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Archiv-Artikel

Eine Geschichte der Tricktechnik

Viel mehr als Superhelden: „Amazing Stories“, eine gut kuratierte Reihe von Comic-Verfilmungen im Babylon Mitte

VON ANDREAS BUSCHE

Der Comic-Held verfügt, im Gegensatz zur Romanfigur, bereits über seine eigene Ikonografie. Das macht das Kino so empfänglich für seine Geschichten, für die fantastischen Superhelden-Abenteuer der Marvel- und DC-Imperien wie für die autobiografisch angehauchten Erzählungen aus dem amerikanischen Comic-Underground. Beide Formen von Bildergeschichten sind sich in ihrem Wesen ähnlicher, als es zunächst scheint. Mit dem technischen Medium Film teilen sie zudem zwei unumstößliche gestalterische Prinzipien: die Konzentration auf Momente, präzise kadrierte, ikonische Einstellungen und die Simulation von Bewegung anhand einer Sequenz konsekutiver Einstellungen. Besonders gut gelingt dies bei einigen Autoren der härteren Gangart wie Frank Miller oder in actionlastigeren Mangas. Auch über den Tatbestand hinaus, dass Film und Comic als popkulturelle Unterhaltungsformate zwangsläufig zu einer Erzählweise konvergieren, hat ein Vergleich Sinn – nicht zuletzt, weil sich die Ökonomie der großen Hollywood-Blockbuster inzwischen selbst an der Verwertungslogik von Comic-Adaptionen orientiert.

Anlässlich des Starts des neuen Batman-Abenteuers „The Dark Knight“ zeigt das Babylon Mitte im August eine Reihe mit Comic-Verfilmungen, die in Umfang und Auswahl ein durchaus historisches Bewusstsein an den Tag legt. Neben den zu erwartenden Hollywood-Produktionen wie „Spiderman“, „Speed Racer“, „300“ oder Ang Lees „Hulk“ widmet sich „Amazing Stories“ auch den Nischen und Sub-Gattungen dieses Meta-Genres. Und da gibt es eine Menge (wieder) zu entdecken, unter anderem fast vergessene Kuriositäten wie Warren Beattys „Dick Tracy“-Adaption, den super-campen „Flash Gordon“ mit seinem Queen-Soundtrack sowie das japanische Schwertkampf-Drama „Lady Snowblood“, das Quentin Tarantino als Vorlage für seine „Kill Bill“-Filme diente.

Gerade in Deutschland ist solch ein Filmprogramm durch die miserable Verleihlandschaft in seinen Möglichkeiten zwangsläufig eingeschränkt. Umso erfreulicher, dass es dem Babylon gelungen ist, 35-mm-Kopien der ersten drei „Superman“-Filme aus der Christopher-Reeve-Ära aufzutreiben. Selbst der hanebüchene dritte Teil hat sich dank eines total verkoksten Richard Pryor seinen Platz in der Filmgeschichte verdient, und „Superman – The Movie“ von Richard Donner ist allein deswegen unverzichtbar, weil er im Windschatten des „Star Wars“-Erfolgs einen Paradigmenwechsel einleitete, der die US-Filmindustrie von Grund auf verändern sollte. Bis Ende der Siebzigerjahre waren Comic-Adaptionen primär eine Domäne des Fernsehens, wo Darsteller wie Adam West (Batman) oder Lou Ferrigno (Hulk) es zu Kultstatus gebracht hatten. Das änderte sich mit „Superman – The Movie“ schlagartig. Die damals teuerste Produktion aller Zeiten holte die Comic-Verfilmung aus ihrem Nischendasein und ebnete mit den Weg für das Prinzip „Blockbuster“.

Im direkten Vergleich mit digital hochgerüsteten Produkten wie „Speed Racer“ oder „300“ lässt sich vortrefflich exemplifizieren, welche technischen Sprünge das Kino in den letzten 30 Jahren vollzogen hat. Richard Lesters „Superman II – Allein gegen alle“, seinerzeit das Nonplusultra der Tricktechnik, wirkt heute wie ein Film aus der Augsburger Puppenkiste. Die Geschichte der Comic-Verfilmungen lässt sich somit auch als eine Geschichte der Tricktechnik lesen, die sich dank fortschreitender Technologie zukünftig möglicherweise in immer kürzeren Zyklen neuschreiben könnte. Nicht ganz zufällig gehören die aktuellen „Hulk“-, „Superman“- und „Batman“-Verfilmungen bereits zu den zweiten Relaunches ihres jeweiligen Franchise.

Außerhalb des Mainstreams musste man sich dagegen aus finanziellen Erwägungen seit je auf „erzählerische“ Comics, die heute unter dem Sammelbegriff ‚Graphic Novel‘ firmieren, beschränken. Ausgangspunkt waren die ersten sogenannten Underground-Comics der Sechzigerjahre um Figuren wie Robert Crumb, der im Babylon gleich dreimal vertreten ist: mit dem ungeliebten „Fritz the Cat“ von 1972, einem quasi-pornografischen Animationsfilm, der seinerzeit die Sittenwächter auf den Plan rief, Terry Zwigoffs Dokumentarfilm „Crumb“, der mit so viel bizarren Charakteren bevölkert ist, dass er selbst an eine Comic-Verfilmung erinnert, sowie „American Splendor“ um den misanthropen Verwaltungsangestellten Harvey Pekar.

(Semi-)Autobiografische Comics sind dann auch der andere Schwerpunkt von „Amazing Stories“, wobei der Zeichnung hier oft fast ein dokumentarischer Wert zukommt. Marjane Satrapis stark stilisierter Animationsfilm „Persepolis“ ist sicher eines der schönsten Beispiele dieser relativ jungen Entwicklung, die wieder stärker auf tradierte Vermittlungsformen zurückgreift. Die Bilder sind expressionistisch, fast holzschnittartig; „Persepolis“ zeigt – ähnlich wie der postmodernistisch-gebrochene „American Splendor“ von Robert Pulcini und Shari Springer, der Spielszenen, Comic-Kader und improvisierte Interviewpassagen vermischt –, dass Comic-Adaptionen über den bloßen Transfer hinaus immer wieder zu einer eigenständigen Bildsprache finden können. Der Comic als dokumentarisches Zeugnis, bis hin zur journalistischen Reportage (wie Ben Katchors New York-Exkursionen oder Joe Saccos Bosnien-Kriegstagebücher), hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Es muss also trotz anhaltender Superhelden-Manie kein Widerspruch sein, wenn die Comic-Verfilmung Wirklichkeit auf die große Leinwand bringt.

Programm unter www.babylonberlin.de/amazingstories.htm