: Das teuerste Pflaster der Welt
Afrika produziert mit knapp 10 Millionen Barrel am Tag rund ein Achtel des Erdöls auf der Welt, mit Angola (1,9 Mio. Barrel pro Tag im 2. Quartal 2008), Nigeria (1,86 Mio), Libyen (1,73 Mio) und Algerien (1,41 Mio) als den größten Förderländern. Bis 2020 soll Afrikas Anteil an der globalen Ölförderung nach Industrieprognosen auf 30 Prozent steigen, mit China und den USA als den größten Abnehmern. Angola ist seit zwei Jahren Chinas wichtigster Öllieferant, noch vor Saudi-Arabien. Der Ölboom beschert Afrika die größten Auslandsinvestitionen seiner Geschichte. Kritiker mahnen, dass die meisten Ölförderländer des Kontinents autoritär regiert werden und die Einnahmen der Bevölkerung nicht zugutekommen. Nigeria hat bereits durch anhaltende Aufstände in den Ölgebieten seinen Platz als größter afrikanischer Ölförderer verloren. D.J.
AUS LUANDA FRANÇOIS MISSER
Im Hafen von Luanda stauen sich die Frachtschiffe. 2.000 Pkws werden jede Woche in Angolas Hauptstadt ausgeladen und sorgen auf den Straßen der Fünf-Millionen-Metropole für Dauerstau. Luanda, inzwischen eine der größten Städte Afrikas, ist eine einzige Baustelle. Und weil die wenigen Straßen, auf denen nicht gebaut wird, von sieben Uhr morgens bis neun Uhr abends ununterbrochen verstopft sind, werden alle Besprechungen am Handy erledigt. So boomt auch der Mobilfunk. Fünf Millionen Handynutzer zählt Angola mit seinen 16 Millionen Einwohnern – eine der höchsten Raten Afrikas.
Vor wenigen Jahren war Angola noch ein komplett zerstörtes Bürgerkriegsland. Heute ist es das Boomland des Kontinents. Dank Öl.
Im vergangenen April löste Angola das neunmal größere Nigeria als größter Ölproduzent Afrikas ab. 1,9 Millionen Barrel werden hier jeden Tag gefördert, eine 50-prozentige Erhöhung in nur drei Jahren. Weitere Steigerungen sind geplant. 2007 betrug das Wirtschaftswachstum 25 Prozent, und das soll bis mindestens 2012 so weitergehen, prognostiziert der Ökonom Alves Rocha.
Immer neue Rekorde werden gebrochen. Der französische Ölkonzern Total will seine Förderung in Angola innerhalb von sechs Jahren von 300.000 auf eine Million Barrel täglich steigern. Der US-Konzern Chevron verkündete im Mai Investitionen von drei Milliarden US-Dollar zur Erschließung eines Tiefseevorkommens im Atlantik.
Aber es geht nicht nur um Öl: Diamanten, während des Bürgerkrieges der 90er-Jahre Hauptgeldquelle der Unita-Rebellen und damals international geächtet, sind jetzt wieder gefragt. 2007 wurden Steine im Wert von 1,3 Milliarden Dollar gefördert, bis 2010 soll sich diese Summe verdoppeln, sagt die staatliche Diamantenfirma Endiama.
Geld aus Deutschland
Und es geht längst nicht mehr nur um Rohstoffexporte: Stahlwerke und Ölraffinerien sind in Planung. Das Bruttosozialprodukt im Nicht-Öl-Bereich wuchs 2007 fast so stark wie die Gesamtwirtschaftsleistung, um 22 Prozent. Ein ganzes Land ist wiederaufzubauen, nachdem die Unabhängigkeit von Portugal 1975 direkt in einen 17 Jahre währenden Krieg führte, der alles zerstörte. Brücken, Eisenbahnen, Flughäfen, Krankenhäuser, Schulen – an allem fehlt es. Finanziert wird der Wiederaufbau vor allem von China, aber auch durch Kredite von Commerzbank und Deutscher Bank.
Den kapitalistischen Ölboom hat die seit der Unabhängigkeit herrschende, frühere sozialistische Staatspartei MPLA (Angolanische Volksbefreiungsbewegung) unbeschadet überstanden. Sie regiert das Land ohne ernste Herausforderung. Dass es seit den gescheiterten Wahlen von 1992, als Unita-Rebellenführer Jonas Savimbi seine Niederlage nicht anerkannte und für zehn Jahre zurück in den Krieg zog, keine Wahlen mehr gegeben hat, stört niemanden auf der Welt. 2002 wurde Rebellenchef Jonas Savimbi getötet und der Krieg ging zu Ende; aber erst jetzt, wo der Boom Früchte trägt und die MPLA sicher im Sattel sitzt, stehen Wahlen an – Parlamentswahlen am 8. September.
Die Wahlbeobachter dafür werden kaum Hotelzimmer finden, denn Luanda platzt aus allen Nähten. Wer ein Hotel bucht, muss Monate im Voraus reservieren und mit Bargeld ebenfalls im Voraus zahlen. Die Konkurrenz ist groß: Ingenieure und Ölarbeiter internationaler Investoren mieten Hotelzimmer monatsweise, während sie auf ihre Quartiere warten.
Gesucht: Büros am Strand
Luanda gilt inzwischen als die teuerste Stadt der Welt, noch vor Moskau, obwohl die Mehrzahl seiner fünf Millionen Einwohner noch immer in absoluter Armut lebt. Die Nachfrage nach Büroflächen steigt immer weiter, vor allem in Meeresnähe. Die staatliche Ölfirma Sonangol, deren Umsatz von 17 Milliarden Dollar im Jahr 2007 allein fast ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts ausmachte, hat kürzlich einen ultramodernen Geschäftsturm eingeweiht. Eine komplett neue Stadt „Luanda Sul“ ist aus dem Boden gestampft worden; vor zwei Jahren wurde hier Afrikas modernste Shoppingmall „Belas Shopping Center“ eröffnet, und die Villen an der Zufahrtsstraße kosten bis zu zwei Millionen Dollar. Ein Geschäftsmann an der Praia do Bispo im Süden Luandas zahlt 9.000 Dollar Miete im Monat und muss eine Jahresmiete im Voraus hinterlegen – ein kleiner Staatsbediensteter wohnt in einem Zimmer ohne Strom und fließendes Wasser im Slum, für 30 Dollar im Monat.
„Die Häuser sind sehr teuer“, sagt Pader Estevao, Journalist beim privaten Radiosender Radio Eclesia. „Und sie sind nicht für die da, die kein Dach über dem Kopf kennen, sondern für die, die schon ein Haus haben.“
Noch vor wenigen Jahren war Angola eines der ärmsten Länder der Welt. Heute beträgt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf über 3.000 US-Dollar, und mit dem hohen Wirtschaftswachstum der kommenden Jahre sieht sich Angola bereits als kommende Großmacht Afrikas. Die Devisenreserven betragen 15 Milliarden Dollar, der Schuldendienst von 1,5 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2010 ist ein Klacks.
Angolanische Firmen kaufen Beteiligungen an Banken des Mutterlandes Portugal und investieren in Bauxitminen in Guinea-Bissau. 2010 steht die Afrika-Meisterschaft im Fußball auf Angolas Programm, neue Stadien werden gebaut. Die chinesische Eximbank finanziert einen neuen Großflughafen.
Aber es sind nicht nur die Chinesen, die von Angolas Boom profitieren. Der milliardenschwere Bau einer Ölraffinerie in Lobito ist Peking nach einem Streit mit dem angolanischen Staatskonzern Sonangol entgangen. Dieser will von dort auch raffinierte Produkte hoher Qualität nach Nordamerika und Europa exportieren, aber die Chinesen boten nur die niedrigeren Standards, die für Asien reichen, erklärt ein Berater im Ölsektor. Ein neuer Partner wird jetzt gesucht.
Auch die sechs Milliarden Dollar, die der staatliche China Investment Fund für Angola bereitgestellt hat, wurden nicht komplett abgerufen. Der Wiederaufbau der Benguela-Eisenbahnlinie, die einen der wichtigsten Atlantikhäfen Angolas mit dem ebenfalls boomenden Bergbaugebiet Katanga in der Demokratischen Republik Kongo verbinden soll, ist in Verzug.
Ary Carvalho, Direktor der nationalen angolanischen Investitionsbehörde, erklärt, die Außenwelt habe einen falschen Eindruck von der Übermacht Chinas: Die Chinesen führten doch nur Aufträge der angolanischen Regierung aus, deren Bezahlung mit Öl garantiert wird. Von Ausplünderung könne da keine Rede sein. Und kein einziger chinesischer Konzern ist in der Ölförderung präsent, Basis des angolanischen Reichtums.
Wer profitiert vom Boom?
Um so mehr aber stellt sich die Frage, wer von Angolas Boom profitiert. Ist es mehr als nur eine kleine Elite von Generälen und Politikern, die erst den Bürgerkrieg gewonnen haben und jetzt die Wirtschaftsgewinne einstreichen? Es sieht auf den ersten Blick nicht so aus. Allgemeine Grundschulbildung erwarten die Mitarbeiter des UN-Entwicklungsprogramms UNDP in Angola erst für 2015 – einige viel ärmere afrikanische Länder haben das schon längst.
Zwei Drittel der Bevölkerung leben unter der absoluten Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag, jedes vierte Kind stirbt vor seinem fünften Geburtstag. Größter Killer ist die Malaria.
Eine brasilianische Krankenschwester berichtet über die dramatischen Zustände im staatlichen Gesundheitswesen: Wer behandelt werden will, muss gasosa zahlen, also Schmiergeld. Das Pflegepersonal ist nicht genügend ausgebildet.
Rui Falcao, Informations- und Propagandadirektor der Regierungspartei MPLA, wehrt sich gegen die Kritik. Das sei alles böswillig, meint er. Der Krieg sei doch erst seit sechs Jahren vorbei. Wie lange brauchte Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, um sich zu erholen, fragt er? Und er erinnert daran, dass während des Krieges die Unita-Rebellen zielgerichtet sämtliche Infrastruktur zerstörten. Immer wenn die Regierung eine Brücke baute, wurde sie von den Rebellen kaputtgemacht. Also soll sich die Unita, heute zur parlamentarischen Opposition mutiert, bitte schön zurückhalten, wenn es um Kritik an mangelnder Basisinfrastruktur geht.
Ein Kritikpunkt, der nichts mit dem Krieg zu tun hat, ist der Mangel an Arbeitsplätzen für Angolaner. Viele Baumaschinen werden von Chinesen oder Portugiesen bedient. Die vom China Investment Fund finanzierten Projekte werden mit chinesischen Arbeitskräften durchgeführt. Die angolanische Bevölkerung sieht sich vom Boom ausgeschlossen. Der Unita-Radiosender Radio Despertar versucht, den Unmut der Einheimischen gegenüber den Ausländern zu kanalisieren. Im Juni gab es erstmals einen Streik angolanischer Bauarbeiter auf der Eisenbahnlinie von Mocamedes.
Ein neuer Krieg in Angola gilt jedoch als ausgeschlossen. Armee und Polizei kontrollieren das Land, sagt auch MPLA-Propagandadirektor Falcao: „Wer zu den Waffen greift, ist am nächsten Tag tot“, warnt er. Auch Alcides Sakala, Fraktionsführer der Unita im Parlament, glaubt an friedliche Wahlen im September. Seit Monaten organisieren die Sicherheitskräfte gemeinsam mit der katholischen Kirche Sammlungen von Waffen, die noch immer zahlreich im Land zirkulieren. Und Präsident Eduardo dos Santos hat bis zum Jahr 2013 den Bau von einer Million Sozialwohnungen angekündigt. Das Geld hat er ja.