin ich ein Ausländer? Weil, irgendwann treffe ich einen, der mir dieses Gefühl gibt. […] Dass muss kein Nazi sein, aber irgendwann gibt dir jemand das Gefühl, auch wenn du hier zwanzig Jahre lebst.“ Das Gefühl, anders zu sein, teilt der junge Algerier Samir mit vielen Migranten in Deutschland. Wie aber gehen sie mit ihren Migrationserfahrungen um? Die Bremer Kulturwissenschaftlerin Wiebke Aits hat in ihrer Abschlussarbeit am Beispiel dreier nordafrikanischer Studenten, welche unterschiedlichen Handlungsstrategien junge Migranten im Einwanderungsland entwickeln.

Über mehrere Monate führte Wiebke Aits Gespräche mit den Studenten Mourad (34) aus Marokko, Samir (37) aus Algerien und Karam (44) aus Tunesien. Detailliert beschreibt sie Hoffnungen und Haltungen, die Konflikte und Ängste ihrer Gesprächspartner und setzt sie in Beziehung zu ihrer Lebenssituation. Dabei werden die geteilten Wahrnehmungen der drei Männer ebenso deutlich wie die verschiedenen Lebensstrategien, die sie daraus ableiten.

Aits wurde bei ihrer Arbeit von der Bremer Kulturwissenschaftlerin Maya Nadig betreut, die die Studie anschließend als Buch herausgab. Schon vor ihrer Arbeit hatte Aits sich mit den nordafrikanischen Staaten beschäftigt und durch ihre Arbeit als Streetworkerin Erfahrungen mit jungen MigrantInnen gesammelt.

Die Kulturwissenschaftlerin lehnt es ab, Migrationserfahrung als grundsätzlich „defizitär“ zu begreifen. „Häufig wird beim Thema Migration gleich gefragt: Was klappt nicht? Die Perspektive der MigrantInnen selbst, ihre Handlungsstrategien und auch die Kompetenzen, die sie erwerben, kommen dabei oft zu kurz.“

Sie sieht Migration als Vermittlungsarbeit. „Es ist enorm, wie viel Flexibilität nötig ist, um mit so einer Migrationssituation umzugehen“, meint sie. Nicht nur verschiedene Lebensräume, Sprachen und Kulturen müssten MigrantInnen in sich integrieren, auch die eigenen inneren Widersprüche. Alltägliche Situationen können zu Belastungsproben werden, zum Beispiel wenn man gerne mit Freunden in die Disco geht, den Alkoholkonsum dort aber ablehnt.

Überraschend fand Aits, wie wenig anerkannt sich die drei Männer fühlten. Ständig seien sie mit Vorurteilen ausgesetzt, würden nicht als gleichwertig anerkannt. „Diese Ausgrenzung ist belastender als kulturelle Unterschiede“, sagt die Forscherin. „Viele denken offenbar, wenn einer nicht akzentfrei Deutsch spricht, weiß er auch nicht besonders viel.“ Besonders Muslime oder junge arabische Männer würden als potenzielle Gefahr stigmatisiert. Einer ihrer Bekannten werde beim Betreten eines Kaufhauses so offensichtlich vom Security-Dienst ins Visier genommen, dass er sich beim Hinausgehen reflexartig selbst abtaste, erzählt Aits.

In dem Gefühl, als Fremde nicht akzeptiert zu werden, flüchten viele MigrantInnen in die Vertraulichkeit kleiner nationaler Communities. „Hier alleine ist es wahrscheinlich noch schwieriger“, meint auch Samir. „Aber wir halten durch, mit Freunden vergisst du einfach, dass du in Deutschland bist. […] Hast Freunde, wir reden auf Arabisch, du bist da, fertig.“

Um bei MigrantInnen dieses Gefühl der Ausgrenzung zu lindern empfiehlt Aits einen „entspannteren Umgang mit Differenzen“, stattdessen sollten „die Differenzen innerhalb der Menschen akzeptiert werden“. Ein zentrales Problem sei der Mangel an Anerkennung, auch in rechtlicher Hinsicht. Die Forderung, nur MigrantInnen hätten Integrationsarbeit zu leisten, sei leider verbreiteter als der Versuch, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Annabel Trautwein

Wiebke Aits: „Intellektuelle Grenzgänger“, Campus Verlag, 29,90 Euro