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Archiv-Artikel

Von der Berliner Schule bis nach Venedig

Jerichow“, der neue, mit Spannung erwartete Spielfilm des Berliner Regisseurs Christian Petzold, tritt bei den 65. Internationalen Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb um den Goldenen Löwen an.

Das ist an sich schon eine gute Nachricht. Sie ist es umso mehr, als Petzold mit seinen Arbeiten ernsthafte, auch unbequeme Antworten auf die Fragen des Filmemachens findet. Anders als die meisten Macher deutscher Mainstreamfilme der Neunzigerjahre bemisst er den Wert seiner Spielfilme, etwa „Die innere Sicherheit“ (2001) oder „Yella“ (2005), nicht zuerst danach, wie viel kommerzielles Potenzial sie haben.

Petzolds Teilnahme am Wettbewerb von Venedig sollte daher auch den anderen Filmemachern der sogenannten Berliner Schule neuen Mut für ihre künftigen Filmprojekte machen. Diese lose, fast konspirativ agierende Gruppierung junger Filmemacher half der heute 47-jährige Petzold Ende der 90er mitbegründen. Dass „Jerichow“ nun im Wettbewerb um den Goldenen Löwen läuft, ist auch ein Zeichen internationaler Anerkennung für die gesamte Berliner Schule.

Ihre Versuche, an die Traditionslinien des Autorenfilms anzuknüpfen, werden zu Hause des Öfteren herablassend beurteilt. Dabei lassen sie sich durchaus als politischer Akt begreifen. Denn eingefahrene Sehgewohnheiten zu verunsichern, aber die Zuschauer dennoch mit stilvollen Bildern und nachhaltigen Geschichten (eigenen Drehbüchern) zu unterhalten, ist im Zeitalter der Historienschinken und des Quotenzwangs im Fernsehen durchaus bemerkenswert.

„Man macht Filme nicht aus dem Kopf“, sagte Petzold einmal, „man macht Filme, weil es andere Filme gibt, zu denen man sich in Beziehung setzt.“ Auch sein Kino steckt voller internationaler Mütter und Väter, deren filmische Ästhetiken Petzold zu einer ganz eigenen Sprache weiterentwickelt hat: Normalität und Abgrund, Traum und Ökonomie, Arbeit und Natur, Märchen und Machtverhältnisse sind darin keine Gegensätze.

Petzold lebt mit seiner Frau türkischer Herkunft und zwei Kindern in Kreuzberg. Seit 1981 ist er in Berlin, wo er bei Harun Farocki an der DFFB studierte. Als Regisseur hat er auch im Umgang mit Gremien und Bürokraten, die zur Profession des Filmemachens dazugehören, Zähigkeit bewiesen.

„Jerichow“ ist die Geschichte des Afghanistan-Heimkehrers Thomas (Benno Fürmann), der mit Laura (Nina Hoss) eine verhängnisvolle Affäre beginnt. Auch ihr Ehemann Ali (Hilmi Sözer) stürzt ins Unheil. Mit dem Filmteam hat Petzold, der auch das Drehbuch verfasste, schon oft zusammengearbeitet. Tradition verpflichtet.

JULIAN WEBER