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Archiv-Artikel

Sind Affenversuche ethisch vertretbar?

Seit 1999 forscht der Neurowissenschaftler Andreas Kreiter an der Uni Bremen – im Hirn von Makaken. Senat und Bürgerschaft fordern seit 2007 den Ausstieg aus den Versuchen – diesen Sommer hat Kreiter die erneute Genehmigung beantragt. Auf die hat er nach dem Tierschutzgesetz nur einen Anspruch, wenn sie „ethisch vertretbar“ sind

ROMAN KOLAR ist Diplombiologe und stellvertretender Leiter der Akademie für Tierschutz des Deutschen Tierschutzbundes.

Nein

von ROMAN KOLAR

Forschung ist wichtig und ein wesentlicher Bestandteil menschlicher Kultur. Als Biologe schöpfe ich mein gesamtes Fachwissen aus dem, was andere vor mir erforscht haben. Die Faszination neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ist enorm – vor allem angesichts immer raffinierterer Methoden, der Natur zumindest einen Teil ihrer Geheimnisse zu entlocken. All das darf jedoch nicht den Blick dafür trüben, dass Forschung sich selbstverständlich in den ethischen Grenzen bewegen muss, die unsere Gesellschaft auf demokratischem Weg definiert hat.

Daher ist Forschung keineswegs vollkommen frei in der Wahl ihrer Ziele und Methoden, sondern durch Recht und Gesetz reglementiert. Forschung an Menschen oder menschlichen Embryonen ist ein Beispiel hierfür, Forschung an leidensfähigen Tieren ein anderes. Die viel zitierte Forschungsfreiheit endet dort, wo hochrangige andere Werte gefährdet werden. Ein Musterbeispiel angewandter Ethik.

Was Tierversuche angeht, so ist im deutschen Tierschutzgesetz festgelegt, dass diese nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn sie „unerlässlich“ und „ethisch vertretbar“ sind. Sind dies die Bremer Primatenversuche? Wenn man Tierversuche nicht ohnehin grundsätzlich ablehnt, wird ein Tierversuch allgemein nur dann als ethisch vertretbar angesehen, wenn dem Tierleid ein großer Nutzen gegenüber steht. Das Tierschutzgesetz spricht bei länger anhaltenden erheblichen Leiden von „wesentlichen Bedürfnissen von Mensch oder Tier“ und „hervorragender Bedeutung“. Dies ist demnach der Maßstab, an dem sich die Bewertung der Affenversuche Kreiters zu orientieren hat – und seit der Aufnahme des Tierschutzes in das deutsche Grundgesetz (im Jahr 2002) gilt diese Vorgabe ohne wenn und aber.

Sind also die Leiden der Bremer Versuchsaffen länger anhaltend und erheblich? Selbstverständlich ja. Den Tieren wird der Schädel aufgesägt, in der entstandenen Öffnung wird ein Zementsockel dauerhaft befestigt, ein Metallring wird ins Auge implantiert. Doch das sind nur die Vorbereitungen für die Experimente, bei denen Tiere, die sich in freier Wildbahn in kilometerweiten Arealen bewegen, über Jahre tagein, tagaus gezwungen werden, in einem so genannten „Primatenstuhl“ stundenlang fixiert Aufgaben am Computer zu lösen. Sie tun dies, weil ihnen permanent Flüssigkeit vorenthalten wird und sie sich ihre Saftrationen als „Belohnung“ bei den Versuchen erarbeiten müssen.

Offensichtliche Schmerzen und Leiden sind jedoch nicht die einzigen Kriterien, die bei der Bewertung von Affenversuchen angewendet werden müssen. Primaten verfügen über ein hoch entwickeltes Gehirn – gerade das macht sie ja zum begehrten Objekt der Hirnforscher.

Es macht sie aber auch zu besonders schützenswerten Lebewesen, weil ihnen aufgrund ihrer emotionalen und geistigen Fähigkeiten zugestanden werden muss, dass sie ihre ausweglose Situation, auch in Hinblick auf ihre Zukunft, zu einem beträchtlichen Maß realisieren können. Und dies lässt sie zusätzlich leiden. Darüber hinaus muss in eine umfassende ethische Bewertung auch einbezogen werden, dass die Bremer Affen zwar aus deutschen Zuchten stammen, diese aber immer wieder mit Wildfängen aus tropischen Ländern aufgefüllt werden. Die furchtbaren Missstände, die dabei auftreten und die für zusätzliches Leid bei ganzen Affenfamilien sorgen, hat der Deutsche Tierschutzbund unwiderlegbar dokumentiert.

Wie aber sieht es auf der anderen Seite mit dem Nutzen der Affenexperimente aus? Sind sie tatsächlich von „überragender Bedeutung“? Leisten sie vielleicht einen wichtigen Beitrag zur Heilung von Erkrankungen des menschlichen Gehirns? Hier kann die so genannte Expertenkommission herangezogen werden, die 2007 im Auftrag des Bremer Senats die Arbeit Kreiters überprüfte. Diese Kommission war sicherlich alles andere als forschungsfeindlich (kein Wunder, denn mich ausgenommen handelte es sich bei ihren Mitgliedern ausnahmslos um Wissenschaftler, die selbst direkt in Affenversuche involviert sind). Und doch stellte sie fest, dass die jahrelangen Bremer Affenversuche nie zum Ziel hatten, therapeutische Anwendungen zu entwickeln und dass solche auch nicht in Sicht sind. Somit bleibt festzuhalten, dass Kreiter reine biologische Grundlagenforschung betreibt. Dies mag ihm Anerkennung in der Fachwelt bringen, eine ausreichende ethische Begründung für eine Fortsetzung seiner Affenversuche ist es nicht. Denn allein in Bremen misst Kreiter nun seit 10 Jahren elektrische Signale im Gehirn von Affen – so wie zahllose andere Affenforscher seit den 1950er Jahren.

Über die Jahre hinweg hat er immer neue medizinische Anwendungen als Begründung für seine Versuche ins Spiel gebracht. Wenn aber bis heute keine medizinische Anwendung erreicht wurde, sind alle Versprechungen, dies werde in Zukunft der Fall sein, wenig glaubwürdig. Eine Fortführung dieser Experimente würde unser Tierschutzgesetz ad absurdum führen. Es ist höchste Zeit, das Leiden der Bremer Versuchsaffen endlich zu beenden.

PROF. HENNING SCHEICH hat 1992 das Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie gegründet, dessen Direktor er bis heute ist.

Ja

VON HENNING SCHEICH

Es ist nicht Aufgabe dieses Artikels, den merkwürdigen Phänomenen nachzugehen, warum zahlreiche Mitbürger vehement gegen Tierversuche sind, aber seelenruhig Schnitzel essen, Lederschuhe tragen und für sich, ihre Kinder und ihre Haustiere jeden Fortschritt der Medizin in Anspruch nehmen – angefangen mit der Impfung gegen Kinderlähmung: Die gäbe es nicht, hätte man vor rund 60 Jahren darauf verzichtet, das Poliomyelitis-Virus auf Affennieren zu züchten.

Wir wollen stattdessen versuchen, einer schweigenden und oft verunsicherten Mehrheit vernünftige Argumente in die Hand zu geben, warum Tierversuche bisher unverzichtbar sind und es lange bleiben werden. Das gilt auch für die verhältnismäßig geringe Zahl von Primatenversuchen, die dort durchgeführt werden, wo es auf biologische Ähnlichkeiten mit dem Menschen ankommt – also insbesondere in der Hirnforschung.

Wer eine Hirnerkrankung entwickelt, hat große Aussicht, psychisch Schaden zu nehmen, sozial stigmatisiert und Invalide zu werden, meist lebenslang. Als Folge verursachen diese Erkrankungen heute bereits 40 bis 50 Prozent der Gesamtkosten im Gesundheitswesen der Industrieländer – durch Altersdemenz mit steigender Tendenz. Die Entwicklungen in der menschlichen Hirnforschung durch nicht-invasive Bildgebung haben die Hoffnung genährt, tiefere Erkenntnisse über Hirnfunktionen zu gewinnen, dadurch die therapeutische Situation entscheidend zu verbessern und die Nutzung von experimentellen Tiermodellen, insbesondere von Affen, überflüssig zu machen.

Im Hinblick auf die Notwendigkeit von Affenversuchen wird zunehmend deutlich, dass das Gegenteil der Fall ist. Die bildgebenden Verfahren sind Hilfsmittel, um auf der noch weitgehend unerforschten Landkarte des menschlichen Gehirns funktionelle Gebiete zu entdecken. Aber diese Phänomene bleiben uninterpretierbar, solange die Informationsverarbeitung in den Nervenzellnetzen nicht verstanden ist. Dieser elektrische Signalaustausch ist mit den neuen Verfahren nicht analysierbar, sondern nur durch Mikroelektrodenregistrierung direkt im Gehirn.

Das macht weitergehende Untersuchungen an den ähnlich organisierten Gehirnen von Affen notwendig, die, geleitet von den entdeckten Aktivitäten in den menschlichen Hirnbildern, erstmals ganz gezielt vorgehen können. Die Fortschritte von Neurologie und Psychiatrie und damit die Hoffnung unzähliger Patienten stehen und fallen mit der Möglichkeit, Hirnforschung in gegenseitigem Bezug von bildgebenden Verfahren am Menschen und invasiven Verfahren an Affen durchzuführen. Die Affenversuche in Bremen sind ein sinnvoller Baustein in einem weltweiten Netz von Forschung.

Der Fall Kreiter

Die Makakenversuche des Neurobiologen Andreas Kreiter sind Gegenstand einer bundesweit geführten Debatte. Einzigartig wird sie durch den erklärten politischen Willen, aus den Experimenten auszusteigen: Eine entsprechende Absichtserklärung hat die Bürgerschaft 2007 verabschiedet und Rot-Grün in den Koalitionsvertrag geschrieben. Kritisiert hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Vorgang: Sie sieht die Freiheit der Forschung gefährdet. Laut Tierschutzgesetz entscheidet die Gesundheitsbehörde, beraten von einer Expertenkommission. Fest steht, dass der in Bremen oft als Alternative gepriesene, 2003 angeschaffte Kernspintomograph die Versuche nicht ersetzt: In Sachen Messgenauigkeit verhalten sich die durchs das bildgebende Verfahren gewonnenen Hirn-Ansichten zu den in den einzelnen Zellen gewonnenen Daten, wie eine Weltkarte zu einem City-Plan. Erstmals erlaubt wurden die Versuche 1998 – unter Protest: Tierschützer hatten 40.000 Unterschriften gegen das Primatenzentrum gesammelt. Dem Vernehmen nach hat Kreiter seinen diesen Sommer an die Behörde übermittelten Neuantrag modifiziert: Neben das Ziel der Grundlagenforschung soll das eines Geräts zur Langzeit-Überwachung von Epileptikern getreten sein. Der Antragstext ist geheim. Die Behördenentscheidung wird, so oder so, die Gerichte beschäftigen: Kreiter hat angekündigt, bei Nichtgenehmigung bis vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Der Tierschutzbund wird im Falle einer Genehmigung klagen: Bremens neues Tierschutzgesetz ist das einzige, das Verbänden ein Klagerecht einräumt. Auch das ist umstritten – und hat gute Chancen, bei Erstanwendung ein Thema für Karlsruhe zu werden. BES

Keimzelle jeder Diskussion, ob wir ein Recht haben, Tiere für unsere Zwecke zu benutzen, ist die Frage, ob auch im Tierreich Leben und Nicht-Leiden Werte sind, die es zu respektieren gilt. In der westlichen Kultur steht die Vermeidung von Leiden von Tieren ganz oben auf der Skala. Entsprechend haben wir uns Tierschutzgesetze auferlegt, die diese Werte schützen. Aber wie in allen Rechtssystemen sind Werteabwägungen notwendig. Als höherwertig gelten das Gemeinwohl des Menschen und individuelle Freiheiten wie das Recht auf Grundlagenforschung inklusive begründeter Tierversuche. Gerade dieses Wertepaar ist kein Gegensatz. Streng genommen beruht die Befreiung der Menschheit aus dem existenziellen Elend vergangener Zeiten ebenso auf den Erkenntnissen naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung wie ein fortschreitender Schutz der Tierwelt vor Achtlosigkeit und massenhafter Grausamkeit durch Menschen.

Eine implizite Annahme des Tierschutzgesetzes ist, dass der Wert von Leben und Nicht-Leiden mit der Evolutionshöhe steigt. Dies bedeutet, dass Tiere mit „höherer Evolutionsstufe“ mehr Rechte haben, also Versuche an ihnen nur in begründeter Abwägung zum möglichen Erkenntnisgewinn an Tieren mit „niedriger Evolutionsstufe“ gestattet werden. Dies ist eine höchst problematische Klausel, weil wir artspezifisch nicht klar unterscheiden können, welche Faktoren mit welcher Intensität Leiden erzeugen. Selbst für durch die gleichen Schäden verursachte Schmerzen lässt sich nicht objektivieren, ob ein Affe darunter mehr leidet als eine Katze. Vieles spricht dafür, dass diese Klausel eher eine menschliche Werteübertragung auf jene Tiere ist, in denen wir uns am ehesten wiederzuerkennen glauben, als eine Beurteilung ihrer Leidenfähigkeit. Irrational wird sie, wenn man sie dazu benutzt, Versuche an Affen als „dem Spiegelbild des Menschen“ auszuschließen.

Gegner von Primatenversuchen sollten sich fragen lassen, ob ihnen einmal aufgefallen ist, dass ihre Sympathie und Sensibilität gegenüber Affen überhaupt nicht erwidert wird? Sie sind Affen völlig egal. Das beleuchtet ein grundsätzliches Missverständnis zum Unterschied zwischen Mensch und Tier, der nichts mit fehlender Sprache oder mangelnder Intelligenz zu tun hat. Alle Tiere, selbst die sozialsten, sind gegenüber dem Leiden von Individuen anderer Arten gleichgültig. Alles andere wäre in einem natürlichen Ökosystem auch fatal: Es würde die eigene Art gefährden. Aus ihrer Perspektive sind wir deshalb Neutrum, Konkurrent, Feind oder Futterquelle.

Wir sind anscheinend die einzige Art, die aufgrund eines besonderen Mitleidsvermögens und einer überragenden Fähigkeit, uns in andere menschliche Individuen hineinzuversetzen, dazu neigt, dies auch auf andere Arten zu übertragen. Daraus folgt aber nicht, dass wir auch unser menschliches Wertesystem auf Tiere übertragen können. Auch die uns biologisch nahe stehenden Affen quittieren dies mit völligem Unverständnis. Insofern ist die oft gehörte Analogie, wir würden ja auch Kindern und hilflosen Individuen unserer eigenen Art Schutz gewähren, eine Fehldeutung: Moralische Werte müssen, das ist der Sinn von Kants Kategorischem Imperativ, auf Gegenseitigkeit beruhen, das heißt, wenigstens theoretisch von allen Beteiligten akzeptiert werden können. Das stößt an unüberwindliche artspezifische Grenzen.

Insofern sollten wir Tierschutz sehr ernst nehmen und Versuche an Tieren auf das Notwendigste beschränken. Was aber für uns notwendig ist, müssen wir selbst bestimmen. Gerade im Hinblick auf das vordringlichste Ziel, nämlich Artenschutz, sollten wir nicht der Illusion verfallen, wir könnten artspezifische Grenzen aufweichen.