: Disco mit Sorgenfalten
Das entspannt-verklemmte Solodebüt von Tocotronic-Schlagzeuger Arne Zank erscheint jetzt doch. Ursprünglich war „Love and Hate. Songs from A to Z“ der Pleite seines Labels zum Opfer gefallen
VON MAURICE SUMMEN
Was war das für eine ruhige Zeit: kein Internetzugang, keine Handys und keine Latte-Macchiato-Schäumgeräusche in den Cafés.
In der Popmusik vollzog sich der Übergang von analoger zu digitaler Produktion. Eine ganze Generation von Abitur-Grungern entdeckte die Clubmusik für sich. Zumindest das Repetitive daran. Das Geräusch als Musik: Clicks und Klacken. Aphex Twin sollte der König dieser Generation werden. Im karnevalistischen Köln entwickelte sich eine Institution für den wiederentdeckten Bauhaus-Geist in Sound: die Firma Kompakt. Im eher Beatles- oder Kinks-orientierten Hamburg stand vor allem das Label Ladomat für den Übergang von der Beat- und Schrammel- zur Festplattenmusik.
Ladomat war das Tochterlabel der Plattenfirma L’age d’or, die dank ihrer Agitprop-Zugpferde Tocotronic ein paar Jahre lang erheblichen Geldzufluss zu verbuchen hatte, sodass man sich ein experimentelles Sublabel leisten konnte. Natürlich wollte man auch nicht verpassen, dem heißesten Scheiß mit großzügigen Gesten zu begegnen. Aus kommerzieller Sicht konnte Ladomat dem Mutterschiff aber nicht das Wasser reichen. Trotzdem gab es kleine Hits, mit dem Song „From Disco2Disco“ von Whirlpool Productions sogar einen richtig großen Gassenhauer!
Dieser Tage erscheint nun „Love and Hate – Songs from A to Z“, das Debütalbum von Arne Zank, dem hauptberuflichen Schlagzeuger von Tocotronic. Und wäre die Firma Lado – wie L’age d’or am Ende etwas griffiger hieß – nicht vor gut einem Jahr in Konkurs gegangen, wäre dieses Album mit Sicherheit auch erschienen.
Tatsächlich hatte man dort schon vor Jahren eine erste Maxi-Single mit Arne Zanks elektronischen Experimenten herausgebracht, aber nach der besagten Pleite verspürte der Künstler keinen Druck mehr, das Album zu vollenden.
Jetzt hat er es doch noch getan: Arne Zank macht Tanzmusik, die eigentlich nur so tut, als ob sie etwas vom Tanzen versteht. Für den hedonistischen Discobetrieb zu verklemmt und zu verfrickelt, will diese Musik nicht wirklich Sex in den Discobetrieb bringen. Aus der Sicht eines Tanzwütigen klingt das Zank-Album eher wie die Musik von jemandem, der entspannt beim Tanzen zugucken möchte.
Teile der Elektromusik haben von Anfang an das gleiche Schicksal genommen wie die Jazzmusik. In den Händen der weißen Bohème wurde die Musik von einer körperlichen, schmutzigen Tanzmusik zum Soundtrack für einen eher theoretischen Tanzentwurf: Beschallung für den WG-Abend. „Love and Hate“ ist aber weitaus mehr als Synapsendisco für Menschen, die heute Abend keine Lust haben ins Programmkino zu gehen.
Arne Zank hat eine vorzügliche Kunstplatte gemacht, die es schafft, Erinnerungen an diese Zeit wieder hochzuspülen: Eine krude Mischung aus Krautrock, House, Dub und Achtspur-Indie-Intimitäten. Auch wenn es in Historikerkreisen den humoristischen Spruch „Neulich vor 10 Jahren“ geben mag: In der Popkultur trennen 10 Jahre ganze Generationen voneinander.
Zanks Musik klingt bereits jetzt so weit weg von dem, was gerade „hip“ ist, wie eine Spinnerplatte vom spleenigen Sequencer-Guru Klaus Schulze zum Beispiel. Dennoch bringt Arne Zank im exemplarischen Opener „Acteure Actricien“ ein echtes Discomoment – seine Stimme klingt hier verblüffend ähnlich wie die seines Bandkollegen Dirk von Lowtzow. „Unser Geschick ist lange Qual, der Augenblick trennt uns auf ewig“ singt er, um dann im Refrain mit den Zeilen „Zum Glück werden wir gar nichts behalten“ zu kapitulieren, bevor die künstlichen Discostreicher ertönen. Dann aber setzen auch schon vernebelte Schrammelgitarren ein, die jedem professionellen Club-DJ auf der Stelle Sorgenfalten ins Gesicht zeichnen würden.
Privat kann man mit dieser Platte aber einen sehr schönen Abend verbringen und vor allem die Wunden der Vergänglichkeit lecken. Aber wer weiß? Vielleicht läuft „Love and Hate – Songs from A to Z“ ja doch mal auf einer Party. Das Durchschnittsalter auf dieser Versammlung von netten Menschen dürfte aber weit über dreißig sein.
Arne Zank „Love and Hate. Songs from A To Z“ (Rockotronic/Nobistor)