Raum im Film und Film im Raum

Der Kunstverein in Hamburg hat für die Architekturprojektionen von Bojan Sarcevic eigens neue Pavillons in seine Räume gebaut: In der Ausstellung „Only after dark“ werden die Projektionen von Filmen über Skulpturen unversehens selbst zu Skulpturen

Bei neuen Museen schleicht sich oft der Eindruck ein, sie seien gemacht für den Ruhm des Architekten und das Image der Stadt – aber kaum dazu, um Kunst zu zeigen. Wie wäre es dagegen, wenn die Künstler für jede Arbeit gleich selbst eine speziell passende Architektur mitbauen könnten? Die aktuelle Einzelausstellung des in Paris lebenden Künstlers Bojan Sarcevic scheint einem solchen Konzept zu folgen: Alle seine fünf Filme werden in eigens in den Ausstellungsraum eingebauten Pavillons gezeigt. Das gibt den im Schnitt gerade mal zweieinhalb Minuten langen Projektionen den nötigen Rahmen. Nur mit solchem aufwendigen Design ergibt sich daraus überhaupt erst eine Ausstellung, könnte man meinen.

Nun findet diese eigenartige Filmschau des 1974 in Belgrad geborenen Künstlers aber nicht irgendwo auf einer schicken Messe statt, sondern im ernsthaften Kunstverein in Hamburg. Es ist also davon auszugehen, dass sehr viel mehr Gedanken in der „Only After Dark“ betitelten Inszenierung stecken, als hier bloß übergroße, exklusive Hüllen für Kurzfilme zu bieten. Tatsächlich werden innerhalb des abgedunkelten großen Raums des Kunstvereins die Projektionen von Filmen über Skulpturen selbst als Skulpturen aufgefasst und in skulpturalen Architekturen präsentiert. Skulptur in der Skulptur und Raum im Raum: eine mindestens vierfache Reflexion.

Aber dieses Werk nährt sich auch aus einer kannibalischen Dekonstruktion: Für den Gesamtzusammenhang der Inszenierung dürfen weder die kleinen Plastiken, noch die Architekturen ihre angestammten Funktionen und Dimensionen behalten. Körper werden Lichtbilder, das Licht des Projektors dagegen zur Plastik.

Dazu tragen die wie aus einzelnen Flächen zusammengesetzten Architekturen zwar jeweils einen der etwas nostalgischen 16mm-Projektoren, sie bieten manchmal auch eine weiße Wand für das projizierte Bild. Aber sie sind trotz ihrer strikten Rechtwinkligkeit immer so offen konstruiert, dass sie den Besuchern keine eindeutige Positionierung dahingehend bieten, wo genau bei diesen Bauten ein Innen oder ein Außen zu denken ist.

Solche Aufhebung der räumlichen Funktionszuweisungen und Grenzen im Ganzen und im Detail funktioniert hier als methodisch eingesetzte Form, um die Abgrenzung auch zwischen objektiv und subjektiv aufzubrechen. Die kleinen, höchstens mittelgroßen Objekte, die da auf dem Tisch im Studio von Bojan Sarcevic nach langer einsamer Betrachtung langsam abgefilmt wurden, sind zweifellos eher belanglose, fast zufällig arrangierte Dinge: meist abstrakte Formen aus Plexiglas und Collagen aus Hölzern. Aber da ihnen vom Künstler derartig viel wichtige Aufmerksamkeit zugewendet wird, müssen sie eine weitergehende Bedeutung haben, möglicherweise in einer anderen Dimension.

Also beginnen auch die Betrachter, sie bedeutend zu machen und sie über ihren bloßen Objektcharakter hinaus als Modelle wahrzunehmen: Subjektiv werden sie zu Theaterkulissen oder Architekturentwürfen oder mehr noch zu Landschaftsbildern – so durch die hinzugefügten Steine, den Ast oder ein Stück Fleisch.

Solche Wahrnehmungsverschiebung wird auch durch die Projektions-Architekturen nahe gelegt. Denn diese verwenden eindeutig die Formensprache der klassischen Moderne, beispielsweise die eines Mies van der Rohe. Im Gedenken an deren uneingelöste Utopien in baulicher und sozialer Hinsicht, möchte man wenigstens die Modelle, die Bojan Sarcevic abgefilmt hat, mit Phantasie zum Tanzen bringen.

Nicht ganz unschuldig an solcher Dynamisierung kleiner toter Materialteile ist auch die die Kurzfilme begleitende Musik: Die eigens komponierten Tonfolgen werden teils am Klavier angeschlagen, teils auf der arabischen Oud gespielt. Vielleicht ist diese Mischung von westlicher und östlicher Musiktradition bei einem Künstler, der aus dem zerfallenden Jugoslawien flüchtete, auch ein zusätzlicher, unaufdringlicher Hinweis auf biographisch erfahrene Kulturdifferenzen. Auf jeden Fall befördert die Musik den freien imaginativen Umgang mit dem gezeigten, eigentlich doch recht spröden Material.

Und noch ein weiteres Element macht diese Inszenierung letztlich zu einer Ausstellung der komplexen Möglichkeiten des Ausstellens selbst: Stets ist nur eine der Filmarchitekturen in Betrieb, so dass der durch die Abfolge der Projektionen vorgegebene Rundgang zu einer Choreografie wird. Und damit stellt sich diese formal präzise und komplexe kleine Ausstellung als ein großes – zwar wortloses – aber Sehen, Hören und Sich-Bewegen ansprechendes Architekturtraktat dar – samt wahrnehmungspsychologischem Anhang, in dem aufs Feinste demonstriert wird, wie die Bedingungen des Betrachtens die Dinge der Betrachtung beeinflussen. HAJO SCHIFF

Die Ausstellung ist bis 21. 9. im Hamburger Kunstverein zu sehen