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Archiv-Artikel

Der Kunst-Ballermann

Tacheles reden

Für Berlintouristen ist die bemalte Ruine an der Oranienburger Straße eine Sehenswürdigkeit. Der mit Sand und Schrottskulpturen gefüllte Garten, das schrabbelige Treppenhaus mit seinen vielen Künstlerateliers, das Kino High End und die Konzerte im Café Zapata vermitteln einen Hauch des Nachwendeaufbruchs, aus dem das Künstlerhaus entstand. 1990 besetzten Künstler die vom Abriss bedrohte Kriegsruine und erreichten, dass das Tacheles unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Vor zehn Jahren einigte man sich mit dem Eigentümer, der Kölner Fundus-Gruppe, auf ein zehnjähriges Bleiberecht für die Künstler, die das Haus teilrenovierten. 31 Ateliers gibt es dort, in denen dank eines Austauschprogramms Künstler aus aller Welt zu günstigen Konditionen arbeiten können. Doch Ende des Jahres läuft der Mietvertrag aus – die Zukunft des Hauses, das momentan unter Zwangsverwaltung steht, ist ungewiss.

Vielleicht nutzt Fundus die Zwangsverwaltung, um eine bessere Handhabe zur Kündigung der Kulturschaffenden zu haben. Vielleicht hat sich die Immobiliengruppe mit ihren ehrgeizigen Plänen für das 30.000 Meter große Areal zwischen Friedrich-, Oranienburger und Johannisstraße aber auch übernommen. Für schätzungsweise 400 Millionen Euro soll dort ein neues Quartier aus Wohn-und Büroflächen entstehen. Das könnte auch schiefgehen. Schließlich war das Tacheles-Gebäude schon einmal Schauplatz einer spektakulären Pleite: Erbaut wurde der Fünfgeschosser für sieben Millionen Reichsmark als „Friedrichstadtpassage“. Der 1909 eröffnete Shoppingtempel galt seiner Glas-Beton-Konstruktion wegen als ultramodern. Er rechnete sich nicht und wurde 1914 zwangsversteigert. Von 1928 an nutzte die AEG das Haus, während der Nazizeit die SS und in der DDR der FDGB.

Das Berliner Kunsthaus Tacheles stand einmal für den Nachwende-Aufbruch einer wilden Off-Szene. Doch der frühere Hort der Kreativität zerfleischt sich nun selbst

VON NINA APIN

Um zwölf Uhr mittags sind auf der Oranienburger Straße nur wenige Touristen unterwegs. Noch geht es ruhig zu im Garten hinter dem Kunsthaus Tacheles im Berliner Stadtteil Mitte. Die Bänke und selbst gezimmerten Sitzgelegenheiten sind leer, ein paar Männer harken den Müll der vergangenen Nacht aus dem Sand. Sie harken fein säuberlich um eine Metallhütte herum, die in der Mitte des Gartens steht. Die Hütte besteht aus Metalllettern, die Worte wie „Lust“ oder „Angst“ bilden.

Drinnen schweißt Hüsseyin Arda an einem lebensgroßen Alligator. Der Strom kommt von einem Generator. „Die haben mir erst den Raum weggenommen und dann den Strom abgestellt“, erklärt der Metallkünstler und gestikuliert in Richtung Haus. „Jetzt mache ich eben Open Air“. Arda schweißt seit achtzehn Jahren im Tacheles Tiere, geschwungene Möbel und skurrile Objekte, die ihren Weg in viele Bars, Wohnungen und Hotels gefunden haben. Bis zum Oktober 2006 nutzte er dafür einen großen Ladenraum an der Oranienburger. Dann schickte ihm der Tacheles-Verein eine Räumungsklage wegen Mietschulden. Erklären kann sich Arda das bis heute nicht. Er hat seine Konsequenzen gezogen: „Ich habe keine Rechtsverhältnisse mit niemandem mehr“, sagt der Mann mit dem Strohhut trotzig. „Aber ich werde hier meine Arbeit machen, bis die Bagger kommen.“

Dann regt Arda sich doch auf: Der Verein, der seit 1990 das selbst verwaltete Künstlerhaus trägt, sei tot, sagt er. Und auch das Tacheles werde bald sterben. Denn keiner interessiere sich mehr für die Kunst, alle wollten „nur noch Bier verkaufen“. Er aber, sagt Arda, werde weiterziehen, wenn die Zeit gekommen sei. „Für mich ist das Tacheles kein Ort, sondern eine Idee. Und diese Idee kann ich auch an anderen Orten der Stadt leben.“ Seine ehemalige Metallwerkstatt hat Arda nie wieder betreten. Es interessiere ihn gar nicht, was jetzt dort passiert, behauptet er. Es klingt nicht glaubwürdig, eher verbittert.

Verbitterung ist im Tacheles allgegenwärtig. Man kann sie förmlich mit Händen greifen, wenn man mit denen spricht, die dort arbeiten. Nur die Berlintouristen, die ihren Reiseführern zur graffitibemalten Kaufhausruine gefolgt sind, um ein Stück lebendige Off-Kultur zu bewundern, spüren davon nichts. Für sie ist das Tacheles, was es in den ersten Jahren seit seiner Besetzung durch KünstlerInnen einmal war: ein wilder Ort, eine unkommerzielle Oase im geleckten Mitte mit einem großartigen Garten.

Bei diesem Garten hört für Linda Cerna der Spaß auf. Die Pressesprecherin des Vereins deutet aus dem Büro im ersten Stock hinunter auf die Besucher, die inzwischen mit Bier und Cocktail die Sofas und Bänke bevölkern. Sehr laute Technomusik wummert durch die Scheiben. „Dieser Ballermann da unten hat mit dem Tacheles nichts mehr zu tun“, sagt Cerna. Sie holt ein kopiertes DIN-A4-Blatt hervor, auf dem der Vereinsvorstand „Eckpfeiler“ für ein „Zukunftskonzept 2008–2020“ skizziert hat. „Tacheles – ein Name als Programm“ heißt es. Das Tacheles soll eine GmbH werden, mit einem Atelierprogramm für Künstler, einem Verlag und einer Stiftung zur Förderung gemeinnütziger Kulturprojekte. Finanziert werden soll das Ganze durch die Vermietung von Räumen, Erlöse aus Galeriebetrieb und Verlag sowie den Kneipen- und Konzertbetrieb im Zapata. Doch das Café Zapata ist genau die Einrichtung, die im Konzept des Vereins als „wilde Ausschankanlage“ voll Schrott, Müll und Dealer beschimpft wird.

Für Außenstehende, sagt Linda Cerna, sei es nicht leicht zu vermitteln, dass der berühmte Tacheles-Garten nur noch ein Ärgernis sei. Der Wirt des Cafés Zapata weigere sich seit Jahren, auch nur einen Cent an den Verein abzugeben, der auf den hohen Betriebskosten sitzen bleibe. Daher sei das Haus ständig in den Miesen – obwohl man an den Eigentümer nur einen halben Euro Monatsmiete zahlen müsse. „Wenn das Tacheles eine Zukunft haben soll, muss sich im Garten alles ändern. Sonst haben wir keine Chance. Darin ist sich der Vorstand einig“, sagt Linda Cerna. Der Vorstand ist sich einig, das klingt gut. Doch der Vorstand des Tacheles besteht aus vier Leuten. Daneben gibt es noch ungefähr 30 Vereinsmitglieder, Pächter wie das Kino High End oder das Café Zapata, die teilweise selbst Vereinsmitglieder sind. Alle sind seit Jahren heillos zerstritten. Und die Künstler, die im Haus zu günstigen Bedingungen arbeiten wollen, hängen dazwischen.

So wie Astrid Hanka, die in Hüsseyin Ardas ehemaliger Metallwerkstatt jetzt den Laden „Kunstkommerz“ betreibt. Die Eigenkreationen der Textilarbeiterin, geblümte Hängerchen und griechisch anmutende Gewänder, hängen an Fäden von der Decke, zwischen einem Sammelsurium aus Postkarten, Plastiktaschen, Gemälden und im Tacheles verlegten Büchern. „Der Laden ist ein Versuch, das nach außen zu tragen, was im Haus passiert“, sagt Hanka. Ihr Atelier im dritten Stock tauschte sie gegen den Laden, in dem sie jetzt abwechselnd mit einer Kollegin Aufsicht, Verkäuferin, Dekorateurin und Ansprechpartnerin für Besucher ist. Den Laden, der gleichzeitig Schaufenster und Merchandisingshop des Tacheles sein soll, betreibt Hanka im Auftrag des Vereins. Mitglied ist sie nicht. Aber es ist ihre Art, dem Haus, in dem sie zwei Jahre arbeiten konnte, etwas zurückzugeben. An das Konzept des Vorstands glaubt sie nicht so recht: „Eine gemeinsame Zukunft mit denselben Leuten wie jetzt gibt es nicht. Das Gesamtkunstwerk ist doch längst Fassade. Die einigen sich nicht mehr.“ Sie will bleiben, solange es geht. „Wenn’s hart auf hart kommt, miet ich mir einen Transporter, schmeiß meine Sachen rein und bin weg.“

Kurihara Takuya aus Tokio und „Outburst“ aus der Ukraine hoffen dagegen, dass es einfach weitergeht mit dem Tacheles – wie mit anderen alternativen Berliner Kulturprojekten, die ständig ums Überleben kämpfen, am Ende aber doch bleiben. Die beiden Künstler teilen sich mit einem Schweden ein Atelier. 400 Euro Miete zahlen sie zusammen im Monat. Ein unschlagbarer Preis für die Lage. „Outburst“ ist dennoch nicht zufrieden. „Wir Künstler zahlen für das Café Zapata mit“, schimpft er. „Weil diese Blutsauger in die eigene Tasche wirtschaften, werden die Betriebskosten für das Haus auf die Künstler umgelegt.“ 3.500 Euro verbrauchten die Gastronomen im Erdgeschoss allein jeden Monat. Eine Sauerei, findet der Ukrainer. Weil die Situation aber jetzt schon so ungerecht sei, werde man wohl auch nach einem Eigentümerwechsel bleiben können. „Selbst wenn die Mieten steigen – mehr als jetzt kann es kaum sein.“ Eine optimistische Prognose – denn nach achtzehn Jahren permanenter Unsicherheit ist die Zukunft des Tacheles gefährdeter denn je.

Nicht genug damit, dass der auf zehn Jahre ausgehandelte Mietvertrag mit der Kölner Fundus-Gruppe zum Jahresende ausläuft. Seit März steht das Grundstück mit dem Künstlerhaus darauf zudem unter Zwangsverwaltung. Ist die Fundus-Gruppe, der unter anderem das Hotel Adlon am Brandenburger Tor gehört, wirklich pleite? Oder handelt es sich, wie der frühere Fundus-Sprecher Beermann behauptete, um ein Mittel, „offene Rechtsfragen“ wie bestehende Untermietverhältnisse zu klären? Hält Fundus an seinem Plan fest, um um die denkmalgeschützte Tacheles-Ruine herum ein Geschäfts- und Wohnviertel im Stil des New Urbanism hochzuziehen?

Spekuliert wird darüber im ganzen Haus. Der Vorstand hat sich bereits mit seinem Zukunftskonzept an den Zwangsverwalter und die Gläubigerbank gewandt. Außerdem sammelt er Unterschriften für den Erhalt des Hauses, die dem Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit (SPD) übergeben werden sollen. Mehr als 10.000 habe man bereits gesammelt, erklärt Linda Cerna. Sie sollen sicherstellen, dass die „Tacheles-Macher“ ihren Kulturauftrag für die Ruine nicht verlieren, die laut Bebauungsplan weiterhin kulturell genutzt werden muss.

Im fünften Stock der ausgeweideten Tacheles-Ruine liegt neben einer Galerie die „Offenbar“ mit einem spektakulären Blick über die letzten unbebauten Brachen von Mitte. Hier fing der Ärger an: Als der Verein begann, selbst eine Bar im Tacheles zu betreiben, sah Zapata-Wirt Ludwig Eben seinen gastronomischen Alleinvertretungsanspruch gefährdet. Seitdem zahlt er keine Miete mehr und vermietet sogar an einen anderen Gastronomen unter. Damit das Konzept des Vorstands zur Rettung des Tacheles verwirklicht werden kann, muss das Café künftig von jemandem betrieben werden, der dem Vorstand grün ist. Dazu müsste entweder der Gastronom gehen – oder der Vorstand. Vielleicht muss das Tacheles tatsächlich erst geräumt werden, damit wieder ein Ort der Kreativität daraus werden kann.

NINA APIN, Jahrgang 1974, kommt aus Bayern und war zum ersten Mal 1992 im Tacheles